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Merkel drängt Euroland auf Linie

Beim Streit um die Behebung des griechischen Finanzdesasters gibt Deutschland den Ton an

Bundeskanzlerin Merkel hat Finanzhilfen der Europäischen Union für Griechenland in einer Regierungserklärung am Donnerstag erneut eine Absage erteilt. Im wochenlangen Streit innerhab der Europäischen Union um Finanzhilfen für das hoch verschuldete Land zeichnet sich damit ein Kompromiss auf der von der Bundesregierung und Frankreich vorgegebenen Linie ab.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich zu internationalen Hilfen zur Rettung Griechenlands vor einem Staatsbankrott bekannt. Athen könne auf eine »Kombination« aus bilateralen Hilfen von EU-Partnern und Unterstützung des Internationalen Währungsfonds (IWF) bauen, sagte Merkel. Dies sei aber nur die »ultima ratio« (letztes Mittel), wenn ein Euroland kein Kapital auf den Märkten mehr bekomme. Vor dem Bundestag nannte sie am Donnerstag vor dem EU-Gipfel in einer Regierungserklärung zugleich die Stabilität des Euros als oberstes Ziel deutscher Politik.

»Es geht nicht um konkrete Hilfen, sondern um eine Spezifizierung und Fortschreibung der Entscheidungen vom 11. Februar.« Damals hatte ein Sondergipfel der EU eine Rettungsaktion ins Auge gefasst, um die Finanzmärkte zu beruhigen. Überschattet ist der jetzige Gipfelauftakt von der Gefahr, dass nach Griechenland auch das Euroland Portugal in eine akute Schuldenkrise rutscht.

Merkel zeigte sich entschlossen, den europäischen Stabilitätspakt gegen Tricksereien zu rüsten. Griechenland habe den Stabilitätspakt bewusst unterlaufen. Darauf sei der Pakt bisher nicht eingestellt gewesen. »Tricksereien muss ein Riegel vorgeschoben werden.« Fehlentwicklungen müssten durch Sanktionen bekämpft werden.

Europäische Kritik, Berlin sei in der Griechenland-Krise zu zögerlich, wies Merkel zurück. »Ein guter Europäer ist nicht unbedingt der, der schnell hilft«, sagte Merkel. Ein guter Europäer sei vielmehr jener, der die Stabilität Europas nicht gefährde. Die Kanzlerin betonte, düstere Vorhersagen für Athen seien bisher nicht eingetroffen. Das Land sei nicht zahlungsunfähig. Zudem wies sie Kritik anderer EU-Staaten zurück, Deutschland belaste mit seiner erfolgreichen Exportwirtschaft andere Staaten. Merkel rief die europäischen Partner auf, die Folgen der Finanzkrise gemeinsam zu bewältigen. Kein EU-Staat – das zeige sich jetzt im Fall Griechenland – könne außerordentliche Herausforderungen alleine meistern.

Die SPD-Europapolitikerin Angelica Schwall-Düren warf Merkel eine »opportunistische Verhaltensweise« in der Griechenland-Krise vor. »Sie isolieren Deutschland in Europa«, sagte sie mit Hinweis auf die wochenlangen Diskussionen über die Form der Hilfen für Griechenland.

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin kritisierte Merkel, sie habe die Krise in der EU mit ihrem Vorschlag verschärft, im Notfall Euromitglieder aus der Währungsunion herauszuwerfen. LINKE-Fraktionschef Gregor Gysi forderte direkte Griechenland-Hilfen von der EU und nicht vom IWF.

Zu Beginn des EU-Gipfels in Brüssel einigten sich Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy auf den Rahmen für mögliche Milliardenhilfen für Griechenland. Dabei handelt es sich um freiwillige Kredite einzelner Euro-Länder und Finanzspritzen des IWF. Die Europäer sollten bei einer möglichen Rettung aber die Hauptrolle spielen. Das sagten EU-Diplomaten am Donnerstag nach einem Treffen der beiden Spitzenpolitiker in Brüssel. Auf diese harte Bedingung hatte Merkel in den Vorverhandlungen gedrungen.

Griechenlands Ministerpräsident Giorgos Papandreou stimmte den Angaben zufolge dem deutsch-französischen Vorschlag bereits zu.

* Aus: Neues Deutschland, 26. März 2010


Deutschland zwingt EU auf neokolonialistischen Kurs

Von Birgit Daiber **

Die deutsche Bundeskanzlerin zwingt die Europäische Union dazu, Griechenland dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zu überantworten. Das heißt, Griechenland muss jetzt nicht nur die strikten Auflagen der EU befolgen, sondern sich auch noch der neoliberalen Politik des IWF unterwerfen.

Zwar wird Athen nicht dem Rat deutscher Politikerstammtische folgen und seine Inseln verkaufen. Aber es wird sein Tafelsilber, also die profitablen Staatsbetriebe, unter Preis verscherbeln müssen, es wird öffentliche Dienstleistungen und soziale Risikosicherungsnetze abbauen und Löhne kürzen. Auf diese Weise hat Griechenland für lange Jahre auch nicht die geringste Chance, wirtschaftlich auf die Beine zu kommen. Es wird dagegen zum billigen Jakob der EU werden. Alle anderen Euro-Länder, die aufgrund der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise in Schieflage geraten, können sich dieses Lehrstück schon einmal hinter die Ohren schreiben.

Im Klartext gesprochen: Das ist nicht nur neoliberale, sondern neokoloniale Politik – diesmal nicht gegenüber den Entwicklungsländern, sondern innerhalb der EU selbst. Und dies ist in der Tat ein Systembruch. Seit Beginn der EWG galt das Prinzip des Ausgleichs. Kleine Länder haben eine im Vergleich größere Stimmengewichtung in den europäischen Entscheidungsprozessen. Durch die Strukturfonds erhalten benachteiligte Regionen wichtige Entwicklungshilfen. Nun wird dieses Prinzip auf dem Weg der Währungspolitik zerstört. Der Geburtsfehler

der gemeinsamen Währung ist, dass sie politisch durchgesetzt wurde, ohne dass die notwendigen wirtschafts- und sozialpolitischen Rahmenbedingungen dafür geschaffen wurden. Dieses Manko rächt sich jetzt. Anstatt aber aus diesem Fehler zu lernen, versucht Deutschland, den Entpolitisierungsprozess voranzutreiben. Hierdurch wird die Macht der deutschen Eliten in der Europäischen Union weiter gestärkt, gleichzeitig aber verstoßen sie gegen mittel- und langfristige Interessen Deutschlands.

Was aber will die deutsche Bundesregierung mit dieser Politik erreichen? Von den deutschen Politikerstammtischen hört man, die deutschen Steuerzahler müssten vor den schlampigen, in der Sonne liegenden, das Leben in vollen Zügen genießenden, arbeitsscheuen und korrupten Südländern geschützt werden. Ist das offener Rassismus oder wie sollen wir solche Sprüche verstehen?

Seien wir uns glasklar darüber, auch in linken euroskeptischen Kreisen: Ein Auseinanderbrechen der EU bietet für Deutschland keinerlei Perspektive – weder eine linke noch eine rechte oder sonst irgendeine. Insgesamt 65 Prozent der deutschen Exporte gehen in die EU-Mitgliedstaaten. Deutschland ist der Gewinner in der Europäischen Union und nicht ihr Zahlmeister, wie oft behauptet wird. Und ein unbeteiligter Beobachter, der ehemalige ecuadorianische Wirtschaftsminister Pedro Paez, sagt, er verstehe nicht, warum Deutschland sich die eigenen Exportmärkte mutwillig zerstört.

** Die Autorin leitet das Brüsseler Büro der Rosa-Luxemburg- Stiftung.

Aus: Neues Deutschland, 26. März 2010 ("Brüsseler Spitzen")



Borniert

Von Martin Ling ***

Mit nationaler Borniertheit werden die Finanzprobleme schwächelnder EU-Staaten nicht zu bewältigen sein. Es ist schon reichlich grotesk, dass eine Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen den Blick der Bundeskanzlerin Angela Merkel derart trübt, dass die gelernte Naturwissenschaftlerin öffentlich zu einer nüchternen Problemanalyse nicht mehr im Stande ist. So richtig es ist, dass in Griechenland über Jahre statistische Mauscheleien, Korruption und Steuerhinterziehung weit über dem EU-Durchschnitt lagen und damit ein Teil der Haushaltskrise hausgemacht ist, so falsch ist es, die griechische Krise Athen ausschließlich anzulasten. Von der Bundeskanzlerin, die unsoliden Staaten als »Ultima ratio« mit dem Rauswurf aus dem Euro droht, war bisher kein Wort davon zu hören, dass EU-Geburtsfehler und die auf regressiver Reallohnpolitik beruhende aggressive deutsche Exportstrategie ein gehöriges Scherflein zu den Haushaltsproblemen Griechenlands und anderer EU-Staaten beigetragen haben. Die Ungleichgewichte wie zu Vor-Euro-Zeiten durch Abwertungen der Schwachwährungen notdürftig zu begradigen, geht bei einer Einheitswährung nicht mehr.

Umso mehr rächt sich das jahrzehntelange Versäumnis, eine gemeinschaftliche wirtschaftspolitische Konzeption zu entwickeln. Die Forderung, eine europäische Wirtschaftsregierung zu machen, ist immer wieder insbesondere von Deutschland zurückgewiesen worden. Diese nationale Borniertheit kommt nun alle teuer zu stehen.

*** Aus: Neues Deutschland, 26. März 2010 (Kommentar)


Merkels Ordnungsdiktat

Von Arnold Schölzel ****

Vor ihrer Abreise zu einem EU-Gipfel nach Brüssel gab Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag im Bundestag eine Regierungserklärung zur sogenannten Strategie 2020 der Gemeinschaft ab. Hauptthema ihrer Rede und der anschließenden Debatte war aber die deutsche Haltung zu möglichen Hilfen für Griechenland. Merkel erklärte, sie seien nur als »Ultima ratio« denkbar.

Die Kanzlerin kündigte an, auf dem Gipfel »entschieden« darauf zu dringen, daß eventuelle Griechenland-Hilfen des Internationalen Währungsfonds, IWF, maximal durch bilaterale Kredite bestimmter EU-Länder flankiert werden. Dafür bekam sie im Bundestag Beifall von Union und FDP. Merkel beweise sich hier als »Hüterin der Ordnung in Europa«, erklärte CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich. Die Kanzlerin sagte, in einer »Situation, wie wir sie nie vorausgesehen haben«, gehe es darum, die langfristige Stabilität des Euro-Raumes und der EU zu sichern. Das deutsche Volk habe im Vertrauen auf die Gemeinschaftswährung die stabile D-Mark aufgegeben: »Dieses Vertrauen darf unter keinen Umständen enttäuscht werden.« Sie plädierte sowohl für kurzfristige Reaktionen wie die Übertragung von mehr Befugnissen an Europas Statistikbehörde Eurostat (»Tricksereien muß ein Riegel vorgeschoben werden«) als auch langfristig für die Gründung eines Europäischen Wirtschaftsfonds, EWF.

SPD-Fraktionsvize Angelica Schwall-Düren monierte, Merkel isoliere Deutschland in Europa. Der Fraktionsvorsitzende der Linken, Gregor Gysi, betonte, die wirklichen Gewinner der Krise um Griechenland seien die Spekulanten. Jetzt komme es darauf an, zunächst den Menschen zu helfen. Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin warf Merkel vor, sie habe »mit leichtfertigen Äußerungen« die Krise verschärft.

In deutschen Zeitungen war Merkel in den letzten Tagen aufgefordert worden, finanzielle Hilfe zu verweigern. Diese Politik sei, betonte die FAZ am Mittwoch (24. März), für die EU ein »tiefer Einschnitt, tiefer als viele Vertragsänderungen«. Bild montierte Merkels Porträt am Donnerstag in ein Bild des Hamburger Bismarck-Denkmals und titelte: »Nie wieder Zahlmeister Europas!« Die Süddeutsche Zeitung kommentierte: »Deutschland durchlebt gerade seine schwerste außenpolitische Krise seit Jahrzehnten.« Merkel habe aber »die Nerven behalten«.

Bei einem Spitzentreffen der Sozialistischen Partei Europas (SPE) in Brüssel, der auch der Grieche Papandreou angehört, stieß Merkels Vorschlag auf Empörung. SPE-Chef Poul Nyrup Rasmussen meinte, wenn die EU-Staats- und Regierungschefs kein Hilfskonzept für Griechenland formulierten und damit der Spekula­tion auf einen Staatsbankrott ein Ende setzten, drohten als nächstes Spanien und Portugal in Schwierigkeiten zu geraten.

Nach einem Bericht der Frankfurter Rundschau nahm Griechenland nun nach langem Streit ein in Kiel für seine Marine gebautes U-Boot ab, drei weitere sollen demnächst in Dienst gestellt werden. Das Athener Verteidigungsministerium habe jetzt noch zwei weitere Boote bei Thyssen­Krupp bestellt – Kostenpunkt rund eine Milliarde Euro. Deutsche Spar­appelle bezögen sich nicht auf die Rüstungslieferungen. Deutschland hoffe vielmehr, den Griechen 30 Eurofighter für knapp drei Milliarden Euro zu verkaufen.

Am frühen Abend verlautete aus Diplomatenkreisen in Brüssel, Deutschland und Frankreich hätten der EU ein kombiniertes Hilfspaket für Griechenland vorgeschlagen. Der Text sehe Unterstützung des IWF und der Euro-Zonen-Mitglieder vor. Merkels Dikat – ein voller Erfolg.

**** Aus: junge Welt, 26. März 2010


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