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Rettung für Geldsäcke

ATTAC-Studie: Drei Viertel der sogenannten Griechenlandhilfe flossen in die Kassen von Banken. Bei den Bürgern kam nichts an, im Gegenteil

Von Wolfgang Pomrehn *

Wo sind eigentlich jene 206,9 Milliarden Euro geblieben, die seit März 2010 in 23 einzelnen Tranchen als »Griechenlandhilfe« ausgezahlt wurden? Bei den Kindern dort im Lande – von denen immer mehr morgens hungrig zur Schule gehen – kommt es offensichtlich nicht an. Bei den Lehrern, die inzwischen per Notstandsgesetzen zwangsverpflichtet wurden und als Berufsanfänger lediglich 623 Euro im Monat erhalten, auch nicht. Einige österreichische Mitglieder des globalisierungskritischen Netzwerks ATTAC sind dieser Frage einmal nachgegangen.

Ihr Ergebnis: Mindestens drei Viertel der Hilfsgelder sind in den Finanzsektor geflossen, das heißt, die Kredite dienen vor allem der Stabilisierung von Banken und ähnlichen Konstrukten. Zum Beispiel wurden laut ­ATTAC-Recherche 58,2 Milliarden Euro für die Rekapitalisierung griechischer Geldinstitute ausgegeben. Die wurden damit offenbar meist vor dem Bankrott bewahrt. Wie auch hierzulande wurden also nicht die Besitzer der Banken für die Finanzkrise haftbar gemacht, deren Ursachen – z.B. massive Kreditspekulationen – ihnen zuvor erhebliche Gewinne beschert hatten, sondern die Steuerzahler.

Ein noch größerer Betrag, 101,3 Milliarden Euro oder knapp die Hälfte der »Hilfsgelder«, landeten bei Griechenlands Gläubigern. Die hatten in den Jahren zuvor immer höhere Zinsen kassiert – eigentlich ein Zeichen dafür, daß diese Staatsanleihen risikobehaftet waren. Doch anstatt die Gläubiger dieses Risiko tragen zu lassen, das heißt, die Anleihen zu entwerten, leistete der griechische Staat mit den vermeintlichen Hilfsgeldern weiter brav den Schuldendienst. Mit weiteren 34,6 Milliarden Euro wurden die Gläubiger für einen groß gefeierten Schuldenschnitt gewonnen, der brachte ihnen letztlich kaum Verluste. Nur die griechischen Pensionsfonds mußten ordentlich bluten, das heißt, die Hellenen bezahlten mit ihren Renten für die Bankensanierung. Weitere 11,29 Milliarden Euro wurden nach ­ATTAC-Angaben für den Rückkauf beinahe wertloser Anleihen aufgewendet.

Nur ein gutes Fünftel der Zahlungen aus dem »Rettungspaket« landete tatsächlich im Staatshaushalt des hochverschuldenen Euro-Landes. Aber auch diese Geld kommt nicht bei den griechischen Bürgern an. Knapp 35 Milliarden Euro hat der Staat nämlich nach Angaben der europäischen Statistikbehörde Eurostat vom zweiten Quartal 2010 bis zum vierten Quartal 2012 an Zinsen gezahlt. 2010 und 2011 flossen außerdem insgesamt 10,2 Milliarden Euro in den Militärhaushalt. Nach Informationen des Trans National Institutes in Amsterdam haben die Regierungen in Berlin und Paris Athen unter Druck gesetzt, diesen Etatposten nicht zu kürzen. Dasselbe Institut stellte in einem kürzlich veröffentlichten Bericht über Militärausgaben, Krise und Korruption fest, daß Griechenland in den vergangenen vier Jahrzehnten gemessen an seiner Wirtschaftskraft meist der größte Käufer von Rüstungsgütern gewesen sei. Der Anteil des Militärhaushaltes am Bruttosozialprodukt sei annähernd doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt.

Entsprechend vernichtend ist das Resümee von Lisa Mittendrein, die die kleine ATTAC-Studie miterstellte: »Das Ziel der politischen Eliten ist nicht die Rettung der griechischen Bevölkerung, sondern die Rettung des Finanzsektors«. Hunderte Milliarden Euro aus öffentlichen Geldern seien eingesetzt worden, »um Banken und andere Finanzakteure und vor allem deren Eigentümer vor den Folgen der von ihnen verursachten Finanzkrise zu retten«. Von Hilfe für die Bürger dort könne nicht die Rede sein. »Die griechische Bevölkerung muß die Rettung von Banken und Gläubigern vielmehr mit einer brutalen Kürzungspolitik bezahlen, die die bekannten katastrophalen sozialen Folgen hat.«

Interessantes Detail am Rande, das ebenfalls von den ATTAC-Autoren ausgegraben wurde: Bei der EFSF, der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität, sind zwölf Personen angestellt. Aufgabe der EFSF ist es, den größeren Teil der sogenannten Griechenlandhilfe bei den EU-Mitgliedern einzusammeln – auch Athen wird zur Kasse gebeten, das Land selbst zahlte bisher 0,9 Milliarden Euro ein – und es dann mit den zahlreichen Auflagen, wie der Privatisierung von Wasserbetrieben, der Absenkung des Mindestlohnes oder der Schließung von Krankenhäusern versehen, an den griechischen Staat auszuzahlen. 2011 hatte die EFSF Personalkosten in Höhe von 3,1 Millionen Euro, das heißt, ihre zwölf Mitarbeiter verdienten im Schnitt 258000 Euro im Jahr. Das sind die Leute, die den Griechen einen Mindestlohn von monatlich 580 Euro (brutto) vorschreiben. EFSF-Chef Klaus Regeling, Jahresgehalt vermutlich 324000 Euro plus Zulagen, hat im Rahmen seiner bisherigen Karriere bereits für die Bundesregierung, den Hedgefonds Moore Capital Strategy Group sowie den Hedgefonds Winton Futures Fund Ltd. gearbeitet.

»Unsere Ergebnisse machen deutlich, daß das Hauptziel der Krisenpolitik seit 2008 darin besteht, die Vermögen der Reichsten zu schützen«, faßt Autorin Mittendrein zusammen. »Die Politik nimmt enorme Arbeitslosigkeit, Armut und Not in Kauf – um einen Finanzsektor zu retten, der nicht zu retten ist.« Bedenklich sei zudem, daß die Verantwortlichen ihren Umgang mit öffentlichen Mitteln kaum dokumentieren. »Es ist ein Skandal, daß die EU-Kommission zwar Hunderte Seiten an Berichten veröffentlicht, aber nirgendwo auflistet, wofür das Geld konkret verwendet wurde«, so Mittendrein.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 18. Juni 2013


Die Ergebnisse im Detail:

  • 58,2 Milliarden (28,1 Prozent) wurden für die Rekapitalisierung griechischer Banken verwendet – anstatt den zu großen und maroden Sektor nachhaltig umzustrukturieren und die Eigentümer der Banken für deren Verluste haften zu lassen.
  • 101,3 Milliarden (49 Prozent) kamen Gläubigern des griechischen Staats zugute. Davon wurden 55,44 Milliarden verwendet, um auslaufende Staatsanleihen zu bedienen – anstatt die Gläubiger das Risiko tragen zu lassen, für das sie zuvor hohe Zinsen kassiert hatten. Weitere 34,6 Milliarden dienten dazu, die Gläubiger für den Schuldenschnitt im März 2012 zu gewinnen. 11,29 Milliarden wurden im Dezember 2012 für einen Schuldenrückkauf eingesetzt, bei dem der griechische Staat Gläubiger beinahe wertlose Anleihen abkaufte.
  • 46,6 Milliarden (22,5 Prozent) flossen in den griechischen Staatshaushalt oder konnten nicht eindeutig zugeordnet werden.
  • 0,9 Milliarden (0,4 Prozent) gingen als griechischer Beitrag an den neuen Rettungsschirm ESM.

Weitere bizarre Details:

Die Attac-Recherche hat zudem weitere bizarre Details über die sogenannte "Griechenland-Rettung" ans Licht gebracht:
  • Mehrmals brachen EU und IWF ihre eigenen Ankündigungen und hielten zugesagte Teilzahlungen wochen- bis monatelang zurück, um Druck auf die griechische Demokratie auszuüben: im Herbst 2011, um eine Volksabstimmung über die Austeritätspolitik zu verhindern, und im Mai/Juni 2012, um die Siegeschancen der Troika-freundlichen Parteien bei den Parlamentswahlen zu erhöhen. Mit dem Zurückhalten zugesagter Gelder zwingt die Troika die griechische Regierung, kurzfristige Anleihen auszugeben, um den unmittelbar drohenden Staatsbankrott zu vermeiden. Da diese nur wenige Wochen oder Monate laufenden "Treasury Bills" hochverzinst sind, steigen damit die griechischen Staatsschulden und die Gewinne der Geldgeber. Das ist ein weiterer Beleg dafür, dass der Schuldenabbau nicht das Hauptziel der Troika ist, sondern primär ein Vorwand, um die Zerstörung von Sozialstaat und ArbeitnehmerInnenrechten voranzutreiben.
  • Eine Tranche im Umfang von 1 Milliarden Euro, die Griechenland im Juni 2012 von der EFSF erhielt, diente primär dazu, die griechische Pflichteinlage in den EFSF-Nachfolger ESM zu finanzieren. Die EFSF finanzierte also ihren eigenen Nachfolger – aber nicht direkt, sondern unter Erhöhung des griechischen Schuldenstands.
  • Klaus Regling, Vorsitzender von EFSF und ESM, hat in seiner Karriere mehrfach zwischen Politik und Finanzsektor hin- und hergewechselt. Vor dieser Tätigkeit arbeitete er abwechselnd für die deutsche Bundesregierung, den Hedgefonds Moore Capital Strategy Group, die Generaldirektion für wirtschaftliche und finanzielle Angelegenheiten in der Europäischen Kommission und den Hedgefonds Winton Futures Fund Ltd. Er steht damit symbolisch für die Verflechtung von Finanzmärkten und Politik, die mitverantwortlich dafür ist, dass die EU-Krisenpolitik primär auf die Rettung des Finanzsektors abzielt.
  • Laut Geschäftsbericht gab die EFSF 2011 rund 3,1 Mio. Euro für Personalkosten aus. (9) In diesem Jahr arbeiteten Medienberichten zufolge 12 Personen für die EFSF (10). Im Schnitt wurden also 258.000 Euro pro Mitarbeiter ausgegeben. EFSF-Vorsitzender Klaus Regling verdient mutmaßlich 324.000 Euro plus Zulagen im Jahr. (11) Menschen mit Einkommen in dieser Größenordnung verwalten eine Politik, die in Griechenland den Mindestlohn auf 580 Euro brutto pro Monat (510 für Jugendliche) gesenkt hat. (12)
Quelle: attac Austria; http://www.attac.at/news/detailansicht/datum/2013/06/17/griechenland-rettung.html




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