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Athen unter Spardiktat

Griechenland steht vor Massenentlassungen im öffentlichen Dienst – oder dem Ausbleiben von "Hilfszahlungen". Nächste Regierung könnte auf der Kippe stehen *

Das hochverschuldeten Griechenland ist in eine weitere Zerreißprobe wegen der Auflagen seiner Geldgeber gestürzt worden. Das Parlament mußte am späten Mittwoch abend (nach jW-Redaktionsschluß) über ein Gesetz entscheiden, das unter anderem die Entlassung von 15000 Staatsbediensteten bis Ende 2014 vorsieht. Sollte das scheitern, könnte die Regierung des konservativen Regierungschefs Antonis Samaras und seines sozialistischen Vizes Evangelos Venizelos ins Wanken geraten. Die Koalition ging mit ihrer knappen Mehrheit von 155 Abgeordneten im 300 Sitze zählenden Parlament in die entscheidende Abstimmung. Im Falle einer Ablehnung steht die nächste Tranche der Hilfskredite der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) auf dem Spiel. Es geht dabei um 2,5 Milliarden Euro bis Ende Juli.

Es ist das inzwischen sechste Kürzungspaket seit März 2010, das von den Regierenden in Athen beschlossen werden soll. Diesmal geht es vor allem um die Entlassung von Beamten und Angestellten. Bis Ende 2014 müssen insgesamt 15000 Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut werden, davon 4000 bis Ende dieses Jahres. Es ist das erste Mal seit mehr als 100 Jahren, daß Staatsbedienstete gefeuert werden sollen. Am Mittwoch hatten Kommunalpolizisten in Athen erneut mit Auto- und Motorradkorsos sowie Sirenengetöse gegen ihre mögliche Entlassung protestiert. Am Mittwoch abend hatten die Gewerkschaften vor dem Parlament zu erneuten Demonstrationen aufgerufen. Bereits in den vergangenen Tagen waren Tausende Staatsbedienstete aus Protest gegen das Gesetz auf die Straße gegangen.

Das Vorhaben hat die Emotionen in der Bevölkerung weiter hochkochen lassen. Linke Abgeordnete warfen der Regierung vor, sie bestehe aus Verrätern und Kollaborateuren der Troika-Geldgeber. Auch Abgeordnete der Koalition schienen zuletzt nicht voll hinter dem Vorhaben gestanden zu haben. Sie monierten, die geplanten Maßnahmen seien aus dem Stegreif beschlossen worden. Das scheint zwar ein Hilfsargument, doch die Regierung hatte es tatsächlich versäumt, in den vergangenen Monaten Listen mit »nicht benötigten Angestellten oder Beamten«, die sich strafbar gemacht haben, auszuarbeiten. Nun bescheinigt die griechische Presse der Staatsführung, daß sie völlig willkürlich zuschlage und die erstbesten Staatsdiener entlassen wolle. Betroffen von der drakonischen Maßnahme sind Lehrer, Hausmeister und Reinigungskräfte in Schulen sowie Angestellte der Kommunen.

Zudem doht dem Land weiteres Ungemach: Einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge stehe der Etat vor einer neuen Finanzierungslücke von bis zu zehn Milliarden Euro. Unmittelbar nach der Sommerpause müßten die Euro-Länder über die weitere Finanzierung des Hilfsprogramms entscheiden, sagte ein hoher Beamter der EU-Kommission dem Blatt. Allerdings sei vor der Bundestagswahl am 22. September nicht mit konkreten Antworten zu rechnen, wie das mögliche Loch gestopft werden könnte. (Quellen: dpa/Süddeutsche Zeitung)

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 18. Juli 2013


Schäuble auf Krisentour

Finanzminister mahnt Athen und will dort auch ein paar milde Gaben verteilen **

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) begibt sich auf Krisentour. Bei seinem Besuch in Griechenland will er bis zu 100 Millionen Euro für einen Wachstumsfonds in Aussicht stellen, knüpft dies aber wie gewohnt an Bedingungen. Wie es am Mittwoch in Ministeriums­kreisen hieß, müsse das Land zuvor weitere Maßnahmen umsetzen, um die Gaben zu rechtfertigen.

Schäuble ist an diesem Donnerstag auf Einladung der griechischen Seite zu einer Kurzvisite in Athen. Unmittelbar nach der geplanten Verabschiedung des inzwischen sechsten Kürzungsprogramms, das maßgeblich vom deutschen »Geldgeber« mitbestimmt worden war, ist das sicher keine Vergnügungsfahrt. Er trifft unter anderem mit Premierminister Antónis Samarás und Finanzminister Giannis Stournaras zusammen. Schäuble ließ wissen, er wolle die Griechen durch den Besuch ermutigen, den »Reformweg« weiterzugehen, und dabei deutsche Unterstützung anbieten.

Die Visite wurde brisanter, weil die Süddeutsche Zeitung am Mittwoch über ein neue Finanzierungslücke in Athen berichtet hatte. Bis zu zehn Milliarden Euro fehlten möglicherweise im Etat des krisengeplagten Staates, der Internationale Währungsfonds könnte sogar aus dem Unterstützungsprojekt aussteigen, hieß es. Das Bundesfinanzministerium hatte zwar umgehend dementiert, daß im Hilfspaket für Griechenland eine Finanzierungslücke in dieser Höhe klaffe, aber was bedeutet das schon? Trotzig ließ das Ministerium verkünden, es gehe vielmehr darum, daß Athen die vereinbarten Maßnahmen jetzt und nach der Sommerpause umsetze.

Es stelle sich folglich vielmehr die Frage, ob Griechenland die Voraussetzungen für die Auszahlung der nächsten Tranche erfülle, hieß es weiter. Hier gehe es vor allem um weitere Reformschritte in der öffentlichen Verwaltung – also unter anderem die Entlassung von bis zu 15000 Staatsdienern.

Die wirtschaftliche Entwicklung in Griechenland habe sich stabilisiert, hieß es weiter. Die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und IWF gehe im kommenden Jahr von einem Wachstum von 0,6 Prozent aus. Daß in deren Berichten auf verbleibende Haushaltslücken verwiesen werde, sei nichts Ungewöhnliches.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 18. Juli 2013


Neue Milliarden für Griechenland?

Geld hilft immer

Von Dieter Schubert ***


Pünktlich zum Sommerloch braucht Griechenland mehr Geld. Trotz aller bisherigen Hilfskredite drohe dem Staat die Zahlungsunfähigkeit, schreibt die Süddeutsche Zeitung und beruft sich auf Insider aus der EU-Kommission. Bis zu zehn Milliarden Euro sollen fehlen, auch wenn das dementiert wurde. Wie das neue Loch entstanden ist, wird nicht erklärt. Aber das Drohszenario schon: Stehe die Finanzierung des griechischen Haushaltes nicht für den Zeitraum bis 2014, müsse sich der IWF gemäß seiner Statuten aus dem »Rettungsprogramm« verabschieden. Und was dann? In der Logik der politischen Euro-Retter kann das nur heißen, EU und EZB müssen allein mit dem Problem klarkommen. Und die Steuerzahler.

Die von Beginn an so konstruierten Zwänge machen es unmöglich, das Dilemma zu lösen. Das will wohl auch niemand. Hauptsache der Laden läuft irgendwie, notfalls unter Verwendung vieler frischer Milliarden. Geld hilft immer, denn in seiner Form als Profit, Ertrag oder Gewinn bewegt es die Welt. Fragt sich nur, wem? Kanzlerinnen und Präsidenten, Finanzminister und Kommissare sind da in einer prima Situation. Sie nehmen es ihren Bürgern weg, schütten die Euros in die große Umverteilungsmaschine, und am Ende freuen sich Investoren. Damit alles korrekt aussieht, lassen sie sich sogar von Parlamentariern mandatieren. Sherpas reichen ihnen Papiere, die sie mehr oder weniger ausdrucksstark vorlesen. PR-Alchimisten hatten zuvor griffige Formulierungen ersonnen, Ökonomen Sachverstand veräußert. Ideengeber bleibt die Lobby des Finanzkapitals. Und die kontrolliert auch, wie es läuft.

Derzeit tut es das weniger gut. Auch kommen viel zu oft Termine dazwischen, die eine geordnete Umverteilung behindern. Beispielsweise Wahlen. Mit Protesten und Demonstrationen können die Herrschaften leben, mit rasant verschlechterten wirtschaftliche Grundbedingungen nicht. Doch die Effekte massenhaften menschlichen Handelns entwickeln sich nach gewissen Gesetzmäßigkeiten. Etwa wenn von den »Rettern« zur Bedingung gemacht wird, daß der hochverschuldete Staat »spart«, also massiv seine Ausgaben zurückfährt, wie in Griechenland. Dort schrumpft die Wirtschaftsleistung, steigt die Verschuldungsquote selbst dann noch, wenn rabiat gekürzt wird. Und die soziale Lage immer größerer Bevölkerungsgruppen wird prekär.

Athens Regierende haben das Heft des Handelns nicht in der Hand. Sie können Vollstrecker oder Blockierer des Willens der Geldgeber sein. Weil deren Zahlungen jedoch ohnehin den Weg zu diversen Gläubigern finden, ist es egal, welche Rolle sie wählen. Und welches Ende. Bleiben sie im Euro-Verbund, muß das Land lange mit Transferzahlungen alimentiert werden, bleibt es eine Art Kolonie. Und führt man die Drachme wieder ein, dürfte alles, was bisher sozialökonomisch geschehen ist, eher harmlos gewesen sein.

*** Aus: junge Welt, Donnerstag, 18. Juli 2013 (Kommentar)


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