NATO-Waffen für Georgien
Von Knut Mellenthin *
Einem Bericht der russischen Tageszeitung Kommersant vom Donnerstag (11. Sept.) zufolge ist eine Gruppe von NATO-Experten in Georgien eingetroffen. Sie solle den militärischen Bedarf des Landes nach dem Überfall auf Südossetien und dem Krieg gegen Rußland einschätzen. Die Tätigkeit dieser Arbeitsgruppe werde geheimgehalten. Ihre Anwesenheit und ihre grundsätzliche Aufgabe seien aber von einem Sprecher des Verteidigungsministeriums in Tbilissi bestätigt worden, schreibt der Kommersant. Das Blatt zitiert den Ministeriumssprecher mit den Worten: »Dieser Besuch und diese Verhandlungen sind nicht für die Presse bestimmt.«
Die Zeitung bringt die Visite der Expertengruppe mit dem Besuch einer hochrangigen NATO-Ratsdelegation in Tbilissi in Zusammenhang, der am 15. und 16. September stattfinden soll. Die Delegation soll, wie der Spiegel bestätigt, von NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer geleitet werden. Während es sich aber laut Spiegel um einen »seit längerer Zeit geplanten« Routinebesuch handeln soll, schreibt Kommersant, daß es dabei auch um Weichenstellungen für die Wiederaufrüstung Georgiens gehen würde. Die jetzt gesammelten Erkenntnisse der Expertengruppe sollen als Entscheidungsgrundlage dienen.
Offiziell war bisher in Verlautbarungen des Pentagon nur davon die Rede, daß in dieser Woche ein US-amerikanisches »Einschätzungsteam« in das Schwarzmeerland kommen soll, »um uns zu helfen, Georgiens legitime Bedürfnisse und unsere Antwort zu prüfen«. »Es sollte kein Zweifel bestehen, daß Georgien Militärhilfe von den Vereinigten Staaten verdient«, sagte Eric Edelman, Staatssekretär für Politik -- der dritthöchste Rang im Verteidigungsministerium -- am Dienstag in einer Ausschußanhörung des Senats. »Georgien muß, wie jedes souveräne Land, die Fähigkeit haben, sich selbst zu verteidigen und eine erneute Aggression abzuschrecken.«
Bei der Wiederaufrüstung Georgiens geht es unter anderem darum, zerstörte militärische Infrastruktur, wie das Radarsystem und die Stützpunkte in Gori und Senaki, wiederherzustellen. Darüber hinaus sollen die georgischen Streitkräfte auf Grundlage der Erfahrungen des kurzen Krieges im August modernisiert und verstärkt werden. Unter anderem sollen sie Luftabwehrwaffen und Waffen zur Panzerbekämpfung erhalten.
Präsident Michail Saakaschwili läßt indessen keinen Zweifel, daß er möglichst bald einen Revanchekrieg vom Zaun brechen will. Diesmal, so prahlt er, mit voller Rückendeckung der NATO und der »internationalen Gemeinschaft«.
Als Reaktion hat Rußland im UN-Sicherheitsrat den Entwurf einer Resolution vorgelegt, mit der Waffenlieferungen an Georgien verboten werden sollen. In seiner Begründung sagte der russische Botschafter bei der UNO, Witali Tschurkin: »Die ungezügelte Militarisierung Georgiens in den letzten Jahren, mit Unterstützung der USA und einiger anderer Länder, hat ganz sicher zu dem von Saakaschwili begangenen Aggressionsakt gegen Südossetien beigetragen.« Der russische Entwurf untersagt neben Waffenlieferungen auch generell »jede Hilfe oder Beratungstätigkeit, die mit militärischen Aktivitäten verbunden ist«.
* Aus: junge Welt, 12. September 2008
Appell Medwedjews an die USA
"Rüstungserneuerung" angekündigt / 40 deutsche Georgien-Beobachter
Russland lässt im Kaukasus-Konflikt eine Doppelstrategie erkennen: sowohl höhere
Verteidigungsanstrengungen als auch Kooperationsangebote. Unterdessen erklärte Deutschland,
dass es rund 40 der 200 EU-Beobachter in Georgien stellen will.
Angesichts der militärischen Auseinandersetzungen mit Georgien hat
der russische Präsident Dmitri Medwedjew verstärkte Rüstungsanstrengungen angekündigt. »Wir
sollten uns auf Fragen der militärischen Rüstungserneuerung konzentrieren«, sagte Medwedjew am
Donnerstag nach Berichten russischer Nachrichtenagenturen im Kreml. Medwedjew hielt den USA
vor, in Georgien ein »verrottetes Regime« zu unterstützen. Zum 7. Jahrestag der Terroranschläge in
den USA rief Medwedjew die Regierung in Washington auf, mit Russland einen »koordinierten«
Kampf gegen den Terrorismus zu führen.
Der Präsident Südossetiens, Eduard Kokojty, hat seine Ankündigung zurückgenommen, wonach die
Provinz Teil der Russischen Föderation werden soll. Entsprechende Äußerungen von ihm seien
»offensichtlich missverstanden« worden, sagte er laut der Nachrichtenagentur Interfax am
Donnerstag. »Wir planen nicht, unsere Unabhängigkeit aufzugeben, die wir auf Kosten riesiger
Opfer erlangt haben, und Südossetien plant nicht, zu Russland zu gehören«. Zuvor hatte Interfax
Kokojty mit den Worten zitiert: »Natürlich werden wir ein Teil von Russland werden.« Dies habe
Kokojty bei einem Treffen mit Kreml-Vertretern in Sotschi (Südrussland) gesagt.
Deutschland wird nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel rund 40 der 200 EUBeobachter
in Georgien stellen. Merkel sagte am Mittwochabend in Passau, Deutschland könne sich
»dem nicht entziehen«, wie die Bundesregierung am Donnerstag mitteilte. Die Kanzlerin verwies auf
den üblichen Schlüssel von 20 Prozent für Deutschland. Die unbewaffneten EU-Beobachter sollen
ab Oktober den Abzug der russischen Truppen aus den Gebieten um Südossetien und Abchasien
überwachen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow schloss am Mittwoch den Einsatz von EUBeobachtern
in den abtrünnigen Gebieten Georgiens aus.
Der russische Botschafter bei der NATO, Dmitri Rogosin, hat die Botschafter der NATOMitgliedsländer
aufgefordert, eine für kommende Woche geplante Reise nach Georgien abzusagen.
»Ich habe sehr deutlich erklärt, dass dieser Besuch völlig unpassend ist, und gefordert, dass die
Allianz ihn überdenkt und ihn aus ganz ersichtlichen Gründen verschiebt«, sagte Rogosin am
Mittwochabend nach einem Treffen der NATO-Botschafter in Brüssel. Eine derart ranghohe
Besucherdelegation werde als »umfassende politische und militärische Unterstützung« für den
georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili interpretiert, sagte Rogosin vor Journalisten.
** Aus: Neues Deutschland, 12. September 2008
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