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Der Druck auf Athen wächst

Verhandlungen über weitere Kürzungen spalten griechische Politik

Von Anke Stefan, Athen *

Griechenland soll die Sparauflagen der internationalen Gläubiger nicht erfüllt haben. Nun drohen die europäischen Partner damit, keine weiteren Finanzhilfen zu genehmigen. Die linke Opposition glaubt nicht, dass weitere Kürzungen allein das Defizit verringern werden.

José Manuel Barroso reise mit einer zweifachen Botschaft an, kommentierte die griechische Presse die heutige Ankunft des EU-Kommissionspräsidenten in Athen. Danach werde sich Barroso einerseits für den unbedingten Verbleib des schlingernden Mittelmeerstaates in der Eurozone, andererseits auch für die buchstabengetreue Umsetzung der Gläubigervereinbarungen stark machen. Offiziell wurde jedoch abgewiegelt. Sein Gespräch mit dem konservativen griechischen Regierungschef Antonis Samaras sei kein Krisentreffen. Barroso reiste zuletzt im Juni 2009, kurz bevor die Schuldenkrise ausbrach, nach Griechenland.

So wird es in den politischen Gesprächen sehr wohl um die Verhandlungen des neuen Maßnahmenpakets mit der seit Dienstag in Athen weilenden Kontrollkommission des Dreigespanns aus Europäischer Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank über staatliche Einsparungen in Höhe von 11,5 Milliarden Euro für die kommenden beiden Jahre gehen.

Lediglich mit neuen Kürzungen der ohnehin stark beschnittenen staatlichen Investitionen und Sachausgaben sind die geforderten Milliarden aber kaum einzubringen. Innerhalb der Dreiparteienkoalition aus Nea Dimokratia, PASOK und DIMAR werden deswegen bereits auch im Wahlkampf noch kategorisch ausgeschlossene neue Kürzungen von Löhnen und Renten diskutiert. Von blinder Angst vor dem Prüfbericht der Troika, die noch anderthalb Wochen in Athen weilt und ihren Bericht Ende August vorlegen will, zeugt denn auch die Ankündigung des griechischen Finanzministeriums vom Dienstagabend, 213 Behörden abzuschaffen. Damit sollen jährlich rund 40 Millionen Euro gespart werden. Insgesamt werden dabei 5256 Stellen gestrichen.

Solche Sparmaßnahmen sind nach Meinung der linken Opposition zusammen mit den insbesondere die schwachen Einkommen belastenden Sondersteuern und Steuererhöhungen zu einem großen Teil verantwortlich für die anhaltende Schieflage des überschuldeten Mittelmeerstaates. »Die Privatisierungen, die Kürzungen von Löhnen und Renten, die Beschneidungen der staatlichen Ausgaben bedeuten den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ruin des Landes, sie vertiefen die Krise und entfernen das Land von der Eurozone«, heißt es bei der größten Oppositionspartei SYRIZA zu den Plänen der Regierung. Die Linksallianz hat deswegen bereits am 10. Juni eine Gesetzesvorlage ins Parlament eingebracht, mit der die im Februar für die private Wirtschaft beschlossene Senkung aller auf den Mindestlohn beruhenden Löhne, darunter auch das Arbeitslosengeld um 22 Prozent beziehungsweise 32 Prozent für junge Erwerbstätige und die schrittweise Abschaffung des Tarifrechtes über erweiterte staatliche Befugnisse, rückgängig gemacht werden sollen.

Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) reichte wenige Tage später sogar eine Gesetzesvorlage zur Annullierung aller mit den Gläubigern ausgehandelten Memoranden, einschließlich des Abkommens über die Modalitäten der Schuldenrückzahlungen, ein. Ein Termin für die parlamentarische Diskussion der beiden Vorlagen steht noch nicht fest. SYRIZA hat bereits angekündigt, nur einen Teil der von der KKE geforderten Annullierungen zu unterstützen. Man stimme mit der Vorlage als Ganzes nicht überein, so der Sprecher der Linksallianz, Panos Skourletis, denn sie fordere für die Überwindung der Krise den Austritt aus der EU.

Großen Wert legen sowohl die Linksallianz als auch die Kommunisten auf die Vernetzung ihrer Parteien mit der griechischen Gewerkschaftsbewegung. Als auf Anweisung des Ministerpräsidenten Samaras vergangenen Freitag Einheiten der griechischen Bereitschaftspolizei das seit über neun Monaten bestreikte Stahlwerk Elliniki Chalyvouirgia stürmten, um Streikbrechern den Zugang zu öffnen, eilten Parlamentarier beider Parteien umgehend zum Werk.

In den vergangenen zwei Wochen fanden zahlreiche Treffen der Parteien mit Gewerkschaftsorganisationen, insbesondere der von Privatisierung bedrohten staatlichen Schlüsselindustrien, statt. Der Gewerkschaftsdachverband der staatlichen Angestellten ADEDY ruft unterdessen seine Mitglieder zur Unterstützung »aller Initiativen auf politischer, institutioneller, parlamentarischer und gesellschaftlicher Ebene« auf, die am Sturz der Memorandumspolitik arbeiten.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 26. Juli 2012

Hintergrund: Die Troika in Athen

Was ist die Troika?

Finanzexperten von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) bilden die sogenannte Troika. Diese »Männer in Schwarz«, wie der spanische Finanzminister Luis de Guindos die Troika-Experten kürzlich nannte, prüfen in regelmäßigen Abständen, ob die unter den Euro-Rettungsschirm geflüchteten Länder die im Gegenzug für Milliardenhilfen vereinbarten Auflagen erfüllen. Das heißt, die Regierungen müssen ihre Bücher öffnen, Reformen erläutern und Versäumnisse rechtfertigen. Anschließend verfasst die Troika einen Bericht, auf dessen Grundlage IWF und Eurozone über die Auszahlung weiterer Kredite entscheiden. Im April 2010 wurde so das erste Hilfspaket für Griechenland beschlossen, der IWF war mit 25 Milliarden Euro an den Kreditbürgschaften beteiligt. Insgesamt bürgen IWF, EU-Kommission und EZB mit dem Hilfspaket für 92 Milliarden Euro. Mit dem zweiten Hilfspaket wurden Griechenland Kredite in Höhe von 130 Milliarden Euro zugesagt.

Wie lange ist die Troika in Griechenland?

Die Troika-Experten sind am Dienstag in Athen eingetroffen. Heute steht ein Gespräch mit Finanzminister Iannis Stournaras auf dem Terminplan. Es dürfte unangenehm werden: Griechenland hängt wohl bei bei der Umsetzung von Reformen und dem Verkauf von Staatsbesitz hinter den Auflagen zurück. Die Privatisierung geht nur schleppend voran, da sich kaum Investoren finden. Auch zugesagte Kürzungen bei den Staatsausgaben, insbesondere Entlassungen, sowie eine Reformierung des Steuersystems und der Steuerbehörden stünden weiter aus, heißt es. Um den Staat »zu verschlanken«, kündigte die Regierung am Dienstag an, 213 Behörden abschaffen zu wollen. Damit sollen jährlich 40 Millionen Euro gespart werden. Die Staatsbediensteten sollen entweder in Rente gehen oder in andere staatliche Behörden versetzt werden. Die internationalen Geldgeber machen Druck, sie verlangen die Entlassung von etwa 150 000 Staatsbediensteten bis 2015.

Griechenland bittet für die Umsetzung der Sparauflagen um einen Aufschub. Das hieße jedoch, dass das Land mehr Geld als die für das zweite Hilfsprogramm vereinbarten 130 Milliarden Euro benötigt. Die Geduld der Geldgeber mit Griechenland schwindet indes.

Wann soll der Prüfbericht der Troika vorliegen?

Finanzminister Stournaras hofft, dass die Vertreter der Geldgeber ihren Bericht bis Ende August fertiggestellt haben – und dann die Entscheidung über die Freigabe einer Kreditrate in Höhe von 31,5 Milliarden Euro aus dem zweiten Hilfsprogramm fallen kann. Allerdings kommt Griechenland nicht so lange ohne neues Geld aus. Die Regierung in Athen muss am 20. August 3,2 Milliarden Euro an die EZB zurückzahlen, die sie nicht hat. Für dieses Problem muss also schon vor Ende des kommenden Monats eine Lösung gefunden werden. (nd/AFP)




Philipp Röslers Spiel mit dem Feuer

Das Krisenmanagement der Bundesregierung steuert auf den Austritt Griechenlands aus dem Euro an

Von Kurt Stenger **


Das Ergebnis der Prüfung der griechischen Finanzen durch die »Troika« wird wohl ähnlich aussehen wie bei früheren Kontrollen. Doch das politische Umfeld ändert sich: In Berlin, wo über das Schicksal Griechenlands entschieden werden wird, scheinen die Signale auf »Rot« zu springen.

Die Alternativlosigkeit des Euro-Krisenmanagements wird selbst innerhalb der Bundesregierung infrage gestellt. Wirtschaftsminister Philipp Rösler nutzte Fernsehkameras und Sommerloch, um über einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone nachzudenken.

Neu sind solche Äußerungen nicht. Vom ultrakonservativen Flügel der Union wurden Kredite, für die der deutsche Steuerzahler im Pleitefall geradestehen müsste, immer infrage gestellt. Und in der FDP gab es Bauchschmerzen, weil nicht der marktkonforme Weg beschritten wird, sondern auf Rettungsmaßnahmen der Eurostaaten gesetzt wird. Im Grunde hat Angela Merkel die internen Kritiker selbst auf den Plan gerufen. Seit es in Griechenland erste Probleme mit der Refinanzierung der Staatsschulden gab, erklärt sie, die Griechen seien allein am Schlamassel schuld. Für die Unions-Basis ist es daher schleierhaft, warum es überhaupt Rettungskredite geben sollte. Der abstrakte Verweis auf den Euro war nicht wirklich überzeugend.

Dass die Krise andere Ursachen hat - die Nachwehen der Finanzkrise 2008/9, Spekulation und die falsche Ausgestaltung der EU-Währungsunion -, wird geleugnet. Daher blockiert die Bundesregierung wirksame Maßnahmen. Statt auf Euro-Solidarität zu setzen und die Krisenverursacher zahlen zu lassen, muss Athen Sparauflagen erfüllen, die die Krise noch verschärften. Die ständig geäußerten Zweifel über die Auszahlung der nächsten Tranchen der vereinbarten Hilfskredite sorgten für neue Verunsicherung an den Finanzmärkten - Nährboden der Spekulation gegen immer mehr Länder. Die Rettungstöpfe mussten ständig erweitert werden.

Die Kanzlerin ist in eine Sackgasse eingebogen und tritt immer stärker aufs Gaspedal. Die Mauer rückt in Sichtweite: Bei Spanien dürfte ein staatlicher Rettungsantrag schon im August kommen; hier könnte es um eine Summe von 300 Milliarden Euro gehen. Italien würde mit hoher Wahrscheinlichkeit folgen. Selbst der neue permanente Rettungsschirm ESM wäre zu klein. Auch Athen dürfte mehr Geld brauchen, da man mit der Umsetzung der Sparvorgaben überfordert ist. Doch ob es dafür Mehrheiten in den Parlamenten der Euroländer gibt, ist fraglich. Auch die deutsche Regierungskoalition lehnt neue Mittel für Athen bisher ab - dabei würde es sich um eher kleine Summen handeln. Allerdings soll erst in einigen Wochen, wenn die »Troika« für Klarheit über die griechischen Finanzen gesorgt hat, über das weitere Vorgehen beraten werden.

Wenn Vizekanzler Rösler Athen jetzt den Austritt nahelegt, treibt er die Strategie der Kanzlerin auf die Spitze. Dabei dürfte es sich nicht nur um das übliche Verbalgepolter gegen die »Pleite-Griechen« handeln. Der FDP-Chef will bis zur Wahl 2013 seine Partei wieder bundestagsfähig machen. Da das extrem hohe Ergebnis 2009 auch deshalb zustande kam, weil sich die FDP massiv gegen die ebenfalls unpopulären Staatshilfen etwa für Opel aussprach - warum sollte dies nicht wieder gelingen? Und ein Austritt des Wirtschaftszwergs Griechenland wird schon nicht viel Schaden anrichten, so das Kalkül.

Doch dabei handelt es sich um ein Spiel mit dem Feuer. Kehrt Athen zur Drachme zurück, würde diese sofort massiv abwerten und sich der wirtschaftliche Kollaps noch beschleunigen. Die Kredite der Europartner könnten nicht mehr komplett bedient werden - dies würde sich auch auf den Bundeshaushalt negativ auswirken.

Vor allem droht dann erneut der Dominoeffekt: Die Eurozone könnte auseinanderbrechen - mit Folgen, die sich niemand so recht ausmalen kann und will.

*** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 26. Juli 2012


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