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Athen macht Sozialsprengstoff scharf

Gegen das neue Sparpaket der griechischen Regierung ist der Widerstand programmiert

Von Anke Stefan, Athen *

Diesmal wird es von Anfang an Widerstand geben: Wenige Stunden bevor Giorgos Papandreou das zweite mit der EU abgesprochene »Maßnahmenpaket« verkünden ließ, demonstrierten Hunderte Rentner vor dem Sitz des griechischen Ministerpräsidenten.

Etwa 60 Prozent der bei der größten staatlichen Sozialversicherungsanstalt IKA versicherten Rentner beziehen weniger als 600 Euro im Monat bei Lebenshaltungskosten, die sich nicht wesentlich von denen in Deutschland unterscheiden. Eine Aussicht auf Besserung gibt es nicht: Die seit 2008 nicht erhöhten Renten bleiben auch 2010 eingefroren. Auch von anderen neuen Einschnitten sind die Rentner betroffen.

Die am Mittwoch (3. März) vom Regierungssprecher bekannt gegebenen neuen Umverteilungsmaßnahmen beinhalten eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 19 auf 21 Prozent im Hauptsteuersatz. Der für Lebensmittel geltende ermäßigte Satz wird um einen Prozentpunkt auf 10, der unter anderem für Zeitungen und Bücher geltende Niedrigsatz von 4,5 auf 5 Prozent erhöht. Die bereits im ersten Sparpaket erhöhte Mineralölsteuer wird nochmals aufgestockt, sodass die Preise bei Benzin um 8 Cent und beim Heizöl um 3 Cent pro Liter steigen. Ebenfalls zum zweiten Mal werden auch die Steuern auf Tabak und Alkohol erhöht. Insgesamt erhofft sich die Regierung 4,8 Milliarden Euro Entlastung für die Staatskasse.

Davon fallen 700 Millionen Euro auf Einsparungen bei den Bezügen der öffentlichen Angestellten, die den eigentlichen Sprengstoff des neuen Maßnahmenpakets bilden. Sie sollen durch die Beschneidung des Weihnachtsgeldes um 30 Prozent, des Urlaubsgeldes und der Osterzulage um ebenfalls 30 Prozent und einer neuen 12-prozentigen Kürzung bei den Lohzuzahlungen erreicht werden. Bereits im ersten Paket waren den Staatsbediensteten die Lohnzuzahlungen um 10 Prozent gekürzt worden.

Das Weihnachtsgeld bildet in Griechenland das 13., Urlaubsgeld und Osterzulage zusammen ein 14. Monatsgehalt. Beide Zusatzgehälter werden von den Lohnabhängigen überwiegend nicht für Geschenke oder Urlaub, sondern für Abzahlungen von Darlehen oder andere fest im Familienbudget stehende notwendige Ausgaben gebraucht. Es steht zu erwarten, dass sich besonders gegen diese Maßnahme erbitterter Widerstand bildet, auch vor dem Hintergrund, dass der Unternehmerverband die vom Staat gelieferte Vorlage sicherlich für eine Kürzung der entsprechenden Gelder auch bei den in der privaten Wirtschaft Beschäftigten nutzen wird. Der Gewerkschaftsdachverband der öffentlichen Angestellten ADEDY hat bereits einen neuen landesweiten Streik für den 16. März ausgerufen. Die kommunistisch orientierte Gewerkschaftsfront PAME mobilisierte ihre Mitglieder schon am Mittwoch auf Kundgebungen in Athen. Für den heutigen Donnerstag hat die PAME zu einer zentralen Kundgebung vor dem griechischen Parlament aufgerufen.

In Berlin, wo Premier Giorgos Papandreou am Freitag (5. März) erwartet wird, lobte Kanzlerin Angela Merkel die Milliarden-Sparliste als wichtiges Signal, dass Athen seine Hausaufgaben macht. Zuvor hatte sich Merkel laut Medien mit Außenminister Guido Westerwelle und weiteren Kabinettsmitgliedern zu einem vertraulichen Spitzengespräch getroffen. Dabei sei besonders die Frage erörtert worden, ob und welche Hilfe die Bundesregierung der griechischen Regierung in Aussicht stellen könne. Die Teilnehmer seien sich einig gewesen, dass Griechenland sich zunächst aus eigener Kraft helfen müsse.

* Aus: Neues Deutschland, 4. März 2010


Rechnungslegung auf griechisch

Arme besonders betroffen: Regierung in Athen stellt milliardenschweres Kürzungsprogramm vor **

Die griechische Regierung hat am Mittwoch ein Kürzungsprogramm vorgestellt, das unter anderem Steuererhöhungen und Einschnitte bei Gehältern im öffentlichen Dienst vorsieht. Damit will das vom Staatsbankrott bedrohte, hochverschuldete Land offenbar Voraussetzungen für Hilfen anderer EU-Staaten schaffen. Wie Regierungssprecher Giorgos Petalotis in Athen erklärte, sollen im öffentlichen Dienst das 13. Gehalt um 30 Prozent und das 14. Gehalt um 60 Prozent gekürzt werden. Die Höhe von Rentenzahlungen soll sowohl für Beamte als auch für Angestellte im Privatsektor eingefroren werden.

Teil des insgesamt 4,8 Milliarden Euro umfassenden Kürzungspaketes sind eine Reihe von Steuererhöhungen: So sollen die Abgaben auf Alkohol, Tabak, Benzin und Luxusgüter erhöht werden. Noch schmerzhafter, vor allem für Geringverdiener, wird die Steigerung der Mehrwertsteuer von 19 auf 21 Prozent sein.

Seinen »Repekt« für die neuerlichen Streichungen verkündete Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Die Beschlüsse des griechischen Kabinetts »gehen in die richtige Richtung« erklärte der Mann, dessen Planer für das kommende Haushaltsjahr im eigenen Lande von mehr als 80 Milliarden Euro neuer Schulden ausgehen.

Weiteres Ungemach droht den Hellenen aus Washington: Wie die Nachrichtenagentur ANA meldete, schloß Regierungschef Giorgos Papandreou auch eine Bitte um Hilfen des Internationalen Währungsfonds (IWF) nicht aus, sollte Brüssel dem Land nicht zur Seite stehen. Zuvor hatte er die EU zur »Solidarität« mit Griechenland aufgerufen.

Der Mittelmeerstaat hat ein Defizit von 12,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und soll es binnen eines Jahres auf 8,7 Prozent senken.

** Aus: junge Welt, 4. März 2010


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