Washingtons Strategie für Tbilissi
Wenn ein pensionierter US-General aus der Schule plaudert
Von Hannes Hofbauer, Wien *
Mitten in der Vorweihnachtszeit lud die Wiener »Gesellschaft für
politisch-strategische Studien« zum Gespräch über den
georgisch-russischen Krieg des Sommers 2008. Der pensionierte US-General
Ronald S. Mangum, Militärberater des georgischen
Verteidigungsministeriums, erklärte eine Stunde lang Offizieren des
offiziell neutralen Österreich, dass Moskau den Krieg vom Zaun gebrochen
habe, und was Georgien beim nächsten Mal besser machen müsse, um als
Sieger vom Feld zu gehen.
Die österreichische Landesverteidigungsakademie bot den passenden Rahmen
für die kriegerischen Töne des abgerüsteten Brigadegenerals. Direkt
unter dem mächtigsten Wiener Flak-Turm, der 1942 von der Wehrmacht gegen
alliierte Luftangriffe gebaut worden war, traf sich die heimische
militärische Elite in der Stiftskaserne zum Gedankenaustausch.
Ex-General Ronald S. Mangum trat im Salzburger Trachtensakko auf, rote
Krawatte, schütteres Haar. Als aktiver US-amerikanischer Offizier war er
bis 2003 Leiter eines »Spezialoperationskommandos« in Südkorea.
Ausgebildeter Ranger für Spezialeinsätze, Fallschirmjäger und Agent für
zivile Angelegenheiten ..., so liest sich die Vita des Militärs, der als
Mann des Armeenachrichtendienstes an vielen Orten des Globus im Einsatz
gewesen ist. In der Rente berät er seit ein paar Jahren die georgische
Regierung. Gemeinsam mit neun weiteren US-Offizieren, so bekennt er
freimütig, entwickelt er mit dem Verteidigungsministerium eine nationale
Sicherheitsstrategie und war auch während des georgisch-russischen
Krieges im August 2008 vor Ort.
Mangums Analyse der historischen Hintergründe des Konflikts am Kaukasus
könnte jeder georgischen Armeebroschüre entnommen sein, wobei dem
Berichterstatter während des Vortrags immer unklarer wird, ob diese
Sicht der Dinge georgischen oder US-amerikanischen Ursprungs ist.
Russische Provokationen hätten ein Eingreifen »gegen die Separatisten«
erzwungen. Die Zuordnung »Separatist« für abchasische und südossetische
Kräfte kommt dem General ganz selbstverständlich über die Lippen. Auf
den präsentierten Militärkarten steht oftmals auch »Westgeorgien« an
jener Stelle, wo auf zivilen Landkarten »Abchasien« vermerkt ist. So
eindeutig die Schuldzuweisung für den Krieg ausfällt, so scheinbar
unabhängig davon erzählt General Mangum von einer speziellen US-Truppe,
die seit 2001 die georgische Armee im Anti-Terror-Kampf schult.
Nach Einschätzung des US-Generals war die georgische Armee dennoch
äußerst schlecht auf den Krieg vorbereitet. »Gute, engagierte und junge
Militärführer« wurden durch »schlechte Planung und mangelhafte
Vorbereitung« verheizt, was zu 170 Toten - oder fachsprachlich KIA
(Killed in Action) - führte. Dem standen angeblich über 1000 russische
KIA gegenüber, wobei Mangum die russische Armee als »undiszipliniert,
schlecht ausgerüstet und überaltert« charakterisierte.
Der Vortrag des Ex-Generals gipfelt in einer Analyse der strategischen
und taktischen georgischen Fehler. Neben der Feststellung eines
Kommunikationsdesasters zwischen Einheiten der Armee, des
Innenministeriums und einer speziellen privaten Truppe wird der
US-Offizier auch sehr präzise, was bei einem etwaigen nächsten
Waffengang auf jeden Fall besser gemacht werden müsste. So kann er nicht
verstehen, warum Tbilissi keinen Versuch gemacht hat, den Roki-Tunnel,
der Südossetien mit dem zu Russland gehörenden Norden verbindet, zu
bombardieren. Auch hätten es georgische Einheiten nicht mit einer
fehlgeschlagenen Attacke auf die Gufta-Brücke bewenden lassen dürfen,
die ebenfalls eine strategische Position innehat.
Die Einnahme der Hauptstadt Zchinwali war demgegenüber militärisch
nutzlos, so die Meinung des Experten. Weiter sollen mangelnde
nachrichtendienstliche Expertise und Schwächen der georgischen
Reservisten zur Niederlage geführt haben. Was an dieser besonders
schmerzt, sind für den US-Berater neben dem Kontrollverlust über
Abchasien und Südossetien vor allem die in weitere Ferne gerückte
NATO-Mitgliedschaft Georgiens. »Eine frühere Mitgliedschaft hätte es für
Russland unmöglich gemacht, Georgien anzugreifen«, schließt der
US-General seinen Vortrag.
* Aus: Neues Deutschland, 21. Dezember 2009
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