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Schäubles vergiftetes Lob

Bundesfinanzminister stellt Fonds für griechische Investitionen in Aussicht

Von Anke Stefan, Athen *

Konsolidierung durch Privatisierung und Sparen – Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hält den Druck auf Griechenland aufrecht. Bei einem Besuch in Athen am Donnerstag lehnte er zugleich einen zweiten Schuldenschnitt ab.

Wie es sich gehört, hatte der Besucher ein Mitbringsel im Koffer: Deutschland wolle einen Hilfsfonds zur Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen in Griechenland ins Leben rufen, verkündete der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) schon vor seiner Abreise nach Athen. Deutschland hat dafür 100 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Wenn andere Länder sich beteiligten, könnte der Fonds aufgestockt werden. »Wir haben als das wirtschaftlich größte Land eine gewisse Vorbildfunktion«, sagte Wolfgang Schäuble im Interview mit dem rbb-Rundfunk am Morgen. Gleichzeitig erteilte der Finanzminister Spekulationen über einen weiteren Schuldenschnitt für Griechenland eine erneute Absage. Griechenland müsse erst einmal alle Auflagen erfüllen, dann sei man bereit, 2014 über weitere Hilfen zu reden.

Schäubles Besuch fiel in eine aufgeheizte politische Stimmung in Griechenland. Am Abend zuvor hatte das Parlament in Athen unter wütenden Protesten der Bevölkerung ein weiteres Sparpaket beschlossen, das den Abbau von 15 000 Stellen in der Verwaltung vorsieht. Was Schäuble nicht von dem vergifteten Lob abhielt, er wolle den Griechen mit seiner Reise Vertrauen signalisieren und ihnen beim Aufbau leistungsfähiger Verwaltungen helfen. Dafür traf sich der Minister dann mit hochrangigen Vertretern aus Politik und Wirtschaft. Im Laufe des Tages kam es zu Gesprächen mit Ministerpräsident Antonis Samaras (Nea Dimokratia), dem Vizepremier und Außenminister Evangelos Venizelos (PASOK), dem Minister für Wirtschaftswachstum Kostis Hatzidakis und natürlich seinem Amtskollegen Giannis Stournaras. Am Abend hielt Schäuble dann vor ausgewähltem Publikum auf einer gemeinsamen Veranstaltung der Deutsch-Griechischen Handelskammer und der deutschen Botschaft in Athen eine Rede – in der er über die Situation der griechischen Wirtschaft aufklärte.

Vor einem Kontakt mit der griechischen Bevölkerung wurde der ausländische Besucher dagegen bewahrt. Um Schäuble nicht aufgebrachten Griechen auszusetzen, denen Deutschland und nicht zuletzt der Minister als Hauptverantwortliche für die eigene prekäre Lebenssituation gelten, hatte die Regierung ein weiträumiges Demonstrationsverbot in der griechischen Innenstadt verhängt. Gewerkschaften und linke Organisationen riefen dennoch zu Protesten am Abend, allerdings außerhalb der Sperrzone, auf. »Anlässlich des Besuchs von Schäuble in unserem Land greift die Regierung zum zweiten Mal nach dem Besuch von Merkel zu einer aus der Diktatur stammenden Verordnung, um Versammlungen zu verbieten«, kommentierte die größte Oppositionspartei im Parlament, SYRIZA, das Demonstrationsverbot.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 19. Juli 2013


Staatsdiener überflüssig

»Große Fortschritte«: Wolfgang Schäuble lobt Griechenland. Athen hatte zuvor weitere Auflagen der Troika erfüllt. 15000 Beamte und Angestellte sollen Job verlieren

Von Heike Schrader, Athen **


Am Donnerstag besuchte ein Hauptinitiator der Austeritätspolitik das griechische Versuchslabor für kapitalfreundliche Krisenbewältigung. Dem bundesdeutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble sollten während seines Kurztrips Fernsehbilder wütender und Nazivergleiche strapazierender Einheimischer jedoch erspart bleiben, weshalb die Regierung ein weiträumiges Demonstrations- und Versammlungsverbot über das Zentrum der Hauptstadt verhängt hatte.

Schäuble versuchte im Gegenzug den Anschein zu erwecken, als Freund gekommen zu sein. Er lobte Griechenland für seine Fortschritte bei der Krisenbewältigung, behauptete kühn, Athen habe »große Schritte bei der Konsolidierung seiner Wirtschaft« gemacht. Vor der Deutsch-Griechischen Handelskammer beschwor er das Bild hart arbeitender Griechen, die durch schwierige Zeiten gingen. Aber es gebe keinen anderen Weg, betonte Schäuble. »Wir arbeiten Seite an Seite dafür.« Am Nachmittag traf er sich mit seinem Amtskollegen Giannis Stournaras und Ministerpräsident Antonis Samaras.

Der Bundesfinanzminister kündigte die Teilnahme Deutschlands an der Bildung eines Investitionsfonds in Griechenland an. Berlin stellt den Griechen 100 Millionen Euro in Aussicht. Der Wachstumsfonds soll insgesamt 500 Millionen Euro Kapital haben und günstige Kredite für kleine und mittelständische Unternehmen bereitstellen.

Auch die griechische Regierung hatte zuvor den temporären Rollenwechsel versucht, und das Timing war geschickt gewählt: Nur Stunden bevor das Parlament über die Entlassung Tausender Staatsbediensteter abstimmen sollte, verteilte Ministerpräsident Samaras zum ersten Mal seit Beginn der Krise ein Zuckerbrot. Ab dem 1. August werde die Mehrwertsteuer in der Gastronomie von 23 auf 13 Prozent gesenkt, verkündete er Mittwoch abend höchstselbst seinem Volk. Das hat Tavernenbesuche aufgrund dramatisch reduzierter Einkommen und diverser Sondersteuern allerdings nur noch sehr selten im Programm. Gegen Mitternacht wurde dann wieder die Peitsche benutzt. »Unter Bauchschmerzen« und »um die Regierung nicht zu gefährden«, stimmten die 153 anwesenden der 155 dem Regierungslager angehörenden »Volksvertreter« den Ausführungsbestimmungen eines Gesetzes zu. Das war von der Gläubigertroika aus EU, Internationalem Währungsfonds (IWF) und EZB zur Bedingung für die Auszahlung der nächsten Kredittranche an das Land gemacht worden – Gelder, die wie alle vorherigen bereits nach Griechenland geflossenen Euros von Athen hauptsächlich zur Bedienung der Darlehen jener Gläubiger in EU, IWF und EZB verwendet werden.

Kernstück der Maßnahmen ist die Entlassung von 15000 öffentlichen Angestellten bis Ende 2014. Mindestens 4000 davon sollen noch in diesem Jahr das etwa 1,5 Millionen Menschen und damit knapp 28 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung umfassende Heer der Arbeitslosen in Griechenland vergrößern. Weitere 12500 Staatsbedienstete schickt die Regierung darüber hinaus im September auf eine achtmonatige Reise Richtung Arbeitslosigkeit – sie werden unter Bezug von 75 Prozent ihres Grundgehalts in eine sogenannte Mobilitätsreserve versetzt, aus der sich die Ministerien bei Besetzung freier Stellen bedienen sollen. Wer am Ende der acht Monate nicht übernommen wurde, wird entlassen.

Bereits vor der Abstimmung in der Nacht zum Donnerstag hatte die Regierung mehr als 8000 Menschen im Handstreich die Arbeit und damit die Lebensgrundlage entzogen. Etwa 2400 Lehrer erfuhren am Wochenende aus vom Bildungsministerium im Internet veröffentlichten Listen, daß ihre Stellen vernichtet worden waren. Dazu kommen alle 2200 Wächter an öffentlichen Schulen und die etwa 3500 direkt den Gemeinden zugeordneten Polizisten. Letztere wurden mit der Hoffnung auf eine eventuelle Übernahme durch die dem Ministerium für Öffentliche Ordnung unterstehenden Polizeibehörden vertröstet.

Bereits seit Ende vergangener Woche hatten sich die Betroffenen erneut gegen den Absturz in die Arbeitslosigkeit und gegen die damit verbundene Aussicht auf Verelendung gewehrt. Mit Streiks, Demonstrationen, Kundgebungen vor Partei- und Regierungssitzen und der Besetzung zahlreicher staatlicher Gebäude versuchte man bis zur letzten Minute, die Parlamentarier zur Ablehnung der Entlassungen zu bewegen. Unterstützt wurden die kommunalen Polizisten dabei von vielen Tausenden noch in Lohn und Brot stehenden Staatsbediensteten. Denen ist nur allzu klar, daß es nur eine Frage der Zeit sein kann, bis auch ihnen dasselbe Schicksal zugedacht wird. Sie alle nahmen am Dienstag an einem von den Gewerkschaftsdachverbänden GSEE (private Wirtschaft) und ADEDY (öffentlicher Dienst) ausgerufenen Generalstreik teil. Wie bereits an den beiden Abenden zuvor harrten darüber hinaus auch am Mittwoch wieder zahlreiche Widerständige bis tief in die Nacht vor dem griechischen Parlament aus und forderten die Rücknahme von Entlassungen und der Gesetzesvorlage.

** Aus: junge Welt, Freitag, 19. Juli 2013


Unbeglichene Athener Rechnung

SYRIZA-Chef Tsipras drängt Staatspräsidenten, Zwangsdarlehen Nazi-Deutschlands zurückzufordern

Von Anke Stefan, Athen ***


Die Regierung in Athen nickte Mittwochnacht die Entlassung von 15 000 Staatsbediensteten ab. Das Sparpaket ist der Preis für EU-Hilfsgelder, von denen das meiste gleich wieder in den Schuldendienst fließt.

Etwa 2,4 Milliarden Euro sollen im Juli aus dem Hilfsfonds nach Griechenland fließen. Und von dort wieder zurück in die Kassen der neuen und alten Gläubiger, denen Griechenland im selben Monat etwa 2,2 Milliarden Euro für die Begleichung von Altschulden überweisen muss. Trotzdem machte die Gläubigertroika die Überweisung der Kredittranche erneut von der »Erfüllung der Gläubigervereinbarungen« abhängig.

Dieser ist man in Athen bereits Mittwochnacht mit einem großen, für Tausende von der Krise gebeutelte Menschen allerdings vernichtenden Schritt nachgekommen. Mit 153 Stimmen der 155 Parlamentarier der Regierungskoalition aus Nea Dimokratia und PASOK wurde gegen Mitternacht ein Gesetzespaket verabschiedet, mit dem die von der Gläubigertroika geforderte Entlassung von 15 000 Staatsbediensteten bis zum Ende 2014 umgesetzt wird. Zwei Parlamentarier der Nea Dimokratia waren der Abstimmung ferngeblieben. Die anwesenden 140 Abgeordneten aller Oppositionsparteien stimmten geschlossen gegen das Gesetz.

Die ersten Massenentlassungen waren dabei schon vor der Verabschiedung des Gesetzes vorgenommen worden. Bereits am Wochenende waren etwa 2400 Lehrer und alle Wächter an staatlichen Schulen darüber informiert worden, dass ihre Stellen gestrichen worden seien. Das Heer der bereits etwa 1,5 Millionen Arbeitslosen Griechenlands wird darüber hinaus nunmehr von etwa 3500 Kommunalpolizisten vergrößert, denen am Wochenende ebenfalls die Auflösung ihres Berufsstandes mitgeteilt wurde. Ihnen machte die Regierung allerdings Hoffnung, »bei entsprechender Eignung« in den dem Ministerium für Öffentliche Ordnung unterstellten allgemeinen Polizeidienst übernommen zu werden.

Die am Dienstag in einem weiteren Generalstreik gipfelnden Proteste gegen die Massenentlassungen waren bis Mittwochnacht unverändert fortgesetzt worden. Wie bereits an den beiden Abenden zuvor hatten Tausende bereits gekündigte und von der Kündigung Bedrohte vor dem Parlament gegen das Gesetz protestiert, das ihnen den Absturz in die Armut garantiert. Und auch am Donnerstag, anlässlich des Besuchs des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble in Athen, gingen die Proteste weiter.

Diesen Besuch eines der offensivsten Vertreter der Griechenland aufgezwungenen Austeritätspolitik nutzte die griechische Linkspartei SYRIZA dazu, ihrerseits an ausstehende Schulden der führenden EU-Nation Deutschland gegenüber dem krisengebeutelten Mittelmeerland zu erinnern. SYRIZA-Vorsitzender Alexis Tsipras hatte anlässlich des Besuchs von Schäuble um einen Termin bei Staatspräsident Karolos Papoulias gebeten. Diesem erläuterte er am Donnerstagmittag die Forderung seiner Partei, die griechische Regierung solle Deutschland zur Begleichung eines milliardenschweren Zwangsdarlehens aus der Zeit der Nazibesatzung und zur Entschädigung für die von den deutschen Faschisten begangenen Kriegsverbrechen bewegen. »Es kann nicht sein, dass diejenigen, die Griechenland regieren, öffentlich die Schulden unseres Landes gegenüber den großen Fonds und den Banken anerkennen, aber die Schulden Deutschlands gegenüber dem griechischen Volk nicht«, sagte Tsipras nach dem Treffen mit Papoulias. Wenn die Regierung nicht gewillt sei, die Begleichung dieser Schulden einzufordern, so werde dies in Kürze das Volk selbst tun, indem es eine andere Regierung an die Macht bringe, fügte der SYRIZA-Vorsitzende hinzu. Bei seinem Besuch beim Staatspräsidenten wurde Tsipras von Manolis Glezos begleitet, dem griechischen Nationalhelden, der 1941 zusammen mit Apostolos Santas die Hakenkreuzfahne von der besetzten Athener Akropolis gerissen hatte.

*** Aus: neues deutschland, Freitag, 19. Juli 2013


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