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Im Falle des Falls

Georgien: Was kommt nach einem möglichen Sturz Schewardnadses?

Im Folgenden dokumentieren wir einen Beitrag, der sich noch vor den sich überstürzenden Ereignissen vom 22./23. November mit der Zukunft Georgiens nach dem Studz Schewardnadses befasst. Die Analyse von Andrea Strunk haben wir der kritischen Wochenzeitung "Freitag" entnommen (www.freitag.de).


Von Andrea Strunk

In Tiflis wird gern folgender Witz erzählt, der selten Heiterkeit, sondern zumeist ein gequältes Lächeln hervorruft: George Busch senior möchte George Busch junior zum Kaffee einladen. Der lehnt mit dem Hinweis ab, er habe gerade den georgischen Präsidenten zu Besuch. Bush senior erkundigt sich nach dessen Namen. "Ach, Schewardnadse", sagt er dann. "Ich erinnere mich. Zu meiner Zeit regierte sein Vater in Georgien."

Zehntausende von Demonstranten, geführt von Oppositionsführer Michail Saakaschwili, haben vor das Parlament in Tiflis, immer wieder lautstark die unterschwellige Botschaft des Witzes zum Ausdruck gebracht: Genug ist genug! Schewardnadse soll endlich gehen. Die massiven Fälschungen bei den Wahlen vom 2. November, die selbst hartgesottene Wahlbeobachter um Fassung ringen ließen, haben die leidgeprüften Georgier aus ihrer Resignation gerissen. "Schon vor den Wahlen war klar, dass die Ergebnisse gefälscht sein werden. Aber eine so massive Verdrehung haben wir nicht erwartet. Das georgische Volk muss sich das nicht gefallen lassen", sagt der Künstler Murtaz Schwelidse, und steht mit dieser Meinung nicht allein.

Winter für Winter

Schon seit Jahren ist der georgische Präsident, der das Amt seit 1993 innehat, seinem Volk regelrecht verhasst. Nur wer sich in seinem Bannkreis bereichern konnte, wünschte ihn nicht zum Teufel. Schewardnadse, auf den die Georgier nach der Sowjetzeit und dem darauf folgenden Bürgerkrieg so viele Hoffnungen setzten, hat jede Hoffnung enttäuscht. Ihm wird nachgesagt, seine Macht läge ihm mehr am Herzen als das Wohl seines Volkes. Auch der Spitzname "Fuchs", den er wegen seiner listigen Schlauheit erhielt, hat schon lange keinen anerkennenden Klang mehr. Er gilt heute einem Politiker, der ausgekocht, gerissen und skrupellos ist.

Seit zehn Jahren begleitet wirtschaftlicher Niedergang diese Präsidentschaft - eine demokratische Ordnung hat sich nicht etablieren können. Die Staatskassen sind leer, die Arbeitslosigkeit ist hoch, der Lebensstandard fast afrikanisch. Winter für Winter steigt die Zahl der Bettler auf den Straßen von Tiflis - die meisten alte Menschen oder Kinder - die Strom- und Gasversorgung der Hauptstadt funktioniert nicht. George Bush, heißt es in einem anderen Witz, habe Schewardnadse während des Irak-Krieges angerufen und gesagt: "Eduard, was muss ich tun, damit in Bagdad die Lichter ausgehen?"

Da weit mehr als die Hälfte der Wirtschaft "im Schatten" stattfindet, zahlt kaum jemand Steuern, ist das Land mehr denn je auf Kredite angewiesen. Aber die vielen Fördergelder von der EU, dem IWF und der Weltbank für den Ausbau von Straßen und Transportverbindungen verschwinden größtenteils in den privaten Taschen der Privilegierten.

Bislang hielt der Geschmähte die Macht mit eisernem Griff und wankte auch dann nicht, wenn andere über ihn herfielen. Schewardnadse hat zwei Attentate und etliche Versuche, ihn auf politischem Wege zu stürzen, überlebt. Er hat Minister gefeuert und wieder eingesetzt, sich an Intrigen und Korruption beteiligt, Kriegsdrohungen aus Russland und Partisanen-Radau in den abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien abgewehrt. Auch diverse Protestaktionen seiner von der sozialen Misere entnervten Bürger haben ihn kaum erschüttern können - politisch nicht und persönlich erst recht nicht.

Nun aber neigt sich die Ära des "weißen Fuchses" ihrem Ende entgegen. In Tiflis hofft man - so jedenfalls die Stimmung noch am Wochenende - es werde ein unblutiges sein. Die Angst vor bürgerkriegsähnlichen Zustände wie 1991 saß tief, so dass die Demonstranten mit einer Menschenkette einen "Friedens-Ring" um das Parlament legten.

Schewardnadse ließ wissen, er werde das Schicksal des serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic´ nicht teilen. Bereits vor den Wahlen hatte er die Opposition davor gewarnt "zivile Unruhen" zu provozieren. Unmittelbar nach dem 2. November waren Polizeieinheiten aus Pankisi - einem kleinen Tal im Nordosten, das von Russland zum Rückzugsgebiet tschetschenischer Terroristen erklärt wurde - in die Hauptstadt beordert worden. Die Anzeichen mehrten sich, Georgien könne in einen Bürgerkrieg treiben.

Wie die Verzweiflung eines Ertrinkenden mutet da Schewardnadses Verbrüderung mit seinem bisherigen Kritiker Aslan Abaschidse an, dem diktatorischen Herrscher über die Schwarzmeer-Provinz Adscharien. Dessen Erneuerungspartei hat dort traumhafte 90 Prozent erzielt und liegt nach der bisherigen offiziellen Stimmenauszählung angeblich auf dem zweiten Platz landesweit. Abaschidse soll nun Schewardnadse die Mehrheit im Parlament sichern.

In Swanetien eingebürgert

Auch der Mangel an kompetenten Nachfolgern war bislang der Grund, einem Autokraten wie Schewardnadse diese Umklammerung der Macht zu gestatten. Für das Ausland galt er als Garant von Stabilität, auch wenn das - bezogen auf Georgien - vorzugsweise als Abwesenheit von Anarchie definiert werden musste. Die USA waren am zügigen Bau der Ölpipeline vom Kaspischen Meer durch Georgien ins türkische Ceyhan interessiert, dazu brauchten sie Ruhe im Transkaukasus.

Im unübersichtlichen Netz der regionalen Machtspielchen ist inzwischen selbst den Georgiern der Überblick abhanden gekommen, ob ihr Präsident nun ein Freund oder Feind Moskaus sei. Einerseits hat er nie Zweifel daran gelassen, dass sich Georgien nach Westen orientiert, 2002 kamen US-Militärberater ins Land, es wurde laut von einer EU-Mitgliedschaft geträumt. Mit Russland dagegen gab es immer wieder Hader über geduldete tschetschenische Kämpfer im Pankisi-Tal. Andererseits sind weiterhin etwa 1.000 russische Soldaten in Georgien stationiert. Nicht wenige Georgier hegen den Verdacht, das sei im Interesse ihres Präsidenten. "Käme es zu Ausschreitungen, würde Schewardnadse die russischen Soldaten zu Hilfe holen", glaubt die in Hamburg lebende Studentin Pikria Zirikaschwili.

Aber nicht nur die Sympathien des Auslands haben Schewardnadse stark gemacht. Im eigenen Land gibt es niemanden, der ihm die Stirn bieten könnte. Die Führer der Oppositionsparteien, auch Michail Saakaschwili, stecken gleichfalls im Sumpf der Korruption und sind heillos zerstritten. Und das georgische Volk hat schon lange kein Vertrauen mehr in den Staat und ist vielfach Larmoyanz und Resignation verfallen. Zuletzt ließ es sich im Herbst 2001 mobilisieren, als Soldaten die Räume des regierungskritischen Senders Rustavi2 durchsuchten. On Air riefen die Redakteure die Bewohner von Tiflis zu Hilfe. Die kamen zu Tausenden. Schewardnadse entließ sein Kabinett und rettete den eigenen Kopf.

Der Mangel an Vertrauen wird sich nicht mit dem Abgang eines Staatschefs überwinden lassen. Georgien braucht eine gründliche Reform der Gesetze. Bislang gibt es kein durchschaubares Recht, sondern nur eine unübersichtliche Flut sich widersprechender Anordnungen - die Gerichte sind manipulierbar, Anwälte und Politiker käuflich. Ob nun Eduard Schewardnadse auch dieses Mal die Opposition mit Konzessionen beruhigen kann oder wirklich abtreten muss, soviel steht fest: Michail Saakaschwili ist als möglicher Nachfolger nicht a priori ein glühender Kämpfer für Gerechtigkeit.

Über das Bergvolk der Swanen, die als die Ostfriesen Georgiens gelten, erzählt man sich, sie glaubten, Landminen wären ungefährlich, solange man tumb durch die Gegend stapfe, aber sich dabei die Ohren zuhielte. Derzeit fügt man gern augenzwinkernd hinzu, Schewardnadse habe sich in Swanetien einbürgern lassen.

Aus: Freitag 48, 21. November 2003


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