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Umzug nach Griechenland

Eine kleine französische Airline möchte Lohnkosten sparen

Von Andrea Klingsieck, Paris *

Die französische Charterfluggesellschaft »Air Méditerranée« greift angesichts ihrer schwierigen finanziellen Lage zu brutalen Mitteln. Sie stellt ein Drittel ihrer Belegschaft vor die Wahl: Arbeitsplatzverlust oder Umzug nach Griechenland.

Die »Air Méditerranée« mit Sitz in Toulouse hat zuletzt Verluste eingeflogen: 2,6 Millionen Euro für 2010 und nach eigenen Angaben kaum weniger im Jahr 2011 - bei einem Umsatz von 200 Millionen Euro. Schuld waren die Wirtschaftskrise, die Auswirkungen des arabischen Frühlings auf den Flugverkehr in die Länder des Maghreb sowie die Konkurrenz aus Osteuropa. Antoine Ferretti, Hauptaktionär und Generaldirektor der 1997 gegründeten Fluggesellschaft mit aktuell 230 Angestellten, befürchtet im Falle eines dritten schlechten Jahres, Konkurs anmelden zu müssen.

Auf der Suche nach Lösungen reicht der Blick des Generaldirektors über die französischen Grenzen hinaus - nach Griechenland. Schon vor einen Jahr hatte Ferretti dort die Tochtergesellschaft »Hermès Airlines« gegründet, um nach und nach an die Stelle der ruinierten griechischen Fluggesellschaften zu rücken. Ab diesem Sommer werden voraussichtlich bereits sechs der zehn Flugzeuge der französischen Muttergesellschaft unter griechischer Flagge fliegen.

Ende 2011 hatte der Generaldirektor einen Sozialplan für »Air Méditerranée« angekündigt. Wie es das Arbeitsrecht vorschreibt, wurde den 85 betroffenen Angestellten eine Weiterbeschäftigung innerhalb der Gruppe angeboten, also in Griechenland. Mit einem um 30 Prozent geringeren Gehalt und dem Verlust französischer Sozialleistungen wie Kranken- oder Rentenversicherung. Eine Stewardess, die bei »Air Méditerranée« bisher netto 1200 Euro monatlich verdiente, bekäme unter griechischem Vertrag nur noch 900 Euro. Das Gehalt eines Flugkapitäns würde von 5000 auf 3700 Euro fallen. Dabei sind die Gehälter bei »Air Méditerranée« bereits niedriger als bei sämtlichen anderen französischen Fluggesellschaften, heißt es von Seiten der Fluggewerkschaft SNPC. »Mir ist klar, dass ein solches Angebot krass ist, aber wir sind gesetzlich dazu verpflichtet«, räumt Ferretti selbst ein.

»Krass« ist ein passendes Wort. Man könnte auch von »Lohndumping« und »Erpressung« sprechen, denn Griechenland ist mit Sicherheit eines der EU-Länder, wohin derzeit niemand freiwillig umziehen möchte. Als Alternative dazu gibt es aber nur noch den Verlust des Arbeitsplatzes.

Während der Airline-Chef von »Umstrukturierung« spricht, handelt es sich für die Gewerkschaften schlicht und einfach um eine Verlagerung ins Billiglohnausland. Nach ihren Angaben sei heute schon die Besatzung der Hälfte aller Flüge von »Air Méditerranée« griechisch. »Sie nehmen unsere Flugzeuge, registrieren sie in Griechenland neu, und setzen dann griechische Piloten ans Steuer«, empört sich Gewerkschaftsvertreter Denier Roumier gegenüber dem Radiosender Europe1. Er befürchtet zudem einen Präzedenzfall. Nach Informationen der Tageszeitung »Libération« haben mehrere Konkurrenten Ferretti bereits zu seiner Entscheidung beglückwünscht. Da dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis andere französische Fluggesellschaften ihre Flotte und ihre Angestellten ebenfalls ins Ausland verlagern.

* Aus: neues deutschland, 5. März 2012


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