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Mobilitätsreserve wird bestreikt

Wachsender Protest gegen Entlassungen im öffentlichen Dienst Griechenlands

Von Anke Stefan, Athen *

Griechenlands Lehrer streiken weiter, nun haben sich auch die Kollegen aus dem öffentlichen Dienst angeschlossen. Ein Ende der Streikwelle ist vorerst nicht in Sicht.

Während der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras bei den internationalen Gläubigern um Verständnis dafür wirbt, dass die Bürger seines Landes keine weiteren Einsparungen verkraften, wehren sich daheim die von eben solchen Maßnahmen betroffenen Staatsangestellten. Wegen eines zweitägigen Generalstreiks im gesamten öffentlichen Dienst sind am Mittwoch und Donnerstag Schulen, Universitäten, Behörden, Krankenkassen, Arbeitsämter und Gerichte geschlossen. In den Krankenhäusern werden nur Notfälle behandelt.

Der jüngste Ausstand der bereits im vierten Jahr von dramatischen Einschnitten bei Bezügen und Arbeitsrechten betroffenen Beschäftigten des Staatsdienstes richtet sich diesmal gegen die von der griechischen Regierung mit der Gläubigertroika getroffenen Vereinbarung, bis 2015 mehrere zehntausend Stellen abzubauen. Im Protestaufruf des Dachverbandes der Gewerkschaften im öffentlichen Dienst ADEDY wird der Streik denn auch mit der »Entwertung des öffentlichen Dienstes« begründet: »Man zerstört, was von den sozialen Errungenschaften und der Sozialfürsorge übrig geblieben ist und schädigt die Staatsangestellten, die seit nunmehr vier Jahren unter der unmenschlichen Politik der Gläubigermemoranden leiden.«

Betroffen sind vor allem die Schulen. Hier wurden kurzerhand alle Hausmeisterstellen gestrichen, was etwa 2200 Menschen ihren Lebensunterhalt verlieren lässt. Des Weiteren wurden und werden Schulen zusammengelegt, die Klassenstärken vergrößert und ganze Ausbildungszweige bei den berufsbildenden Schulen abgeschafft. Tausende Lehrkräfte werden damit überflüssig. Zusammen mit den Hausmeistern, aussortierten Beamten gemeindlicher Polizeieinheiten und zahlreichen weiteren Menschen werden sie in die sogenannte »Mobilitätsreserve« verschoben. Wer hier bei gekürzten Bezügen innerhalb von acht Monaten keine andere Stelle findet, ist endgültig arbeitslos.

Der Generalstreik im öffentlichen Dienst bildet nur die Spitze einer bereits seit Anfang des Monats laufenden neuen Streikwelle in Griechenland. Die Lehrer an den Mittel- und Oberschulen sind zu Wochenbeginn gar in einen unbefristeten Streik getreten. Nach Meldungen des Verbandes der Lehrergewerkschaften OLME liegt die Beteiligung daran landesweit bei über 90 Prozent, das Bildungsministerium spricht von etwa 70 Prozent. Jedes Wochenende soll in Vollversammlungen der regionalen Lehrergewerkschaften über die Fortsetzung des Arbeitskampfes beraten werden. Die Lehrer an den staatlichen Grundschulen sowie der Privatschulen haben sich dem Streik zunächst nur für zwei Tage angeschlossen.

Darüber hinaus haben die Angestellten bei den staatlichen Sozialversicherungskassen und des Arbeitsamtes die Arbeit niedergelegt. Am Wochenende könnte ADEDY eine Zuspitzung des Arbeitskampfes beschließen.

Die Europäische Union fordert dagegen von der griechischen Regierung weitere Reformen insbesondere des Staatssektors und des Steuerwesens. Am Dienstag hatte Kommissionspräsident José Manuel Barroso Griechenland zugesichert, das Hilfsprogramm zur Überwindung der Wirtschafts- und Sozialkrise nötigenfalls anzupassen. Die Troika aus Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds müsse aber zunächst die Umsetzung des laufenden Programms prüfen.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 19. September 2013


Nazimord in Piräus

Griechenland: Antifaschist erstochen. Linkspartei SYRIZA fordert harte Strafen, Sozialdemokraten für Verbot der faschistischen »Goldenen Morgendämmerung«

Von Heike Schrader, Athen **


Nicht einmal eine Woche nach dem Eisenstangen-Angriff griechischer Faschisten auf kommunistische Plakatierer in Piräus sind die Mörderbanden der »Goldenen Morgendämmerung« in der Hafenstadt erneut auf Linke losgegangen. Etwa 20 Faschisten griffen Augenzeugenberichten zufolge am Dienstag gegen Mitternacht eine Gruppe an, die aus einem Café im Stadtteil Amfiali kam. Für den linken Hip-Hop-Musiker und Antifa-Aktivisten Killah P., mit bürgerlichem Namen Pavlos Fyssas, endete die Attacke tödlich. Mehrfach stach einer der Faschisten mit einem Messer auf den 34jährigen ein. Getroffen in Herz und Bauchraum verstarb Fyssas wenig später im Krankenhaus. In der Nähe befindliche Einheiten der Motorradpolizei griffen Zeugen zufolge erst ein, als die meisten Angreifer bereits geflohen waren. Lediglich der Haupttäter konnte wenig später festgenommen werden, nachdem die übrigen Angegriffenen und weitere Augenzeugen ihn zuvor identifiziert hatten. Der 45jährige ist als Mitglied der »Goldenen Morgendämmerung« bekannt. Nach Polizeiangaben hat er sowohl die Tat als auch ihren faschistischen Hintergrund bereits gestanden.

Während die »Goldene Morgendämmerung« dementierte, daß ihre Mitglieder »etwas mit diesem Zwischenfall zu tun« hätten, verurteilten Parteien und Gewerkschaften den Mord am Mittwoch einhellig. Linke und antifaschistische Organisationen wollten am Abend am Ort des Mordes demonstrieren. »Sie sollen im Gefängnis verrotten«, forderte der parlamentarische Sprecher der Linkspartei SYRIZA, Dimitris Papadimoulis, eine harte Bestrafung der Täter. Seine Partei sei der Überzeugung, hinter den faschistischen Angriffen stecke ein »organisierter Plan zur Destabilisierung der Demokratie«, den die »Goldene Morgendämmerung« und andere »rechtsradikale parastaatliche« Akteure ausführten. Man müsse sich fragen, wer »die mörderischen Hände der Faschisten bewaffnet«. Gleichzeitig warf SYRIZA, Griechenlands stärkste Oppositionspartei, der Regierung vor, mit ihrer immer wieder geäußerten Theorie von den »zwei Extremen« die »Goldene Morgendämmerung« zu entlasten und »der Demokratie zu schaden«. Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) machte »die Terrorisierung der Lohnabhängigen und der Jugend« als Ziel des Anschlags aus und rief »Volk und Jugend« dazu auf, »die mörderische Praxis der Faschisten zu beenden«.

Der selbst einer rechtsradikalen Organisation entstammende Sprecher der größten Regierungspartei Nea Dimokratia, Makis Voridis, verurteilte den Angriff und sprach von »Fragen«, die durch die »systematische Gewaltanwendung von Personen aus einem bestimmten politischen Zusammenhang« aufgeworfen würden. Griechische Analysten hatten zuletzt noch über eine Koalition der Konservativen mit den Faschisten spekuliert. Die an der Regierung beteiligte PASOK forderte, die »Goldene Morgendämmerung« als kriminelle Vereinigung einzustufen. Auch die erst vor kurzem aus der Regierung ausgetretenen sozialdemokratische DIMAR erinnerte daran, daß sie bereits anläßlich vorheriger faschistischer Anschläge gefordert hatte, die faschistische Partei als eine kriminelle Vereinigung zu behandeln. Sie warf der Regierung vor, sich bereits damals blind gestellt zu haben.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. September 2013


Antifaschist in Piräus ermordet

Hellas debattiert über Verbot rechter Partei

Von Anke Stefan, Athen ***


Nach einem erneuten Anschlag der griechischen faschistischen Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgendämmerung) wird in Griechenland über ein Verbot der Organisation diskutiert. In der Nacht zum Mittwoch wurde in der Hafenstadt Piräus ein 35-jähriger Antifaschist ermordet. Der stadtbekannte Aktivist und Hip-Hopper Pavlos Fyssas (Künstlername Killah P.) wurde zusammen mit einer Handvoll Freunden, darunter auch Frauen, von mehr als 20 unter anderem mit Messern bewaffneten Schlägern beim Verlassen eines Cafés angegriffen. Ein Mann stach Fyssas, der der linken außerparlamentarischen Partei Antarsya angehörte, in Herz und Bauchraum. Im Krankenhaus erlag Fyssas wenig später seinen Verletzungen.

Während eine in der Nähe befindliche Staffel der griechischen Motorradpolizei nach Augenzeugenberichten erst eingriff, als die meisten Täter geflohen waren, gelang es der Polizei kurz darauf, zumindest den Haupttäter festzunehmen. Angaben zufolge handelt es sich um einen 45-jährigen bekannten Rechtsextremisten. Er soll sowohl die Tat als auch seine Zugehörigkeit zur Partei der bekennenden Hitlerverehrer und Holocaustleugner gestanden haben.

Alle im griechischen Parlament vertretenen Parteien verurteilten den Anschlag, wobei die größte Regierungspartei, Nea Dimokratia, die Justiz mit der Verfolgung von Tat und Hintergründen beauftragte. Die ebenfalls an der Regierung beteiligte sozialdemokratische Partei PASOK und die vor einigen Monaten aus der Koalition ausgetretene linke DIMAR forderten, Chrysi Avgi als kriminelle Vereinigung einzustufen. Die Organisation ist mit 18 Abgeordneten im 300-köpfigen Parlament vertreten und rangiert in Umfragen derzeit auf dem dritten Platz.

»Ich rufe alle demokratischen Kräfte auf, zusammen zu entscheiden, dass der Staat und die Gesellschaft keine Taten mehr akzeptiert, die die Demokratie untergraben«, sagte der Minister für Bürgerschutz, Nikos Dendias, am Mittwoch in Athen. Die größte Oppositionspartei im Parlament, SYRIZA, forderte die »exemplarische Bestrafung« der Täter. Gleichzeitig sprach die Linkspartei von einem »organisierten Plan zur Destabilisierung der Demokratie« von Seiten Chrysi Avgis.

Bereits am Freitag waren in der Athener Vorstadt acht Mitglieder der kommunistischen Partei KKE verletzt worden. Auch dafür wurden Anhänger von Chrysi Avgi verantwortlich gemacht.

*** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 19. September 2013


Nein zu Entlassungen

Griechenland: Mehrtägige Streiks im öffentlichen Dienst

Von Heike Schrader, Athen ****


In Griechenland wurden am Mittwoch die Streiks der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes ausgeweitet. In verschiedenen Bereichen waren die Widerstandsaktionen bereits am Montag gestartet worden. Es geht vor allem um den Protest gegen die Pläne von ausländischer Gläubigertroika (EU, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds) und einheimischer Regierung, das bereits auf knapp 1,5 Millionen angewachsene Heer der Arbeitslosen um weitere Zehntausende Staatsbedienstete zu vergrößern. Bisher wurden schon mehrere tausend Lehrer, die Hausmeister an den Schulen, die direkt den Gemeinden unterstellten Polizisten sowie mehr als tausend Verwaltungsangestellte an den Hochschulen in einen sogenannten Pool der »Verfügbarkeit« verschoben. Die derart Geschaßten beziehen noch für acht Monate den größten Teil ihres Grundgehaltes weiter. Wer innerhalb dieser Frist nicht an anderer Stelle in den öffentlichen Dienst übernommen wird, wird endgültig entlassen.

Wegen der Streiks sind gestern und heute die Behörden, Schulen, Hochschulen und auch die Gerichte des Landes geschlossen. Ärzte und Pflegepersonal der staatlichen Krankenhäuser sind ebenfalls beteiligt, weswegen im staatlichen Gesundheitswesen für zwei Tage nur Notfälle behandelt werden. Von den im Dachverband der Gewerkschaften im privaten Sektor, GSEE, organisierten Arbeitern schlossen sich verschiedene Gewerkschaften am Mittwoch für einige Stunden dem Ausstand an. Deswegen gab es zeitweise weder Zug- noch Schiffsverkehr.

Die derzeitige Streikwelle war vor allem von den Gewerkschaften der Ober- und Mittelschullehrer angestoßen worden. Zwar hatte sich deren Branchenverband OLME nicht auf einen einheitlichen Vorschlag zum Widerstand gegen die systematische Schließung von Schulen und die damit verbundene Entlassung mehrerer tausend Lehrkräfte einigen können. In gut besuchten Vollversammlungen der regionalen Lehrergewerkschaften (ELMEs) war jedoch mit überwältigender Mehrheit der Beschluß zum Dauerstreik gefaßt worden. Danach werden sämtliche Mittel- und Oberschulen jeweils für eine Woche bestreikt. Am Wochenende beraten die Vollversammlungen der regionalen ELMEs über eine Fortsetzung des Ausstandes.

Nach Meldungen der Gewerkschaften war die Teilnahme in den ersten Tagen des Streiks sehr hoch. Aus vielen Regionen des Landes wurden Zahlen über 90 Prozent genannt, die meisten Schulen blieben deswegen geschlossen. Selbst das Bildungsministerium gestand eine mindestens 70prozentige Streikteilnahme ein. Unterstützt werden die Lehrkräfte vielerorts durch ihre Schüler, die ihre Bildungseinrichtungen besetzt haben. Die ebenfalls von den Entlassungen und Schulschließungen betroffenen Grundschullehrer haben sich dem Widerstand durch die Teilnahme am zweitägigen Generalstreik im öffentlichen Dienst angeschlossen. In außerordentlichen Vollversammlungen am heutigen Donnerstag soll über weitere Aktionen beraten werden. Die Lehrer an den privaten Schulen des Landes hatten bereits am Wochenanfang für zwei Tage die Arbeit niedergelegt. Sie sind zwar weniger von Schulschließungen und Entlassungen, dafür aber von Lohnkürzungen und drastischen Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen betroffen. Die ganze Woche über streiken die ebenfalls von Entlassung bedrohten, bei den staatlichen Sozialversicherungskassen und den griechischen Arbeitsämtern Angestellten.

Bereits am Montag hatten in die »Verfügbarkeit« entlassene Hausmeister an den Schulen mit einer Kundgebung im Hof des für die Maßnahmen verantwortlichen Ministeriums für Verwaltungsreformen gegen die komplette Abschaffung ihrer Arbeitsplätze protestiert. Die Kundgebung der friedlichen Demonstranten war von der Polizei mit Tränengas aufgelöst worden.

**** Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. September 2013


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