Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Merkel bürgt nun doch

Bundesregierung bringt Gesetz zu Griechenland-Krediten auf den Weg *

Während in Griechenland weiter gegen das harte Sparprogramm gestreikt wird, bringt die deutsche Regierung die Kredithilfen auf den Weg.

Die Bundesregierung hat die deutschen Milliardenhilfen für Griechenland auf den Weg gebracht. Das Kabinett beschloss am Montag in Berlin Notfall-Kredite von bis zu 22,4 Milliarden Euro. Nach den Koalitionsplänen soll das Gesetz für die Bürgschaft des Bundes im Eilverfahren endgültig stehen. Am Freitag sollen bereits Bundestag und Bundesrat zustimmen.

Insgesamt soll das finanziell angeschlagene Griechenland bis 2012 Kredite von bis zu 110 Milliarden Euro erhalten. Auf die Euro-Staaten entfallen davon 80 Milliarden Euro, der Rest auf den Internationalen Währungsfonds (IWF). Am Freitagabend beraten die Euro-Staaten bei einem Sondergipfel in Brüssel das weitere Vorgehen. Dem Vernehmen nach hatte die Bundesregierung auf einen Gipfel erst am 10. Mai, also nach den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, gedrungen. Deutschland will sich in diesem Jahr mit 8,4 Milliarden Euro am Rettungspaket beteiligen. Das Geld kommt von der Staatsbank KfW. Der Bund garantiert für die Kredite im jetzt auf den Weg gebrachten »Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz«.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte, die Rettungsaktion sei von enormer politischer und wirtschaftlicher Tragweite Es werde nicht nur Griechenland geholfen, sondern die Stabilität des Euro als Ganzes gesichert. Davon profitierten auch die Deutschen.

Die Opposition ließ auch nach einem Meinungsaustausch mit Merkel eine Zustimmung zu dem Gesetz offen. SPD-Chef Sigmar Gabriel erklärte, seine Partei werde nur zustimmen, wenn sich die Bundesregierung glaubwürdig verpflichte, noch 2010 eine umfassende Regulierung der Finanzmärkte anzupacken. Die Grünen forderten einen Bundestagsbeschluss zu einer grundlegenden Euro-Reform. Die stellvertretende Linksfraktionsvorsitzende Gesine Lötzsch erklärte, der Gesetzentwurf leiste »keinen Beitrag, um Griechenland wirklich aus der Krise zu führen«.

Globale Großbanken kündigten derweil eine Unterstützung Griechenlands an. In einer Erklärung des internationalen Bankenverbandes IIF, dessen Präsident Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann ist, heißt es, die Mitglieder wollten »ihren Beitrag bei der Unterstützung der griechischen Regierung und der griechischen Banken« leisten. Vor allem Deutschland und Frankreich pochen auf freiwillige Hilfen privater Banken.

In Athen kündigten griechische Gewerkschaften derweil weitere Streiks gegen das rigorose Sparpaket der Regierung an, das Voraussetzung für die Kredite ist. Am Montag begann ein Ausstand bei der Müllabfuhr. Heute und morgen wollen die Beamten streiken. Am Mittwoch will sich die Gewerkschaft der Privatwirtschaft anschließen. Ministerpräsident Giorgos Papandreou kündigte an, die sozial Schwächsten der Gesellschaft vor dem rigiden Sparkurs in Schutz zu nehmen. Für sie solle ein Sicherungsnetz gespannt werden. Das oberste Anliegen seiner Regierung sei es, eine »gerechte Gesellschaft« zu schaffen, sagte Papandreou. Der griechische Staatspräsident Karolos Papoulias sprach sich dafür aus, Steuersünder zur Rechenschaft zu ziehen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten bereichert hätten.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Mai 2010

Bundeskabinett beschließt deutschen Anteil an Hilfe für Griechenland

Das Bundeskabinett hat am Montag (3. Mai) in einer Sondersitzung den Gesetzentwurf für den deutschen Anteil am Rettungspaket für Griechenland gebilligt. Deutschland erklärt sich bereit, über die staatseigene KfW-Bank für die nächsten drei Jahre Kredite in Höhe von bis zu 22,4 Milliarden Euro bereitzustellen. Im Anschluss an die Kabinettsitzung informierte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Partei- und Fraktionschefs.

Das "Gesetz zum Erhalt der Stabilität der Währungsunion" soll im Eilverfahren unter Dach und Fach gebracht werden. Die erste Lesung im Bundestag findet am Mittwoch statt, dann geht der Gesetzentwurf zu weiteren Beratungen in die zuständigen Ausschüsse. Die Schlussabstimmung im Bundestag sowie das Votum des Bundesrats sollen am Freitag erfolgen. Am gleichen Tag soll Bundespräsident Horst Köhler das Gesetz unterzeichnen.

Die Euro-Finanzminister hatten dem hoch verschuldeten Griechenland am Sonntagabend Notkredite für die kommenden drei Jahre über bis zu 110 Milliarden Euro gewährt. Das Hilfspaket umfasst bis zu 80 Milliarden Euro von den Euro-Staaten und weitere 30 Milliarden Euro vom Internationalen Währungsfonds (IWF).




Spiel mit der Angst vor dem "Haarschnitt"

Die hektische Notkredit-Gesetzgebung ist Ergebnis einer falschen Sicht auf die Griechenland-Krise

Von Kurt Stenger **


Die Bundesregierung hat ein entschiedenes Vorgehen der EU in der Griechenland-Krise lange verhindert. Das milliardenschwere Kreditpaket wurde erst dadurch notwendig.

Mindestens 15 Prozent Zinsen pro Jahr müsste der griechische Staat Investoren bieten, wenn er derzeit an den Kapitalmärkten kurz laufende Staatsanleihen zu platzieren versuche. Dies aber würde den Schuldendienst rapide in die Höhe treiben und den klammen Haushalt unnötig belasten - zu einer Zeit, wo international das Zinsniveau infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise weiter auf niedrigem Niveau liegt. Der Hilferuf Richtung Euro-Partner und IWF war aus Sicht der Regierung in Athen unausweichlich.

So weit kam es aber nur, weil wichtige EU-Politiker versuchten, das Problem auszusitzen. Bereits vor rund einem Jahr - nach den milliardenschweren Kredithilfen für Ungarn und Lettland, die der EU, aber nicht der Euro-Zone angehören - waren die Risikoaufschläge für einige Währungsunionsmitglieder, darunter Griechenland, leicht gestiegen. Deshalb tauchte die Idee einer gemeinsamen Euro-Anleihe auf. Ein solch deutliches Signal hätte gereicht, die Lage zu beruhigen und Spekulationen ins Leere laufen zu lassen. Insbesondere auf Druck der damals in Berlin regierenden Großen Koalition wurde der Vorschlag nicht weiter verfolgt.

Auch als die Krise um die griechischen Staatsfinanzen in den letzten Wochen offen ausbrach, ließ man wertvolle Zeit ungenutzt verstreichen. Vor allem Kanzlerin Angela Merkel tat so, als sei der Ruf nach Unterstützung für die Regierung in Athen eine Unbotmäßigkeit. Darin spiegelte sich ein wahrlich naiver Glaube daran, dass es auf den Finanzmärkten mit rechten Dingen zugeht und dort quasi die Wahrheit gesagt wird.

Tatsächlich nutzten Spekulanten die Tatenlosigkeit der Politik. Hedgefonds wetteten vor allem mit »Credit Default Swaps« (CDS) - komplexe Wertpapiere, mit denen sich Investoren gegen den Ausfall von Krediten oder Anleihen absichern können. Indem man sich hier groß einkaufte, stieg der CDS-Preis in die Höhe. Dies wiederum signalisierte gewöhnlichen Investoren ein rapide steigendes Risiko, in griechische Anleihen zu investieren. Es entstand eine fatale Mischung aus Spekulation und Unruhe, die sich wechselseitig verstärkten. Anleihenkurse brachen ein, die verlangte Rendite stieg massiv an, CDS-Preise schnellten in die Höhe, Rating-Agenturen beurteilten die Bonität Griechenlands viel zu niedrig. All dies verschärfte die Unruhe bis hin zur Panik: Die Absicherung griechischer Staatsanleihen ist heute 20 Mal teurer als die für russische Papiere.

Mit realistischer Risikoeinschätzung hat dies schon lange nichts mehr zu tun. Auch das Gerede in den Boulevardmedien vom drohenden Staatsbankrott ist schierer Blödsinn: Zum einen kann es so etwas gar nicht geben, denn Staaten sind keine Firmen, die Insolvenz anmelden und dann von Gläubigerversammlungen regiert sowie eventuell zerschlagen werden können. Einige neoliberale Politiker etwa in Deutschland hätten dies gerne - man denke nur an den irrwitzigen Vorschlag, Athen solle einige Inseln versilbern. Zum anderen hat Griechenland lediglich ein vorübergehendes Refinanzierungsproblem wegen der exorbitanten Höhe der verlangten Zinsen für frische Anleihen. Zwar ist das aktuelle Haushaltsdefizit in diesem Jahr im EU-Vergleich hoch und die Gesamtverschuldungsquote stieg auf 115 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Japan aber steht bei rund 200 Prozent und hat wegen des extrem niedrigen Zinsniveaus damit kein großes Problem.

Nichts schreckt Anleiheninvestoren mehr als die Angst vor einem »Hair Cut« (Haarschnitt), wie die Kürzung des Rückzahlungswerts und des Zinssatzes von Staatsanleihen etwa bei einer Umschuldung genannt wird. In Argentinien verloren Investoren zwei Drittel ihrer Gelder. So weit kommt es üblicherweise erst dann, wenn die heimische Währung massiv gegenüber Dollar und Euro abgewertet. Ein Risiko, das das Euro-Mitglied Griechenland ebenfalls nicht aufweist. Diejenigen, die jetzt eine Umschuldung fordern, ignorieren nicht nur die reale Finanzlage, sondern auch die Tatsache, dass nach einem »Hair Cut« für Athen die Finanzmärkte über Jahre verstopft wären.

Das Versagen der Euro-Politik hat Spekulanten üppige Gewinne beschert und die milliardenschwere Nothilfekredite von EU und IWF erst nötig gemacht. Indem diese wie üblich an massive Sparprogramme geknüpft sind, werden die Kosten den griechischen Bürgern übergeholfen und die Konjunktur zusätzlich abgebremst. Problemlösung sieht anders aus.

** Aus: Neues Deutschland, 4. Mai 2010


EZB ignoriert Rating

Notenbank erlässt Ausnahmeregelung für griechische Anleihen ***

Mit einer beispiellosen Ausnahmeregelung hilft die Europäische Zentralbank (EZB) dem krisengeschüttelten Griechenland und dessen geschäftsbanken. Die Notenbank akzeptiert nun griechische Anleihen selbst dann als Sicherheit für EZB-Geld, wenn weitere Ratingagenturen diese als »Schrott« bewerten.

Lange blieb die Europäische Zentralbank stur. Doch angesichts neuer Zuspitzungen in der Griechenlandkrise haben Europas oberste Währungshüter nun einlenkt: Am Montag setzten sie die Bonitätsanforderungen für griechische Staatsanleihen, die im Refinanzierungsgeschäft mit europäischen Banken gelten, bis auf Weiteres vollständig aus. Staatspapiere des südeuropäischen Landes können damit unabhängig von der Kreditwürdigkeit bei der EZB in Zahlung gegeben werden.

Der Schritt sei unschön für die EZB, aber unvermeidlich, sagt UniCredit-Volkswirt Alexander Koch: »Griechische Geschäftsbanken refinanzieren sich wohl hauptsächlich über dieses System. Wäre es gekappt worden, wäre der kommerzielle Bankensektor Griechenlands am Ende gewesen.«

Die überraschende Maßnahme dürfte von Finanzmärkten und Geschäftsbanken mit Erleichterung aufgenommen worden sein. Denn bis zuletzt hing ein Damoklesschwert über den Athener Schuldtiteln. Dabei hatte die Notenbank bereits eine frühere Ausnahmeregelung verlängert, wonach sie im Refinanzierungsgeschäft auch zweitklassige Papiere annimmt. Die Maßnahme sollte ursprünglich zum Jahresende auslaufen.

Zwar hatte Notenbankpräsident Jean-Claude Trichet betont, die Verlängerung gelte für alle Refinanzierungsgeschäfte und sei nicht auf ein einzelnes Land zugeschnitten. Doch der Adressat war klar: Griechenland.

Nun hätten selbst herabgesetzte Bonitätsanforderungen Athen im Fall weiterer Herabstufungen nicht mehr geholfen: Wären Fitch und Moody's der Ratingagentur S&P gefolgt, die in einem umstrittenen, krisenverschärfenden Beschluss die Bonität griechischer Anleihen auf »Ramsch-Status« herabgesetzt hatte, hätte die EZB diese nicht mehr als Sicherheiten akzeptieren dürfen. Offensichtlich wollte die Bank diesem Horrorszenario vorbeugen.

So verständlich die Ausnahmergelung sachlich auch sein mag - an der Tatsache, dass die EZB in dieser Frage eingeknickt ist, ändert das nichts. Denn Trichet hatte Sonderregelungen für einzelne Länder immer klar ausgeschlossen. Ökonomen sehen nun die Glaubwürdigkeit der EZB beschädigt: »Die Aussetzung ist ein klarer Widerspruch zu früheren Aussagen«, so Michael Schubert von der Commerzbank. Dies wiegt umso schwerer, als in der Geldpolitik Vertrauen als wertvollstes Kapital einer Notenbank gilt. Denn die Märkte reagieren in erster Linie auf Signale der Währungshüter. Vor allem die wichtigen Inflationserwartungen können mit einer soliden Kommunikationspolitik gut gesteuert werden.

Trotzdem begrüßen Experten den Schritt der EZB inhaltlich, da er das Athener Sparprogramm und die Finanzhilfen flankiert. Unverständnis ruft aber der Zeitpunkt hervor: »Das Sparprogramm Griechenlands und das Hilfspaket von EU und IWF stehen«, sagt Schubert. Insoweit wäre es naheliegend gewesen, zunächst die Reaktion der Märkte abzuwarten.

DGB-Vorstand Claus Matecki bezeichnete die EZB-Entscheidung dagegen als »Sieg der geldpolitischen Vernunft« und eine längst fällige Zurechtweisung der Ratingagenturen. In Berlin sagte er, dieser Schritt komme einem internen Rating gleich. Der DGB fordere die Notenbank auf, den Schritt konsequent anzuwenden und die Bonitätsprüfung der Mitgliedstaaten der Eurozone nicht mehr den Ratingagenturen zu überlassen.

Die Entscheidung sorgte derweil auch für Irritationen der Finanzexperten über den künftigen Kurs der Notenbank. Dies ist umso bedenklicher, da die EZB vor der gewaltigen Aufgabe steht, die extrem hohe Liquiditätszufuhr allmählich einzusammeln. Zudem muss sie den rekordniedrigen Leitzins erhöhen, wenn die Inflation anzieht.

Die Gesetzeslage

Die deutschen Gelder für Griechenland soll die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) lockermachen. Die staatliche Förderbank ist im Eigentum von Bund und Ländern, die Rechtsaufsicht hat das Bundesfinanzministerium. Da die Hilfen nach Ansicht der Bundesregierung auch im Interesse Deutschlands bzw. EU-Gemeinschaftsinteresse liegen, kann sie per Zuweisung die KfW zur Gewährung der Kredite verpflichten. Geregelt ist das Ganze im KfW-Gesetz, Paragraf 2, Absatz 4.

Laut Grundgesetz Artikel 115, Absatz 1, muss der Bundestag zustimmen, wenn die Bundesregierung Kredite aufnehmen oder für diese bürgen will, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen könnten, also über den aktuellen Haushalt hinausgehen könnten. Darum muss für die Milliardenhilfen an Griechenland ein eigenes Gesetz verabschiedet werden. jme



*** Aus: Neues Deutschland, 4. Mai 2010


Schöne Freunde

Von Uwe Kalbe ****

Einem Freund Geld zu leihen, ist typischerweise mit Gesten der Diskretion verbunden. Bei den bis zu 110 Milliarden Euro, die Griechenland bis zum Jahr 2012 versprochen sind, handelt es sich um keine Freundesgabe, wie allein die lauten Kommentare zeigen, von denen der Kredit sekundiert wird. Die Stabilität des Euro, nicht die Stabilität Griechenlands ist es, der die Sorge der europäischen Geldgeber gilt. Und die deutsche Regierung, Wortführer in der Euro-Zone, hat mit der wochenlangen Verzögerung einer Entscheidung für ein zusätzliches Anwachsen des Schuldenbergs gesorgt.

Die EU-Politik setzt fort, was die Banken begonnen haben. Denn karitative Gründe sind es nicht, die zur Freigabe der Kredite geführt haben. Das Geld dient ausdrücklich dazu, Athens Gläubiger zu bedienen - darunter auch jene internationalen Banken, denen die Regierungen schon in der Finanzkrise aus der Patsche geholfen haben. Die Verstümmelung des griechischen Staatshaushaltes ist zur Bedingung für die Kredite gemacht worden, die sozialen Folgen werden in Kauf genommen. Schöne Freundesgabe!

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe heuchelt wenigstens nicht. Er nennt die Mitgliedschaft Griechenlands in der Euro-Zone eine »rot-grüne Schluderei«, die man jetzt auszubaden habe. Eine solche wäre es erst, wenn SPD und Grüne dem Gesetz mit seinen Auflagen zustimmen - wie so oft gegen die Interessen der Bevölkerungsmehrheit, diesmal der griechischen.

**** Aus: Neues Deutschland, 4. Mai 2010 (Kommentar)


Zurück zur Griechenland-Seite

Zur EU-Europa-Seite

Zurück zur Homepage