Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Selbst das Schmieren von Parolen hat aufgehört"

Im Athener Stadtteil Kallithea sind die Faschisten der Chrysi Avgi (Goldene Morgendämmerung) gescheitert. Ein Gespräch mit Anna Zogani *


Anna Zogani ist Gymnasiallehrerin in Athen für Philosopie, Alt- und Neugriechisch und im Stadtteil Kallithea in der »Initiative gegen Faschismus und rassistische Gewalt«.


Sie sind in der »Initiative gegen Faschismus und rassistische Gewalt« in Kallithea, einem Stadtteil von Athen, aktiv. Hat es in der letzten Zeit Übergriffe von Neofaschisten gegeben?

Den ersten im Mai, ein Brandanschlag auf einen als Moschee genutzten Gebetsraum. Ab Herbst stand dann eine Gruppe von Faschisten der Chrysi Avgi regelmäßig abends am Eingang der Metrostation von Kallithea »Wache«. Sie forderten beispielsweise von Schülern, die Antifa-Armbänder tragen, sie sollten diese abnehmen.

Hat sich die Situation nach Einzug der Chrysi Avgi ins Parlament verschlechtert?

Nach der Wahl im Mai hat es zwei brutale Angriffe der Faschisten gegeben. Der erste auf drei Ägypter, die gerade eine Polizeiwache verließen. Sie wurden von einer Bande schwarzgekleideter Vermummter auf Motorrädern mit Knüppeln und Schlagringen angegriffen und krankenhausreif geschlagen.

Ein zweiter Angriff, wieder auf Ägypter, fand auf dem zentralen Platz im Viertel statt. Hier griff plötzlich ungefähr ein Dutzend mit Skimasken vermummter Jugendlicher zwei Männer an. Sie schlugen sie zusammen, der eine wurde mit einem Messer oder einem Schraubenzieher in den Rücken gestochen. In Kallithea leben ungefähr 3000 Menschen aus Ägypten, viele sind vor Jahrzehnten im Rahmen eines Abkommens zwischen beiden Staaten hierher gekommen.

Wie entstand die »Initiative gegen Faschismus und rassistische Gewalt« in Kallithea?

Auslöser war ein Vorfall im Februar an einer Mittelschule. Ein als Kurier arbeitender Pakistaner wurde von fünf mit Eisenstangen und Schlagringen bewaffneten Schülern im Alter von 15 oder 16 Jahren in der Pause direkt vor der Schule zusammengeschlagen. Daraufhin wurde die regionale Lehrergewerkschaft aktiv. Unsere Schule war von Anfang an dabei, auch bei uns hatte es rassistische Wandschmierereien gegeben, die von Schülern wieder weggeputzt wurden. Auch einige Lehrer waren sofort mit von der Partie.

Was hat die Initiative bisher auf die Beine gestellt?

Einmal in der Woche tagt die Versammlung und zwar in der Schule, in der der rassistische Angriff stattgefunden hat. Unsere erste Aktion war ein Konzert zum Kennenlernen. Das war sehr gut besucht und hat uns viel Mut gemacht.

Danach sind wir in die Schulen gegangen, haben Veranstaltungen am Tag gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gemacht, Transparente aufgehängt und vieles mehr. Außerdem wurden an vielen Tagen Flugblätter verteilt, es wurde informiert und diskutiert. Dabei haben besonders Schüler eine aktive Rolle gespielt. Dann haben wir noch zwei Demonstrationen organisiert, von denen sich die erste spontan aus einer Kundgebung nach den beiden genannten Angriffen auf die Ägypter heraus entwickelte. Die zweite war Anfang Juni, an ihr nahmen 600 bis 700 Leute teil, was für unseren Stadtteil sehr viel ist.

Hat die Initiative Erfolge zu verzeichnen?

Seit der großen Demonstration hat es keine Angriffe mehr gegeben. Die Faschisten scheinen abgezogen zu sein. Selbst die Schmierereien mit ihren Parolen haben aufgehört. Das ist sicher der Tatsache zu verdanken, daß wir hier zusammen mit Migranten eine starke antifaschistische Front gebildet haben, es wurden eine Menge Leute mobilisiert. Den ganzen Winter über konnte man nach 21 Uhr Uhr nicht auf den zentralen Platz gehen, weil die Faschisten dort »Wache hielten«. Jetzt sind sie verschwunden.

Ist Faschismus oder die Zeit der Besatzung Griechenlands durch die Nazis Gegenstand des Unterrichts an den Gymnasien?

Geschichte wird in drei Teilen unterrichtet, alles nach der französischen Revolution steht theoretisch auf dem Lehrplan der Abiturklassen, die aber maximal bis zur nationalen Revolution von 1821, bis zur Konstituierung des griechischen Staates kommen. Die Kinder haben in der Regel keinen Schimmer von Faschismus und der Zeit der Besatzung.

Die Chrysi Avgi rekrutiert gezielt unter Schülern. Geworben wird vor allem über die Fußballfanklubs. Hier finden sie auch einen Boden, was die Gewaltbereitschaft angeht. Wenn solche Schüler dann nicht auf allgemeine Ablehnung bei ihren Mitschülern treffen, können sich an den Schulen faschistische Zellen bilden, die sogar Lehrer einschüchtern.

Interview: Heike Schrader

* Aus: junge Welt, Montag, 2. Juli 2012


Zurück zur Griechenland-Seite

Zurück zur Homepage