Protest gegen Wahlverlauf in Georgien
Während sich Saakaschwili als Sieger feiern lässt, spricht die Opposition von Betrug
Von Irina Wolkowa, Moskau *
In der Kaukasusrepublik Georgien haben internationale Beobachter am Sonntag (6. Januar) ein insgesamt
positives Urteil über den Verlauf der Präsidentenwahl gefällt. Dagegen protestierten gestern in der
Hauptstadt Tbilisi Tausende Anhänger der Opposition gegen angebliche Wahlfälschungen und den
sich abzeichnenden Sieg von Michail Saakaschwili.
Wie groß ist die kritische Masse für einen Umsturz in Ländern wie Georgien, wo politische
Leidenschaften schnell überkochen? Bei der »Revolution der Rosen« im November 2003 zwangen
knapp 100 000 Menschen Eduard Schewardnadse, den damaligen Präsidenten, zum Rücktritt. Der
Grund: Gefälschte Ergebnisse der Parlamentswahlen.
Bei dem gestrigen (6. Jan.) Protest der Opposition, die das Ergebnis der vorgezogenen Präsidentenwahlen
am Sonnabend (5. Jan.) ebenfalls nicht anerkennt, waren es deutlich weniger. Beobachter sprachen von
maximal 20 0000. Ob Michail Saakaschwili die Ex-Sowjetrepublik im Südkaukasus weitere vier
Jahre regieren wird, bleibt dennoch abzuwarten. Zumal verlässliche Ergebnisse noch ausstehen.
Zwar liegt Saakaschwili bei Wahlnachbefragungen deutlich in Führung. Auch die Zentrale
Wahlkommission attestiert ihm rund 57 Prozent. Doch sie hatte gestern Mittag sage und schreibe
erst zehn Prozent der Stimmen ausgezählt und begründete dies mit den extremen
Wetterbedingungen. Über Georgien waren die schwersten Schneefälle seit Jahrzehnten
niedergegangen. Damit wird offiziell auch die niedrige Wahlbeteiligung erklärt. Sie lag bei nur 56
Prozent. Unabhängige Experten indes glauben, die Georgier haben auch das Machtgerangel ihrer
Eliten satt, denn die Revolution der Rosen hat die flächendeckende Armut bisher nicht mal in
Ansätzen beseitigt.
Die unsichere Faktenlage hielt den für taktische Ungeschicklichkeiten berühmt-berüchtigten
Saakaschwili indes nicht davon ab, seinen Sieg zu feiern, kaum dass in Tbilisi am Sonnabend um 20
Uhr Ortszeit die Wahllokale schlossen: Autos seiner Fangemeinde fuhren laut hupend und mit der
Nationalflagge auf der Kühlerhaube zur Philharmonie, wo Saakaschwili sich unter dem tosenden
Beifall seiner Anhänger bescheinigte, die Abstimmung sei die »demokratischste in der gesamten
Geschichte Georgiens« gewesen. Auch sei er »bereit zur Zusammenarbeit mit allen patriotischen
Kräften, um Georgien zu einen«. Er strecke auch jenen, die nicht für ihn gestimmt haben, die Hand
entgegen.
Die Opposition wollte davon nichts wissen. Ihre Führer sprachen von flächendeckender Fälschung
und zahlreichen Unregelmäßigkeiten während der Abstimmung, zwei der insgesamt sieben
Kandidaten – Schalwa Natelaschwili von der »Neuen Rechten« und der Medienmogul Badri
Patrkazischwili – sogar von geplanten Mordanschlägen gegen sie. Patrkazischwili blieb deswegen in
London und kam so, obwohl er den Wählern jede Menge soziale Wohltaten versprochen hatte, auf
nur sechs Prozent.
Auch für den Unternehmer Lewan Gatschetschiladse, den eine Allianz aus neun Parteien
unterstützt, stimmten nach bisherigem Stand nur 28 Prozent. Auf dem Meeting der Opposition
erklärte er sich dennoch zum Sieger. Denn bei deren Wahlnachbefragungen kam er auf 33 Prozent
und liegt damit leicht in Führung. Auch vor Saakaschwili. Beide müssten sich nach diesem Szenario
in 14 Tagen einer Stichwahl stellen. Genau das, was Saakaschwili um jeden Preis vermeiden will.
Schwer angeschlagen durch den Massenprotest Anfang November, den er mit Spezialeinheiten
brutal auflösen ließ, und durch seinen erzwungenen Rücktritt danach, braucht er für eine zweite
Amtszeit ähnlich überzeugende Mehrheiten wie im Januar 2004, als er mit fast 95 Prozent gewählt
wurde. Wie viel er und sein Programm inzwischen an Strahlkraft verloren haben, zeigt auch das
Referendum zu Georgiens NATO-Beitritt, das parallel zu den Wahlen stattfand. Dazu bekannten sich
nach bisherigem Stand nur 61 Prozent. Gerechnet hatten Saakaschwili und dessen Getreue mit 80
bis 90 Prozent. Das Votum ist indirekt ein Auftrag an die Regierung, das nachhaltig gestörte
Verhältnis zu Russland zu verbessern und eine neutrale Außenpolitik wie Nachbar Aserbaidschan
zu verfolgen.
* Aus: Neues Deutschland, 7. Januar 2008
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