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Terror in Hellas

Im Gefolge von Krise und Austeritätsdiktat erstarken die Faschisten in Griechenland. Motor der Gewalt gegen Migranten und Linke ist die Organisation "Chrysi Avgi"

Von Thomas Eipeldauer *

Wenn Neuankömmlinge vor ihm stehen, zeigt Yunus Mohammadi ihnen eine Karte von Athen. Darauf sind rote Linien eingezeichnet, die umrandeten Gebiete sollten Ausländer meiden. Früher habe er in Afghanistan dem Roten Kreuz ebensolche Karten zur Verfügung gestellt, erzählt der Präsident der Vereinigung der Afghanen in Griechenland der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). Vorstellbar war es für ihn nicht, daß er mitten in Europa erneut solche Orientierungshilfen würde anfertigen müssen.

Innerhalb der eingezeichneten No-Go-Areas treiben die faschistischen »Bürgerwehren« ihr Unwesen, Banden junger Männer, deren einziges Ziel Gewalt und Terror gegen alles ist, was ihrer Ansicht nach nicht nach Hellas gehört: Ausländer, Muslime, Linke. Die Überfälle folgen immer demselben Muster: Gruppen schwarzgekleideter Vermummte, bewaffnet mit Flaschen, Knüppeln, Eisenstangen, jagen meist einzelne Menschen.

Der Motor des Anstiegs rassistischer und antilinker Gewalttaten ist die Organisation »Chrysi Avgi«, »Goldene Morgendämmerung«. Vor der Krise und dem von der EU-Troika aufgenötigten Kaputtsparen des Landes lag die Neonazitruppe um ihren Chef Nikolaos Michaloliakos in der Wählergunst weit unter der Ein-Prozent-Marke. Mittlerweile sehen Umfragen sie bei über zehn Prozent. Ihre schwarze Hemden tragenden Schlägergarden sind um ein Vielfaches größer und präsenter geworden. Ihr Programm ist klassisch faschistisch: Blut-und-Boden-Ideologie, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Haß auf alles »Nichtgriechische«, außenpolitischer Expansionsdrang, Führerprinzip, militaristisches Säbelrasseln, Hitler und Alfred Rosenberg als Referenzfiguren.

Und der Staat? Die enge Verbindung von Polizei und Neofaschisten, vor allem in Athen, ist längst kein Geheimnis mehr. Unter Polizisten erreicht »Chrysi Avgi« signifikant bessere Wahlergebnisse. Er denke, es seien nun »mehr als 50, 60 Prozent der Polizisten, die uns folgen, vielleicht mehr, ihre Zahl wächst jeden Tag«, brüstet sich Ilias Panagiotaros, Eigentümer eines Hooliganshops und Parlamentsabgeordneter der Nazipartei.

Dennoch hat »Chrysi Avgi« kaum eine Chance, stimmenstärkste Partei zu werden, und auch in den Betrieben ist ihr Einfluß eher gering. Eine Machtergreifung über Wahlen oder Streiks ist ihr auf mittlere Frist sicher nicht möglich. Plausibel ist aber, daß ihre Strategie eine andere ist: durch zunehmende Gewalt das Eingreifen des Staates, im äußersten Fall des Militärs, zu provozieren.

Im Interview mit der britischen BBC spricht Ilias Panagiotaros Klartext: Das Land sei reif für »einen neuen Typ von Bürgerkrieg. Auf der einen Seite werden Nationalisten wie wir und Griechen, die unser Land so haben wollen, wie es einst war, stehen – und auf der anderen Seite werden illegale Immigranten und Anarchisten und all jene stehen, die Athen und Griechenland schon mehrfach zerstört haben.«

Doch in Griechenland sind zugleich zumindest potentiell auch die Mittel vorhanden, um der Morgendämmerung einen raschen Sonnenuntergang zu bereiten: Sollten sich die Kräfte auf der Linken – KKE, SYRIZA, Antarsya und die Linksradikalen – auf einen gemeinsamen Kurs einigen können, würde man schwarze Hemden mit runenähnlichen Buchstaben wohl wieder seltener im Stadtbild Athens zu Gesicht bekommen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 07. Dezember 2012


"Feige Kriminelle im Dienst des Systems«

Über den Terror der Neofaschisten und seine ideologischen Wurzeln. Gespräch mit Petros Papakonstantinou **


Die griechische Tageszeitung Kathimerini nannte »Chrysi Avgi« die am »schnellsten wachsende politische Partei des Landes«. Was sind die Gründe für den Erfolg der Neofaschisten?

Die extreme Rechte hatte immer einen erheblichen Einfluß auf Teile der griechischen Gesellschaft nach dem Bürgerkrieg von 1944 bis 1949 und der Militärdiktatur von 1964 bis 1974. Ihre Stärke spiegelte sich allerdings nicht in den Wahlresultaten wider, weil die Wähler im Normalfall für die – allerdings ebenso autoritären, rechten – Mainstreamparteien, nach 1974 vor allem die Nea Dimokratia, stimmten.

»Chrysi Avgi« war ein marginales Grüppchen bis zur letzten Wahl, als sie zu ungeahnten Höhen aufstieg und knapp sieben Prozent erreichte.

Der Hauptgrund dafür ist der Zorn über die sozialen Verhältnisse, die drakonischen Austeritätsmaßnahmen, die den Griechen von der EU-Troika aufgezwungen werden, und über die aus der sozialistischen PASOK und der rechtskonservativen Nea Dimokratia gebildeten Regierungen. Deren Politik führte zum Kollaps der traditionellen Dominanz der zwei Großparteien: Die PASOK ist völlig ruiniert, Nea Dimokratia ist merklich geschrumpft. Die entstandene weitgehende Unzufriedenheit der Bevölkerung hat zum größeren Teil zu einem Linksruck geführt, der sich im Erfolg der radikalen linken SYRIZA ausdrückt, die gute Chancen hat, die nächste Regierung zu stellen. Zu einem kleineren Teil führte die Krise der Mainstreamparteien zum Aufschwung der Rechtsextremen, die derzeit von der »Goldenen Morgendämmerung« repräsentiert werden.

Welche programmatischen Eckpunkte verfolgt die faschistische Partei?

»Chrysi Avgi« entstand in den frühen 80er Jahren als offen pronazistische, nationalsozialistische Gruppe, die begeistert von der Militärjunta von Georgios Papadopoulos war und ein Amalgam aus Nazisymbolik, altgriechischem Heidentum und »arischem« Rassismus vor sich hertrug. Ab der Mitte der 90er Jahre machte sie eine Zeit des graduellen Wandels zu einer ultranationalistischen Partei durch, obwohl sie Sympathien für Hitler und sein Erbe nie aufgab. Sogar nach dem Einzug ins griechische Parlament verwenden die Anhänger der »Goldenen Morgendämmerung« immer noch den Hitlergruß und lassen keine Gelegenheit aus, um gegen die »Gewinner des Zweiten Weltkriegs« zu wettern. Ihre heidnische Ausrichtung haben sie allerdings etwas abgeschwächt, um Sympathien der traditionellen griechisch-orthodoxen Wähler nicht zu verspielen. Das, was die verschiedenen Teile dieses ideologischen Amalgams zusammenhält, ist Antimarxismus, extremer Nationalismus und die Verherrlichung von Gewalt. Deshalb handelt »Chrysi Avgi« auch weniger wie eine politische Partei, sondern eher wie eine gegen die Linke, Immigranten und Minderheiten vorgehende Gang.

»Chrysi Avgi« ist bekannt für ihren Terror gegen Migranten und linke Aktivisten. Können Sie beschreiben, wie die Gruppe dabei vorgeht?

Ich lebe in Kypseli, einem Innenstadtbezirk von Athen, der sehr von der ökonomischen Krise in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Hier gibt es eine Menge geschlossener Geschäfte, besonders hohe Arbeitslosigkeit und eine große Anzahl von Immigranten, meistens aus dem subsaharischen Afrika. Die »Goldene Morgendämmerug« erreichte hier mehr als zwölf Prozent bei den letzten Wahlen. Allerdings ist sie, anders als die faschistischen Parteien der 30er Jahre keine »Massenbewegung«. Sie hat keinerlei Einfluß auf die Generalstreiks, auf die Großdemonstrationen gegen die Regierung oder etwa die Proteste gegen den Besuch Angela Merkels in Athen.

»Chrysi Avgi« handelt eher wie ein paramilitärisches Hilfswerk, sie will sich als die »starken Jungs, die für die schweigende Mehrheit die Drecksarbeit erledigen« inszenieren: Die Mitglieder treten in militärischen Uniformen auf, starten Lynchangriffe auf Immigranten, insbesondere kleine Händler, erpressen Unternehmer, afrikanische oder pakistanische Arbeiter zu entlassen und griechische anzustellen – allerdings zum selben miserablen Lohn und ohne jedwede soziale Absicherung. Sie bieten Blutspenden »nur für griechische Patienten« an, terrorisieren das »linke Establishment« in den Schulen, also Lehrer, die keine nationalistischen und rassistischen Stereotype wiederkäuen wollen – und so weiter.

Egal, wie sehr sie sich als entschlossene »Antisystembewegung« präsentieren wollen, erweisen sie sich doch als feige Kriminelle im Dienst eben jenes Systems, das sie anprangern: fügsam gegenüber den Mächtigen, also den Bankern, den Reedern, den Fabrikeignern, denen sie als Securities dienen, anmaßend und rabiat gegen die Schwachen.

Wie reagieren die großen linken Parteien KKE und SYRIZA? Was gibt es an antifaschistischen Aktionen gegen die »Goldene Morgendämmerung«?

Die linken Parteien haben sich nicht zu Straßenkämpfen gegen »Chrysi Avgi« hinreißen lassen – und das zu Recht. Würden sie das tun, ließen sie sich auf das Feld irrationaler, nihilistischer Gewalt »zwischen den zwei Extremen« locken, was die arbeitende Mehrheit der Bevölkerung zur politischen Geisel der neoliberalen »Mitte« machte.

Die griechische Linke versucht, »Chrysi Avgi« ideologisch zu isolieren, insbesondere in den Betrieben und Schulen. Sie versucht, Netzwerke sozialer Solidarität zu organisieren, antirassistische Festivals und antifaschistische Demonstrationen durchzuführen. Auf diesem Weg gab es schon Erfolge. Das größte Problem der griechischen Linken liegt allerdings in ihrer tiefen internen Spaltung.

Interview: Thomas Eipeldauer

* Aus: junge Welt, Freitag, 07. Dezember 2012


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