Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Der Geruch der Armut

Viele Griechen können krisenbedingt nur noch mit Holz heizen

Von Kurt Stenger *

In griechischen Städten herrscht wegen der gestiegenen Nutzung von Holzöfen Smogalarm. Da die öffentliche Gesundheit gefährdet ist, reagiert nun die Regierung.

Wer derzeit in einer griechischen Stadt unterwegs ist, kann die Armut förmlich riechen und sehen. Ein beißender Geruch nach verbranntem Holz liegt in der Luft. Und der Smog in Athen sowie anderen urbanen Zentren hat ein derart gefährliches Niveau erreicht, dass Gesundheitsminister Adonis Georgiades am Wochenende an Ältere und Asthmatiker appellierte, ihre physischen Aktivitäten zu begrenzen bzw. ihre Inhalatoren häufiger zu benutzen.

Die Ursache liegt in der Antikrisenpolitik der Regierung. Um Staatseinnahmen zu erhöhen, wurden in den letzten Jahren die Heizöl- und die Mehrwertsteuer mehrmals erhöht. Für einen Liter Heizöl müssen Griechen mittlerweile gut 1,30 Euro berappen – in Deutschland sind es rund 80 Cent. Da gleichzeitig die Einkommen vieler Haushalte in der Krise dramatisch gesunken sind, reicht das Geld nicht dafür, die Ölheizung in Betrieb zu halten. Sehr viele Griechen heizen derzeit – bei Temperaturen etwa wie in Deutschland – entweder gar nicht oder verbrennen Holz, das nicht selten illegal in den ohnehin kargen Wäldern des Landes geschlagen wurde. Meist handelt es sich um Brennstoffe minderer Qualität oder mit hohem Harzanteil. Und Feinstaub- oder Rußfilter sind in den häufig erst wieder instand gesetzten Uraltöfen oder Kaminen Fehlanzeige. Messungen des Umweltministeriums in den vergangenen Wochen ergaben etwa im Norden Athens mehrfach eine bis zu 200-prozentige Überschreitung des zulässigen Feinstaubgrenzwertes. Daraufhin appellierte die Regierung an die Bürger, den Gebrauch solcher Feuerstellen zu reduzieren – was völlig wirklichkeitsfremd ist. Auch Drohungen, das Verbrennen von Holz zu verbieten, zeigten keine Wirkung.

Dieses Heizen ist nicht nur für Risikogruppen gefährlich, sondern auch für die Nutzer selbst. Vor wenigen Wochen starb im Athener Vorort Aspropyrgos eine 86-Jährige an Kohlenmonoxidvergiftung – sie hatte in einem behelfsmäßigen Ofen Holz verbrannt. In Thessaloniki traf ein 13-jähriges Mädchen serbischer Herkunft das gleiche Schicksal. Die Wohnung der Familie verfügte über keine andere Heizung, außerdem war wegen unbezahlter Rechnungen der Strom abgestellt. Als Reaktion auf diese Vorfälle wandten sich die Bürgermeister mehrerer Stadtteile von Athen und Thessaloniki in einem Schreiben an die Zentralregierung. Darin baten sie diese darum, es den lokalen Behörden zu erlauben, die Energieschulden armer Familien zu begleichen, damit diese wieder ans Stromnetz angeschlossen werden können. Die Genehmigung erfolgte prompt, aber nur für bestimmte Härtefälle.

Um das Heizproblem in den Griff zu bekommen, hat die Regierung am Montag eine Verordnung in Kraft gesetzt: Sobald erhöhte Werte von Staubpartikeln in der Luft gemessen werden, soll der Strom für Arbeitslose und notleidende Familien am betreffenden und dem darauffolgenden Tag kostenlos sein. Dadurch könnten Elektroheizungen genutzt werden – so sie denn vorhanden sind.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 24. Dezember 2013


Notwinter in Athen

Weil die Luft durch Holzheizung verpestet wird, erhalten Bedürftige tageweise kostenlos Strom. Durchschnittseinkommen sanken seit 2009 um fast 40 Prozent

Von Arnold Schölzel **


EU-Weihnachten 2013: Am Montag zeigt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel auf Seite eins von Bild in Sankt Moritz beim zweiwöchigen Urlaub. Am selben Tag berichtet dpa dreimal aus Griechenland von den jüngsten Folgen der aus Berlin diktierten und in der vergangenen Woche von den Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD im Bundestag unterstützten Auflagen: In 6000 griechischen Betrieben wird das dringend benötigte Weihnachtsgeld nicht mehr bezahlt oder die Beschäftigten werden gezwungen, per Unterschrift wahrheitswidrig zu bestätigen, daß sie die Gratifikation erhalten hätten. Für griechische Rentner wurde die Zusatzzahlung zum Jahresende schon bei Beginn der Krise gestrichen. Lange Schlangen bildeten sich am Montag vor Steuerämtern, weil immer mehr Menschen ihre Autos abmelden müssen. Und: Gesundheitsminister Adonis Georgiades schlug Alarm, weil die Armen im Lande aus Not mit Holz heizen und die Luftverschmutzung am vergangenen Wochenende in fast allen Städten des Landes bedrohliche Ausmaße angenommen hatte. Nicht die Armut, sondern die Luftpartikel treiben den Minister um: Gibt es zu viel Staub, soll der Strom für Arbeitslose und notleidende Familien am betreffenden und dem darauffolgenden Tag kostenlos sein. Anspruch sollen alle Familien mit einem Jahreseinkommen von weniger als 12000 Euro haben. Mit jedem Kind steige diese Grenze um 3000 Euro, hieß es.

Zum Hintergrund berichten die Agenturen: Seit 2009 sind nach Schätzungen der Gewerkschaftsverbände (GSEE-ADEDY) die Einkommen in Griechenland durchschnittlich um fast 40 Prozent gefallen. Unverändert blieb allerdings der Artikel 107 der griechischen Verfassung: Er garantiert den Reedern des Landes Steuerfreiheit. Am 6. Dezember berichtete die Süddeutsche Zeitung: »Anfang November zwang die Koalitionsregierung die Reeder erstmals, im Rahmen eines neuen Sparpakets 140 Millionen Euro in die Staatskasse zu geben. Sie dürften es verschmerzen. Die Summe entspricht einem Tausendstel der Gewinne, welche die etwa 700 Familien in den Jahren 2000 bis 2010 gemacht haben. 3760 Schiffe gehören griechischen Reedern, davon fahren aber nur 862 unter griechischer Flagge – Gewinne aus ›internationaler‹ Schifffahrt sind steuerfrei.« Griechische Schiffe werden nach einem Gesetz aus dem Jahr 1957 nicht nach Gewinnen, sondern nach Tonnage besteuert. Die Steuerbefreiung schrieben die von der NATO geförderten faschistischen Putschisten von 1967 in die Verfassung. Ihr Geld legen die griechischen Clans in der Schweiz oder in deutschen und britischen Immobilien an. Da ist es vor Merkel und Co. sicher.

Ansonsten sprechen die am Montag verbreiteten Daten für sich: Nach Schätzungen des griechischen Autohandels wurden seit 2009 mehr als eine Million Fahrzeuge abgemeldet. Von Januar bis Ende November sanken die Neuzulassungen nach Zahlen des Branchenverbandes ACEA um 40 Prozent auf rund 55000 Fahrzeuge. Dies war der stärkste Rückgang in der EU.

In einem Bild-Interview warnte Altkanzler Helmut Schmidt (SPD), der am Montag seinen 95. Geburtstag beging, die Krise der EU und ihrer Institutionen werde im nächsten Jahr die deutsche Politik einholen »und die anderen Themen beiseite schieben«. Es werde einen Schuldenschnitt für Griechenland geben müssen, weil die Wirtschaft des Landes anders nicht gerettet werden könne.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 24. Dezember 2013


Zurück zur Griechenland-Seite

Zur Seite "Armut, Elend, Hunger"

Zurück zur Homepage