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Samaras' Drachmensaat

Griechische Konservative setzen auf Furcht vor Bankencrash

Von Anke Stefan, Athen *

Pikrammenos nahm seine Ernennung überrascht und mit Humor entgegen. Nie sei sein Name einer Situation so angemessen gewesen, sagte der 1945 geborene Präsident des Obersten Verwaltungsgerichtshofs in Athen anlässlich des ihm übertragenen Amtes zum griechischen Staatspräsidenten.

»Wir wären entzückt, wenn Sie uns den Kaffee mit viel Zucker servieren würden«, scherzte Karolos Papoulias zurück.

Die neue geschäftsführende Regierung hat nur eine Aufgabe: das Land in Neuwahlen am 17. Juni zu führen. Zur Einleitung dieses Prozedere trat am Donnerstag auch das aus den Wahlen am 6. Mai hervorgegangene Parlament zusammen. Es wird die kürzeste Amtsperiode in der griechischen Geschichte haben. Denn der am selben Tag vorgenommenen Vereidigung folgt lediglich eine weitere Sitzung am heutigen Freitag, in der der Beschluss zu Neuwahlen und die damit verbundene sofortige Auflösung des Parlamentes verkündet werden.

Theoretisch steht den Abgeordneten dennoch ihr Salär für die seit den Wahlen vergangenen Tage bis zur Parlamentsauflösung zu. Alle Parteien hatten jedoch bereits am Mittwoch einstimmig beschlossen, auf den etwa 2500 Euro pro Abgeordneten ausmachenden Betrag zugunsten der griechischen Staatskasse zu verzichten.

Diese 750 000 Euro sind sicherlich kein Betrag, mit dem sich das Haushaltsdefizit Griechenlands positiv beeinflussen lassen wird. Größer dürfte die Symbolwirkung für die natürlich bereits wieder im Wahlkampf stehenden Parteien sein.

Dort wirbt der derzeitige politische Titelverteidiger mit dem Slogan »Euro oder Drachme« um Stimmen für die konservative Nea Dimokratia. Antonis Samaras setzt damit auf eine bereits in den Tagen der letztendlich gescheiterten Versuche für eine Regierungsbildung von griechischen Bankerkreisen lancierte Furcht vor einem Zusammenbruch des griechischen Bankensystems. Danach hätten die Bürger aus Angst vor einer Rückkehr zur Drachme in den vergangenen Tagen fast 900 Millionen Euro von ihren inländischen Konten abgehoben.

Es wäre nicht das erste Mal seit Krisenausbruch in Griechenland, dass massiv Geld von den Konten in die guten alten Sparstrümpfe umgezogen wäre. Sparer reagieren wie Börsen auf jedes Gerücht, in der Vergangenheit wurden die Ersparnisse allerdings wenig später meist wieder auf die Bank getragen.

Die Reichen Griechenlands haben ihr Geld ohnehin vorwiegend im Ausland. Allerdings nicht aus Furcht vor der Drachme, sondern vor der Steuerbehörde.

Die von in- wie ausländischen Medien, Politikern und Finanzleuten vorgenommene Gleichsetzung eines Sieges der Linksallianz SYRIZA mit der Rückkehr zur Drachme wird vom griechischen Wähler, der sich in überwältigender Mehrheit für einen Verbleib des Landes in der Gemeinschaftswährung ausspricht, ohnehin nicht geteilt. Auch in den jüngsten Prognosen liegt die Linksallianz mit über 20 Prozent an erster Stelle und etwa drei Prozent vor der Nea Dimokratia. Und über ihren insbesondere in den deutschen Medien als »linksradikal« fehlbezeichneten Spitzenkandidaten haben 47 Prozent der Befragten eine positive Meinung. Über den »Euro oder Drachme«-Samaras dagegen nur 29 Prozent.

»Wir wollen nicht, dass Griechenland aus der Eurozone fällt«, bekräftigte Alexis Tsipras denn auch ein weiteres Mal in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview mit CNN. »Aber wir denken, dass Frau Merkel den Euro und die Eurozone in große Gefahr bringt, wenn sie auf den Austeritätsmaßnahmen besteht«, sagte der SYRIZA-Fraktionsvorsitzende weiter. »Alle erkennen mittlerweile an, dass wir mit dieser Politik in die Hölle geführt werden.«

* Aus: neues deutschland, Freitag, 18. Mai 2012


Neue Jagd nach dem Ja

Von Anke Stefan, Athen **

Seit gestern hat Griechenland wieder eine Regierung. Allerdings besteht ihre einzige Aufgabe lediglich darin, die in gut vier Wochen angesetzten Neuwahlen vorzubereiten. Bei der jüngsten Abstimmung hatten die Wähler die Parteien vor eine schier unlösbare Aufgabe gestellt. Ja zu Euro und Europa, war die Botschaft des Ergebnisses vom 6. Mai. Nein zu der von den Gläubigern und der bisherigen Regierung verfolgten Politik, die die Wirtschaft in den Abgrund und die Mehrheit der Menschen im Land an den Rand der Verzweiflung - und eine nicht zu vernachlässigende Zahl auch darüber hinaus - getrieben hat.

Die Zusammensetzung des Parlamentes ließ keine Koalition aus Parteien zu, die den bisherigen Weg weiter verfolgen und damit auf jeden Fall den Verbleib des Landes im Euro sichern wollen. Sie ermöglichte aber auch keine Koalition von Kräften, die unter dem Risiko eines Rauswurfes Griechenlands aus der Währungsunion die Aufkündigung des fatalen Krisenlösungsrezepts versprachen.

Die Entscheidung, den Wähler nun um ein zweites Votum zu bitten, ist der einzig richtige Ausweg. Das hätte der über 80-jährige Präsident Karolos Papoulias bereits ein paar Tage früher seinem noch älteren Landsmann Mikis Theodorakis glauben können. »Das Volk hat keinen Regierungsauftrag erteilt«, hatte der große Barde erklärt. »Es hat klar Nein zu denen gesagt, die regiert haben, und ein halbes Ja zu den anderen. Wir müssen noch einmal zur Wahl, um das Ja zu konkretisieren.«

** Aus: neues deutschland, Freitag, 18. Mai 2012 (Kommentar)


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