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Griechisches Doppel: Sparen und streiken

Athens Verzichtsprogramm treibt Werktätige auf die Barrikaden und Europolitiker zu Lobeshymnen

Nach der Bekanntmachung des harten Sparprogramms für die griechische Bevölkerung kündigten die zwei größten Gewerkschaftsverbände des Landes weitere Streiks an. Bereits den 1. Mai hatten Zehntausende Griechen zu Protesten gegen die sozialen Zumutungen genutzt.

»Wir verlieren fast 30 Prozent unseres Einkommens, das kann so nicht hingenommen werden«, sagte der Präsident der Gewerkschaft der Staatsbediensteten ADEDY, Spyros Papaspyros, im griechischen Rundfunk. Er rief den Vorstand der Beamtengewerkschaft zu einer Sondersitzung zusammen. Die Beamten wollen am 5. Mai für 24 Stunden streiken und planen weitere Aktionen dieser Art, hieß es.

Auch der Gewerkschaftsverband des privaten Sektors (GSEE) erklärte am Sonntag: »Es wird harte Reaktionen auf die harten Maßnahmen geben.« Zuvor hatte die griechische Regierung weitere Steuererhöhungen, drastische Gehaltskürzungen und einen späteren Renteneintritt angekündigt. Insgesamt müssen die Griechen in den nächsten drei Jahren 30 Milliarden Euro sparen. Nur so kann das Land auf die Hilfe der Euro-Länder und des Internationalen Währungsfonds (IWF) rechnen.

EU-Währungskommissar Olli Rehn indes bezeichnete das Programm zur Sanierung der griechischen Staatsfinanzen als »umfassend und überzeugend«. »Ich begrüße es und ich bin sicher, dass die Finanzminister der Eurogruppe ebenfalls dieses Programm billigen werden«, sagte Rehn am Sonntagnachmittag unmittelbar vor Beratungen der Finanzminister der 16 Staaten mit Euro-Währung in Brüssel. »Ich empfehle, den Mechanismus zu aktivieren«, erklärte Rehn. Laut Diplomaten soll Athen in diesem Jahr 30 Milliarden Euro von der EU und 15 Milliarden Euro vom IWF bekommen.

Die Länder der Eurogruppe erwarten, dass sie ihre Milliardenkredite wieder zurückbekommen. »Das kann kein Freifahrschein für Griechenland sein, sondern das Geld, das wir gewähren, muss auch wieder zurückkommen«, sagte der österreichische Finanzminister Josef Pröll am Sonntag in Brüssel. »Die Situation ist sehr kritisch und angespannt«, sagte er. »Vorrangig wichtig ist, dass die Griechen auf Punkt und Komma ihre Aufgaben erfüllen, die zu erfüllen sind.« Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble begrüßte das griechische Sparvorhaben. »Das ist ein starkes Programm«, so Schäuble am Sonntag in Brüssel. »Die Stabilität der Eurozone als Ganzes zu verteidigen, das ist unsere Aufgabe, das ist unser Auftrag«, sagte der Finanzminister. »Je besser wir den erfüllen, umso besser für alle in Europa und damit auch für alle Deutschen.«

* Aus: Neues Deutschland, 3. Mai 2010


Absage an die »Sparpläne«

Zehntausende gingen in Athen auf die Straße

Von Anke Stefan, Athen **


Strahlender Sonnenschein, sommerliche Temperaturen und ein Samstag: nicht die besten Voraussetzungen für eine massenhafte Beteiligung an den Demonstrationen zum 1. Mai. Aber von der eigenen Regierung, der EU und dem Internationalem Währungsfonds (IWF) diktierte Einschnitte bei Löhnen sowie sozialen Rechten trieben in Griechenland die Menschen zu Zehntausenden auf die Straße. Zwar wurden die neusten, für die Milliardendarlehen von EU und IWF als Gegenleistung geforderten »Sparmaßnahmen« erst am Sonntag verkündet. Aus den Verhandlungen waren die Hauptbestandteile -- neue Erhöhungen bei Verbrauchs- und Mehrwertsteuern, Erweiterung von Kündigungsrechten für Unternehmer bei gleichzeitiger Kürzung der Abfindungen und die Streichung des 13. und 14. Monatsgehalts für Staatsbedienstete -- jedoch bereits durchgesickert.

In der griechischen Hauptstadt fanden gleich drei Demonstrationen und ein Konzert statt. Zu letzterem hatten die offiziellen Gewerkschaftsdachverbände in der privaten Wirtschaft (GSEE) und im öffentlichen Dienst (ADEDY) mobilisiert. Die meisten aktiven Gewerkschafter aber waren nicht der Einladung der Dachverbände, sondern einem der drei alternativen Aufrufe gefolgt. Die mit mehreren Zehntausend Teilnehmenden größte Demonstration wurde von der kommunistisch orientierten Gewerkschaftsfront PAME veranstaltet. In der PAME sind zahlreiche Basisgewerkschaften sowie eine Reihe von Branchengewerkschaften Griechenlands zusammengeschlossen. Das Gerede von der Notwendigkeit von Opfern der Lohnabhängigen zur nationalen Rettung sei ein Lüge, erklärte PAME-Sprecher Babis Vagious auf der Auftaktkundgebung direkt vor dem griechischen Parlament. »Warum sollten die Angestellten Opfer bringen, damit die Besitzer der Hotelketten oder die Reeder ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöhen?«, fragte der Gewerkschafter.

Bei der von Basisgewerkschaften, anarchistischen Gruppen und der außerparlamentarischen Linken getragenen zweiten Demonstration kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, als die Demonstranten versuchten, eine Polizeisperre am Parlament zu durchbrechen. Weder diese kurzen Auseinandersetzungen noch kleineren Straßenschlachten im Anschluss in der Umgebung der Polytechnikum-Universität rechtfertigen jedoch den von internationalen Medien verbreiteten Eindruck massiver gewalttätiger Proteste.

Während bei den Teilnehmern der beiden bisher beschriebenen Demonstrationen neben der Ablehnung der »Sparmaßnahmen« auch der Austritt des Landes aus dem Euro-Verbund und der EU gefordert wurde, waren die Teilnehmer der dritten Demonstration in dieser Frage gespalten. Sie wurde von dem im griechischen Linksbündnis SYRIZA zusammengeschlossenen guten Dutzend Parteien und Organisationen organisiert. Die innerhalb von SYRIZA größte Kraft Synaspismos ist der Meinung, der Kampf »für ein anderes Europa« müsse innerhalb der EU geführt werden. Auch angesichts der jüngsten Entwicklungen setzt sich bei den Schwesterorganisationen dagegen mehr und mehr die Meinung durch, die EU sei nicht zu reformieren.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Mai 2010


Blöde Sprüche

Von Kurt Stenger ***

Am Sonntag, just als sich die griechische Regierung von EU und IWF zu einem weiteren harten Sparprogramm drängen ließ, wurde in Bonn an das deutsch-griechische Anwerbeabkommen vor 50 Jahren erinnert. Zum Feiern ist auch den Griechen hier wahrlich nicht zumute. Dumpfe Schlagzeilen in Boulevardmedien, blöde Sprüche auf der Straße sind an der Tagesordnung. Im Wahlkampf von Nordrhein-Westfalen, wo die Bürger wahrlich andere Sorgen haben, versuchen Politiker das Thema für sich auszuschlachten.

Aufgrund solcher Stimmungsmache gehen die wichtigen Fragen im Zusammenhang mit der Griechenland-Krise unter: Wie kann man verhindern, dass Finanzjongleure ein kleines Land an den Rand der Zahlungsunfähigkeit spekulieren? Wie kann man die EU-Währungsunion so umkrempeln, dass wirtschaftsschwache Staaten eine Perspektive bekommen? Bislang nutzte der Euro vor allem der Exportmacht Deutschland, während die Entwicklung in Griechenland auf Pump und damit auf Sand gebaut war. Die große Mehrheit der Griechen, ob Rentner, Selbstständige oder Lohnabhängige, hatte nichts vom Euro und lebt von äußerst niedrigen Einkommen.

Mancher Meinungsführer in der Bundesrepublik sollte sich in Erinnerung rufen, dass auch viele griechische Gastarbeiter einst zum deutschen »Wirtschaftswunder« beitrugen. Ein Wunder benötigen die Griechen heute nicht, dafür aber ein bis jetzt unbekanntes Europa der Solidarität.

*** Aus: Neues Deutschland, 3. Mai 2010 (Kommentar)


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