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Ende einer Ära

Mit der georgischen Kommunalwahl am Sonntag werden die letzten Bastionen des Saakaschwili-Regimes fallen

Von Knut Mellenthin *

In Georgien finden am Sonntag Kommunalwahlen statt. Nach der Parlamentswahl vom 1. Oktober 2012 und der Präsidentenwahl vom 27. Oktober 2013 wird damit der letzte Abschnitt der Entmachtung der Vereinigten Nationalbewegung (UNM) des früheren Präsidenten Michail Saakaschwili vollzogen. Die UNM, die sich im November 2003 mit US-amerikanischer Hilfe in einem unblutigen Staatsstreich an die Macht geputscht hatte, hatte praktisch den Status einer monopolistischen Staatspartei, neben der es keine funktionierende Opposition gab. Das Bindemittel war die Vergabe von Ämtern und anderen Vergünstigungen, Korruption und Schutzgeld­erpressung bei Privatunternehmen und eine antirussische Ideologie, die zur Verdeckung oder Kompensation aller Schwächen des Systems herhalten mußte.

Nachdem die Partei durch ihre Wahlniederlage im Oktober 2012 diesen Status verloren hat und seither ihrerseits Druck und Einschüchterungen ausgesetzt ist, hat sie stark an Mitgliedern, Anhängern, Zusammenhalt und Bedeutung verloren. Viele ihrer ehemals führenden Politiker und Funktionäre wurden wegen Wirtschaftsverbrechen, Machtmißbrauchs und Mißhandlung von Untergebenen angeklagt, einige auch schon verurteilt. Andere haben sich der strafrechtlichen Verfolgung dadurch entzogen, daß sie nun im Ausland leben. Saakaschwili ist als Dozent in den USA gut versorgt und berät nebenbei die neuen Machthaber in Kiew.

Die früheren Gönner der UNM in den USA und Europa haben sich nach anfänglichen Beschwerden gegen die juristische Aufarbeitung der Saakaschwili-Ära mit dem Parteienbündnis Georgischer Traum (GD), das seit Oktober 2012 in Tbilissi regiert, abgefunden und arrangiert. Am 27. Juni will die EU ein Assoziierungsabkommen mit Georgien und gleichzeitig auch mit Moldawien unterzeichnen. Da möchte man möglichst wenig Streit und keine schlechte Presse.

Daher steht wohl jetzt schon fest, daß die EU den demokratischen und fairen Charakter der bevorstehenden Kommunalwahlen bestätigen wird. Die gewalttätigen Angriffe während des Wahlkampfs auf Politiker, Mitglieder, Anhänger und Wahlhelfer der UNM ebenso wie die Einschüchterung von Kandidaten, werden unter den Tisch fallen oder nur am Rande erwähnt werden. Außerdem hat vermutlich das NDI, das Institut der Demokratischen Partei der USA, recht, das in seinem jüngsten Bericht vom 10. Juni zwar die Übergriffe und andere unschöne Vorkommnisse aufzählt und beanstandet, aber zugleich konstatiert, daß früher, unter der Herrschaft der UNM, alles noch schlimmer gewesen sei.

Das gilt auch für die tief in der georgischen Gesellschaft verwurzelte Ablehnung von Menschen mit gleichgeschlechtlichen Beziehungen. Vorgänge, die in den westlichen Medien breit ausgeschlachtet würden, wenn sie in Moskau oder Petersburg stattgefunden hätten, werden weitgehend ignoriert, wenn sie sich in Tbilissi ereignen. Im vorigen Jahr wurde am 17. Mai eine Kundgebung anläßlich des International Day Against Homophobia and Transphobia von mehreren tausend Gegendemonstranten überfallen und auseinandergejagt. In diesem Jahr verzichteten die Schwulen- und Lesbengruppen auf eine Demonstration. Ihre Gegner waren dennoch mit aggressiven Parolen auf der Straße. Aufgerufen hatte die orthodoxe Kirche, die den 17. Mai inzwischen zum »Tag der Familie« erklärt hat.

Das Bündnis Georgischer Traum war vor zwei Jahren mit dem Versprechen angetreten, das Verhältnis zu Rußland zu entspannen und zu normalisieren. Das wurde bisher nur teilweise eingelöst. Vorteil zieht daraus hauptsächlich Georgien, das nun wieder zahlreiche traditionelle Exportartikel – neben Wein und Mineralwasser auch allerlei Gemüse, Obst und Südfrüchte – nach Rußland verkaufen kann. Durch die georgische Regierung geht jedoch ein Riß: Während Premierminister Irakli Garibaschwili betont diplomatisch und versöhnlich spricht, praktizieren Präsident Giorgi Margwelaschwili und mehr noch Verteidigungsminister Irakli Alasania die alte antirussische Rhetorik.

* Aus: junge Welt, Freitag 13. Juni 2014


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