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Schlag ins Wasser

Der Beschluss der Euro-Länder zu Griechenland vom 25. März war ein hastig zusammengefügtes Konglomerat. Die Finanzmärkte hat er nicht beeindruckt

Von Andreas Wehr *

Erleichterung in Griechenland«, meldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung nach der Entscheidung der Euroländer am 25.März. (FAZ vom 29. März) Die Vereinbarung »solle die Märkte beruhigen, Spekulationen verhindern und im Falle Griechenland dafür sorgen, daß die Zinskosten für griechische Staatspapiere sinken«, hieß es in der Welt am 27. März. Doch die Realität sieht anders aus. Nur wenige Tage nach der Vereinbarung, bereits am 29. März, nahm Griechenland eine neue Staatsanleihe über fünf Milliarden Euro für einen Zeitraum von sieben Jahren auf. Auch diesmal mußte den Anlegern eine hohe Rendite von rund sechs Prozent zugesagt werden. Sie liegt damit nur geringfügig niedriger als jene, die für eine im Januar 2009 ausgegebene zehnjährige Anleihe zu zahlen ist. Der Zinssatz damals betrug 6,23 Prozent. Der Beschluß der Euroländer hat also die Märkte weder beruhigt noch irgendwie beeindruckt. Der Spekulationsdruck auf das Land hält an. Ernüchtert schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 30. März: »Damit muß Griechenland weiterhin erhebliche Risikoaufschläge auf seine Staatspapiere bieten; der Renditeabstand zu Bundesanleihen beträgt immer noch rund 300 Punkte. Premierminister Georgios Papandreou hatte mit einer Vereinbarung über Nothilfen für sein Land die Hoffnung auf eine Ermäßigung der Renditen ausgedrückt.« Die Lage Griechenlands bleibt somit äußerst schwierig. Allein im April und Mai müssen fällige Staatspapiere über 22,6 Milliarden Euro refinanziert werden. Da warten für Banken und Spekulanten weitere fette Extragewinne.

Bizarre Anmutung

Weshalb sollten sich die Finanzmärkte auch vom Beschluß der Euro-Länder beeindruckt zeigen? Die ganze Vereinbarung ist ein hastig zusammengefügtes Konglomerat unzureichender, ja sich sogar widersprechender Positionen. Danach soll etwa als »ultima ratio« der Internationale Währungsfonds (IWF) künftig für ein Euroland in Zahlungsschwierigkeiten hinzugezogen werden. Die zuvor erbittert geführte Debatte darüber, ob der IWF überhaupt bei Hilfe für Euroländer dabeisein soll– die deutsche Bundesregierung war unbedingt dafür, der Vorsitzende der Euro-Gruppe Jean-Claude Juncker und der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) Jean-Claude Trichet hingegen strikt dagegen – muten angesichts der Möglichkeiten des IWF bizarr an. Der Fonds kann, wenn überhaupt, nur einen kleinen Anteil der notwendigen Mittel beibringen. Die ihm dafür zur Verfügung stehende Kreditlinie bemißt sich nach der Einlage des jeweiligen Landes. Im Fall Griechenlands sind es so gerade einmal maximal elf Milliarden Euro, die das Land von dort erhalten kann. Das reicht aber bei weitem nicht.

Ohne Bedeutung sind die im Beschluß für »den Notfall« vorgesehenen Kredite der Euro-Länder, denn sie sollen zu normalen Marktzinsen gewährt werden und damit »kein Subventionselement« enthalten. (Die Welt vom 27. März) Doch wie sollen die Märkte veranlaßt werden, von ihren hohen Renditeforderungen abzusehen, wenn die Euro-Länder bei möglichen Kreditzusagen genau diese überhöhten Marktzinsen fordern? Die Wahrheit ist, daß man die von den Märkten Griechenland diktierten hohen Renditeerwartungen in Brüssel und in Berlin gar nicht so ungern sieht, denn dies garantiert weitere Kürzungen im Haushalt und weiteren Sozialabbau.

Praxistest

Damit hatte sich Angela Merkel, die neue »Madame No« Europas, durchgesetzt. Es bleibt beim grundsätzlichen Bail-Out-Verbot von Euro-Ländern durch die EU oder durch andere Mitgliedsländer, d. h. keine »Heraushau«-Maßnahmen. Und damit »im Notfall« wirklich nichts beschlossen werden kann, was dem bundesdeutschen Willen einmal nicht entsprechen könnte, dürfen Kredite von den Euroländern nur einstimmig genehmigt werden. Für Griechenland ist daher diese Bereitschaft der Euro-Länder, ihm in der Not mit Krediten zu marktüblichen Zinsen helfen zu wollen, wertlos. »Das ist ein schwerer Rückschlag für die Griechen. Athen hatte bis zuletzt auf günstige Zinsen und Sonderkonditionen gehofft.« (Die Welt vom 27. März)

Auch die übrigen Teile der Vereinbarungen werden den Praxistest nicht bestehen. Das gilt etwa für jene Arbeitsgruppe des Rates, die bis zum Jahresende Regelungen ausarbeiten soll, wie europäische Hilfe mit scharfen und damit abschreckenden Sanktionen kombiniert werden kann. Dies ist der Kern der Idee eines »Europäischen Währungsfonds«. Doch über das Wie gab es in Brüssel keine Verständigung. Berlin geht davon aus, daß hierfür eine Veränderung der Verträge notwendig ist. Paris will hingegen bestenfalls einer Verschärfung unterhalb der Vertragsbestimmungen zustimmen. Uneinigkeit gibt es auch hinsichtlich des zweiten Auftrags an die Arbeitsgruppe. Dabei soll die Möglichkeit einer »engen Koordinierung der Wirtschaftspolitiken in Europa« untersucht werden. Für Sarkozy »belegt dies, daß seine Idee einer europäischen Wirtschaftsregierung – bezogen auf die Euro-Staaten – jetzt endgültig salonfähig geworden ist. Die Kanzlerin bestritt diese Deutung postwendend: Sie bleibe bei ihrer Haltung, daß der Europäische Rat – also die 27 EU-Staats- und Regierungschefs – die Wirtschaftsregierung bildeten.« (FAZ vom 31. März)

Für den einzigen Lichtblick in dem Dunkel der Sturheit und der faulen Kompromisse des Gipfels von Brüssel sorgte ausgerechnet EZB-Präsident Trichet. Er erklärte, daß die Zentralbank auch nach Ende 2010 griechische Schuldpapiere minderer Qualität akzeptieren werde. Damit wird endlich der Definitionsmacht der Ratingargenturen entgegengetreten, den Spekulationen auf eine baldige Zahlungsunfähigkeit Griechenlands begegnet und dem Land mehr Zeit für eine Entschuldung gegeben.

Der Gipfel der Euroländer war einer der verpaßten Chancen. Er war ein Schlag ins Wasser, den die Mächtigen in der EU noch einmal bitter bereuen könnten. Das Wall Street Journal beschrieb am 29. März, was nun droht: »Wir fragen uns, ob nicht ein Bail Out Griechenlands den Druck auf ein größeres Land in der Euro-Zone verhindern könnte. Als eine Zwei-Prozent-Ökonomie in der Euro-Zone ist Griechenland ein Winzling und aus ganz praktischen Gründen viel einfacher zu retten. Eine Rettung Spaniens oder Italiens würde hingegen die Bank und selbst Berlin oder Paris sprengen. Wer würde nach einem solchen BailOut die Retter retten? Als ein Signal an Investoren macht daher ein Bail Out Griechenlands mehr Sinn als die herkömmliche Weisheit vermuten läßt.«

* Andreas Wehr ist Mitarbeiter der Linksfraktion (GUE/NGL) im Europäischen Parlament und dort Koordinator im Ausschuß für Wirtschaft und Währung (ECON). Mehr Analysen unter: www.andreas-wehr.eu

Aus: junge Welt, 7. April 2010


Chronik: Krise in Griechenland

4. Oktober 2009: Die Panhellenische Sozialistische Bewegung (PASOK) unter Führung von Giorgos Papandreou gewinnt die Parlamentswahl in Griechenland.

9. Oktober 2009: Die griechische Zentralbank hält 2009 einen Anstieg des Staatsdefizits auf mehr als zwölf Prozent für möglich. Die abgewählte Regierung hatte ein Defizit von sechs bis acht Prozent erwartet.

16. Oktober 2009: Ministerpräsident Papandreou erklärt, die griechische Wirtschaft befinde sich im »Notstand«, die Lage sei »explosiv«.

1. Dezember 2009: Euro-Zonen-Präsident Jean-Claude Juncker nennt Berichte über eine mögliche Staatspleite Griechenlands »völlig abwegig«.

10. Dezember 2009: Bundeskanzlerin Angela Merkel CDU) zeigt sich angesichts der Entwicklung in Griechenland besorgt über die Stabilität des Euro.

14. Dezember 2009: Papandreou kündigt an, in drei Jahren die Vorgaben des EU-Stabilitätspaktes wieder zu erfüllen. Die Gehälter im öffentlichen Dienst werden gedeckelt.

17. Dezember 2009: Generalstreik in Griechenland.

3. Februar 2010: Die EU-Kommission übernimmt die Kontrolle des griechischen Staatshaushalts.

11. Februar 2010: Ein EU-Gipfel beschließt, Griechenland vorerst keine Finanzhilfen zur Verfügung zu stellen, sondern fordert weitere Sparmaßnahmen.

24. Februar 2010: Generalstreik in Griechenland

3. März 2010: Die griechische Regierung beschließt weitere Sparmaßnahmen

12. März 2010: Generalstreik in Griechenland

25. März 2010: Ein EU-Gipfel beschließt, daß kombinierte Hilfen des IWF und der Eurostaaten Griechenland vor der Pleite bewahren sollen.

30. März 2010: An den Finanzmärkten muß Griechenland so hohe Zinssätze zahlen wie vor dem EU-Beschluß.

7. April 2010: In Athen werden zwei Delegationen des IWF erwartet.

(jW)




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