Krieg gegen den Terrorismus im Südkaukasus?
Die USA entsenden Militärberater nach Georgien
Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus einer Studie, die im regierungsnahen Institut SWP (Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit) angefertigt wurde. (Homepage: www.swp-berlin.org).
Von Jürgen Schmidt
Das jüngste Kapitel des von den USA angeführten ‚Kriegs gegen den Terrorismus‘ wurde
unlängst in der
südkaukasischen Republik Georgien aufgeschlagen durch die Entsendung der ersten von bis
zu 200 Militärberatern zur
Ausbildung und Ausrüstung der georgischen Armee und Grenztruppen.
Hintergrund
Als Begründung für die neue US-Initiative wird die Situation in der georgischen
Pankisi-Schlucht angeführt. Die Schlucht
befindet sich am tschetschenischen Abschnitt der russisch-georgischen Grenze und ist
überwiegend von ethnischen
Verwandten der Tschetschenen mit georgischer Staatsbürgerschaft, den Kisten, bewohnt.
Insbesondere seit dem Beginn
des zweiten russischen Tschetschenienkriegs 1999 steht das Tal außerhalb der Kontrolle
georgischer Staatsmacht. Es
wurde in dieser Zeit nicht nur Zufluchtsort von mehreren Tausend Flüchtlingen aus
Tschetschenien, sondern auch von
Kriminellen aus der ganzen Region. Von Pankisi aus betreiben sie - angeblich protegiert
von kriminellen Elementen in der
georgischen Regierung und dem Innenministerium - einträgliche Geschäfte wie Waffen- und
Drogenhandel sowie
Entführungen. Unter den Flüchtlingen aus Tschetschenien befinden sich auch bewaffnete
Vertreter des radikal-
islamistischen Lagers des tschetschenischen Widerstands. Neben der Teilhabe an den
kriminellen Aktivitäten nutzen
diese die Schlucht insbesondere als Rückzugs- und Durchgangsgebiet für ihren Kampf in
Tschetschenien. Dabei
werden sie insbesondere von saudischen Nichtregierungsorganisationen und türkischen
Extremisten logistisch und
finanziell unterstützt.
Konsequenzen aus dem 11. September
Die weltpolitischen Ereignisse als Reaktion auf die Geschehnisse des 11. September haben
eskalierend auf die Situation
in Pankisi gewirkt. Die westliche Staatengemeinschaft zeigte mehr Verständnis für
Rußlands Tschetschenienkrieg und
erkannte einen Teil des tschetschenischen Widerstands als Komponente des internationalen
Terrorismus an. Zudem
eröffnete der Krieg gegen den Terrorismus russischen Hardlinern eine erneute Option zu
militärischem Eingreifen in
Pankisi. Nur wenige Tage nach den US-Angriffen auf Afghanistan riefen russische Politiker
und Militärs bereits nach
russischen Aktionen in der Pankisi-Schlucht, wie sie den USA in Afghanistan zugestanden
wurden. ...
Aufgrund der Erfahrungen mit russischen Militärinterventionen in den Kriegen gegen die
separatistischen Gebiete
Abchasien und Südossetien war für die georgische Führung selbst eine gemeinsame
russisch-georgische Aktion in
Pankisi keine Option. Die unverhältnismäßige russische Gewaltanwendung auch gegen die
Zivilbevölkerung in
Tschetschenien rechtfertigen die georgische Ablehnung.
Somit befanden sich die USA hinsichtlich der Lage in Pankisi bereits im September 2001 in
einem Dilemma. Einerseits
mußte Präsident Bush seinem russischen Kollegen Putin klar machen, daß die territoriale
Unverletzbarkeit des
strategischen Verbündeten Georgien für die Vereinigten Staaten von höchster Wichtigkeit
ist. Andererseits mußte
Washington von der Regierung Schewardnadse glaubwürdig eine Nulltoleranzpolitik
hinsichtlich Kriminalität und
Korruption auch in Pankisi einfordern.
Kämpfe in Abchasien
Die Art, wie die georgischen Offiziellen das Problem der Anwesenheit tschetschenischer
Kämpfer in Pankisi schließlich
lösen wollte, führte das Land im Herbst 2001 ein weiteres mal an den Rand des Abgrunds.
Mehrere Hundert
Tschetschenen unter dem Kommando des Feldkommandeurs Ruslan Gelajew wurden von den
georgischen Innen- und
Staatssicherheitsministerien aus Pankisi quer durchs Land in die Kodori-Schlucht nach
Abchasien transportiert. Der obere
Teil Kodoris ist das letzte abchasische Gebiet unter nomineller georgischer Kontrolle,
während der untere Teil bereits vom
abchasischen Separatistenregime kontrolliert wird. Die Kodori-Schlucht ist von
herausragender militärstrategischer
Bedeutung, da ein erfolgreicher georgischer Vorstoß hier die gesamten abchasischen
Verteidigungspositionen entlang
der georgisch-abchasischen Waffenstillstandslinie von den Hauptnachschub- und
Kommunikationslinien abschneiden
und die abtrünnige Republik faktisch zweiteilen würde. An genau dieser Stelle starteten
die mehreren Hundert
Tschetschenen vereint mit offiziellen und irregulären georgischen Verbänden im Herbst
eine Offensive, welche von den
abchasischen Verbänden nur durch russische Ausrüstungs- und Luftunterstützung
zurückgeschlagen werden konnte.
Anhaltende politische Krise in Georgien
Die Ereignisse in Abchasien und Pankisi führten zum Rücktritt der Minister für
Staatssicherheit und Inneres. Der
Privatsender Rustawi 2 machte die beiden nicht nur für das Abchasiendebakel
verantwortlich, sondern bezichtigte den
Innenminister Targamadse auch der direkten Beteiligung an Drogengeschäften in Pankisi.
Versuche der beiden Minister,
den Fernsehsender einzuschüchtern, brachten schließlich Tausende von Demonstranten auf
die Straße. Die
mehrtägigen Proteste führten schließlich zum Rücktritt der gesamten Regierung und der
Auswechslung der
Staatssicherheits- und Innenminister. Eine Konsequenz aus der Regierungsumbildung war
eine zunehmend realistischere
Einschätzung der Situation in Pankisi, was den russischen Druck erhöhte. Nach einer
ernsthaften Verschlechterung der
georgisch- russischen Beziehungen aufgrund eines erneuten russischen Luftangriffs auf
georgisches Territorium im
November bat Präsident Schewardnadse schließlich die USA um Hilfe im Kampf gegen
Kriminelle und Terroristen in
Pankisi.
Der Auftakt zur US-Präsenz
Am 11. Februar teilte Philip Remler, der Charge d’Affaires der US-Botschaft in der
georgischen Hauptstadt einer
georgischen Wochenzeitung mit, daß sich einige Dutzend Kämpfer der al-Qaida aus
Afghanistan in die Pankisi-Schlucht
geflüchtet haben. Er bezeichnete diesen Ort als „extrem gefährlich für Georgien“ und bot
gleichzeitig die Mithilfe der USA
beim Aufbau einer speziellen Antiterror-Struktur im georgischen Verteidigungsministerium
im Rahmen der laufenden
bilateralen Militärkooperation an.
Remlers überraschende Eröffnungen über die Anwesenheit von al-Qaida-Kadern auf dem
Staatsgebiet Georgiens wich
von bisherigen amerikanischen Darstellungen ab und untermauerte erstmals die russische
Kritik an der Passivität der
georgischen Behörden hinsichtlich der Lage in Pankisi. In Moskau wurden diese Hinweise
von Teilen der Regierung als
grünes Licht für ein militärisches Eingreifen durch Rußland interpretiert. Am 15. Februar
sprach der russische
Außenminister Igor Iwanow von der Möglichkeit, daß sich Osama bin Laden selbst in Pankisi
aufhalten könnte. Kurz
darauf legte der russische Verteidigungsminister Sergej Iwanow nach und bezeichnete
Pankisi als ‚Mini-Afghanistan‘. Er
betonte, daß die Sicherheit Rußlands auf dem Spiel stehe, und Moskau deswegen nicht
einfach nur weiter zusehen
könne.
Das US-Programm „train and equip“ für Georgien
Erst nach ihrer Abreise wurde die Visite von etwa 40 Mitgliedern von US-Spezialeinheiten
in Tiflis am 26. Februar durch
einen Sprecher des US European Command bestätigt. Es habe sich hierbei um eine
Erkundungsmission zur Ermittlung
georgischer Sicherheitsbedürfnisse durch Einheiten der Spezialkräfte gehandelt, welche
eine Schlüsselrolle in der
Afghanistan-Kampagne gespielt hatten. Analysten in den USA und Rußland wiesen zudem auf
die Beteiligung eines
Logistikteams der US-Luftwaffe hin, das normalerweise auf dem Stützpunkt Incirlik in der
Türkei stationiert sei.
Am 27. Februar traf eine hochrangige US-Militärdelegation in Tiflis ein, welche im Rahmen
ihrer Mission alle drei Staaten
des Südkaukasus bereisten. Gemeinsam mit ihren georgischen Gesprächspartnern aus dem
Verteidigungsministerium
wurden Pläne für ein neues Ausbildungs- und Ausrüstungskonzept für die georgische Armee
diskutiert. ... Das State Department gab
bekannt, daß im Rahmen einer
bereits mehr als fünfjährigen intensiven Sicherheitspartnerschaft nun ein Ausbildungs-
und Ausrüstungsprogramm für
Einheiten des georgischen Verteidungsministeriums und der Grenztruppen begonnen werde.
Ziel des Programms ist die
Entwicklung von Fähigkeiten zur besseren Kontrolle der Grenzen und der Durchführung
begrenzter Antiterror-
Operationen. ...
Anfang März wurden weitere Details des US-Programms bekannt. Demnach werde die georgische
Armee über die
nächsten sechs Monate mit leichter Bewaffnung, Fahrzeugen und Kommunikationsmitteln im
Wert von etwa 64 Millionen
Dollar ausgestattet. Die Unterstützung für die georgischen Streitkräfte in Trainings- und
Logistikfragen werde „in großem
Umfang“ erfolgen. Gedacht ist an die Ausbildung von vier georgischen Armee-Einheiten
sowie etwa 500 Mann der
Grenztruppen, insgesamt etwa 2000 Soldaten und Offiziere. Zudem wird mit amerikanischer
Unterstützung ein
Krisenmanagement-Zentrum im georgischen Verteidigungsministerium eingerichtet, welches
für die Planung von
Antiterrormaßnahmen verantwortlich sein wird. ...
Die georgische Armee
Die georgischen Streitkräfte sind derzeit für keine Schlacht gerüstet. Sie leiden an
chronischer Unterfinanzierung und
sind zudem vom gesamtgeorgischen Problem der wuchernden Korruption nicht ausgenommen.
Letzten Mai meuterten
Einheiten der Nationalgarde in der Nähe der Hauptstadt aufgrund unhaltbarer Zustände wie
Todesfälle aufgrund von
Armutskrankheiten, einem sechzehnmonatigen Soldrückstand oder Unterernährung. Die
georgische Armee ist zwar eine
allgemeine Wehrpflichtarmee, doch aufgrund der Zustände kaufen sich die meisten jungen
Leute vom Dienst frei.
Beinahe ausschließlich die ärmsten, Minderheiten und Analphabeten finden sich somit zum
Dienst ein. Der
Verteidigungshaushalt fiel stetig über die letzten Jahre und wurde aufgrund der desolaten
Finanzlage nie vollständig
ausgezahlt. Das Budget für das Jahr 2002 beläuft sich theoretisch auf knapp 20 Mio.
Dollar, zu denen die US-Militärhilfe
von insgesamt über 64 Mio. Dollar in Beziehung zu setzen ist.
Reaktionen in Rußland
In Rußland entluden sich die Reaktionen auf die Ankündigungen des 27. Februar in den
Medien in einem Sturm der
Empörung, dem sich auch hochrangige Amtsträger nicht entzogen. In seiner ersten Reaktion
bezeichnete der russische
Außenminister Igor Iwanow die Möglichkeit einer US-Truppenpräsenz in Georgien als
Verschlechterung der Situation in
der Region, welche bereits kompliziert genug sei. Gleichzeitig kündigte er an, daß
Rußland auf einer Einbeziehung in
sämtliche Militäroperationen in Pankisi bestehe. ...
Präsident Putin gab am 1. März dann seine Linie vor, wonach die Präsenz von US-
Militärangehörigen in Georgien „keine
Tragödie“ sei. Rußland werde überdies jede Antiterror- Maßnahme in Georgien unabhängig
davon unterstützen, wer
daran teilnehmen wird. ...
Am 6. März verabschiedete die russische Staatsduma die Erklärung „Über die Situation in
Georgien im Zusammenhang
mit der militärischen Präsenz der USA auf georgischem Territorium“. Den russischen
Gesetzgebern zufolge entsteht
aufgrund der Zusammenarbeit zwischen Georgien und den USA bei der Terrorismusbekämpfung
eine Gefahr nicht nur für
Rußland, sondern auch für die selbsternannten Republiken „Abchasien“ und „Südossetien“.
Für den Fall, daß sich die
Beziehungen zwischen Georgien und den separatistischen Regimen verschlechtern sollte,
droht die Duma mit „anderen
Wegen“, welche sie in bezug auf das Begehren Abchasiens auf assoziierte Mitgliedschaft in
der Rußländischen
Föderation zu gehen bereit ist.
Bewertung
1. Die Mission „Ausbildung und Ausrüstung“ hat wenig mit dem Kampf gegen den Terrorismus
zu tun und wurde
wissentlich oder unwissentlich von der Bush-Administration falsch begründet. Vielmehr
ist sie Teil der langjährigen
Militärkooperation beider Länder, welche ursprünglich auf die Sicherheit der Pipelines
und des Transportkorridors
ausgelegt war. Nach den Ereignissen des 11. September sind Teile der Zusammenarbeit Ende
letzten Jahres so
modifiziert worden, daß der Antiterror-Ausbildung größere Aufmerksamkeit gewidmet werden
konnte. Unlängst erklärten
hochrangige Offizielle der Bush-Administration, daß man zwar über die Präsenz
islamistischer Kämpfer in Georgien besorgt
sei, das Hauptziel des neuen Hilfsprogramms jedoch die Befähigung der georgischen Seite
zur Wiedererlangung der
Kontrolle über ihr Territorium ist.
2. Die Frage des Timings scheint wenig mit neuen Erkenntnissen über arabische Personen in
Pankisi
zusammenzuhängen, deren Anwesenheit seit letztem September allen Beteiligten bekannt
gewesen ist und deren
Verbindungen zur al-Qaida nicht eindeutig nachgewiesen ist. Vielmehr dürften insbesondere
die russischen Reaktionen
auf die Erklärungen des amerikanischen Charges d’Affaires in Tiflis der ausschlaggebende
Grund gewesen sein. Die
jetzige Ankündigung einer US-Militärpräsenz in Georgien scheint somit der drohenden
Gefahr russischer Truppen in
Pankisi zuvorgekommen zu sein.
3. Die Mission ist durch übergreifende US-Interessen in der Region motiviert und stellt
eine Revision der bisherigen US-
Politik in der gesamten südkaukasischen Region dar. Das übergeordnete Bestreben, die
Stabilität und Souveränität der
südkaukasischen Staaten zur Förderung der regionalen Sicherheit zu stärken, wird durch
die Einführung von
Komponenten des Kriegs gegen den Terror qualitativ neu gefördert. Die Erfordernisse
regionaler Stabilität als notwendige
Voraussetzung für die Entwicklung und den Abtransport der Öl- und Gasreserven der
kaspischen Region und
Zentralasiens gehen dabei Hand in Hand mit der Eindämmung von Bedrohungen, welche die
fragilen Staaten der Region
und die vielen rechtsfreien Räume als Rückzugsgebiete für Terroristengruppierungen
darstellen.
Das Sicherheitsengagement der USA im Südkaukasus dient somit neben den Zielen regionaler
Stabilität auch der
Sicherung einer Nachschubroute für die Militärbasen in Zentralasien und Afghanistan sowie
dem Schutz amerikanischer
Investitionen in den Öl- und Gassektor der Region.
4. Es wird in Pankisi auf absehbare Zeit weder einen Militäreinsatz geben, noch wird das
Problem mit militärischen Mitteln
gelöst werden können. Für die georgische Seite kommen zur Wiederherstellung der Ordnung
in Pankisi nur
Polizeioperationen in Frage. Die Anwesenheit mehrerer Tausend Flüchtlinge aus
Tschetschenien sowie der mehrheitlich
dort lebenden georgischen Staatsbürger tschetschenischer Abstammung ist der offizielle
Grund für die Ablehnung
militärischer Maßnahmen. Partikularinteressen des angeblich in kriminelle Machenschaften
in Pankisi involvierten
Innenministeriums, das derzeit ausschließlich für Einsätze in der Schlucht zuständig ist,
sind die inoffiziellen Gründe.
Laut dem Staatssicherheitsministerium hat die zunehmende internationale Aufmerksamkeit
für die Probleme in der Pankisi-
Schlucht der georgischen Staatsmacht bereits geholfen, indem sie einige Kämpfer und
Kriminelle angeblich veranlaßt hat
das Tal zu verlassen. Wenige Tage später erklärte Präsident Schewardnadse in Brüssel, daß
Georgien die Situation in
Pankisi „absolut unter Kontrolle“ habe. Bleibt die Frage, wohin die angeblich
abwandernden Personen sich bewegen ...
Sollte Georgien dennoch zu militärischem Vorgehen in Pankisi genötigt werden, dann dürfen
hierzu laut Tiflis nur
georgische Bodentruppen verwendet werden. Allerdings brauchen diese dann mit ziemlicher
Sicherheit auswärtige
Luftunterstützung bei Transport und Aufklärung, worauf derzeit noch keiner der
Beteiligten seine Öffentlichkeit vorbereitet
hat. ...
5. Der Umfang der US-Präsenz und des Programms ist nicht abschließend geklärt. Bislang
wurde noch keine
Entscheidung über den Aufbau einer US-Militärbasis in Georgien getroffen. Diese hängt
laut Schewardnadse von den
weiteren Beziehungen zu Rußland und der gesamten Lage in der Region ab. Insbesondere mit
Blick auf einen möglichen
amerikanischen Militärschlag gegen den Irak bietet Georgien mit den von der Türkei
modernisierten Luftwaffenbasen in
Wasiani nahe Tiflis sowie Marneuli ein ideales Aufmarsch- oder Ausweichgebiet.
Doch unabhängig von amerikanischen Plänen zum Irak ist die Beteiligung europäischer NATO-
Partner am US-
Ausbildungs- und Trainingsprogramm für Georgien wahrscheinlich. NATO-Generalsekretär
Lord Robertson hat wiederholt
die europäischen Partner in der NATO zur Unterstützung dieser US-Anstrengung in Georgien
aufgefordert. Er schlug
überdies vor, daß europäische Mitgliedstaaten sich an einem Antiterror-Einsatz in Pankisi
beteiligen könnten.
6. Das neue US-Engagement birgt für eine Reihe von Beteiligten erhebliche Risiken
Rußland: Für Putin steht die territoriale Integrität Georgiens und somit die Hauptlinie
seiner Politik gegenüber Abchasien
und Südossetien außer Frage. Für die Mehrheit der Dumamitglieder und das
militärisch-nachrichtendienstliche Lager gilt
dies nicht, so daß weiterer Druck auf Georgien nicht auszuschließen ist. Der eigentliche
Test für Putin ist die Frage, ob er
die Hardliner in den eigenen Reihen von militärischen und nichtmilitärischen
Destabilisierungsversuchen abzuhalten
vermag. Die Chemie zwischen Putin und seinem Militär ist auch durch die Frage der
US-Militärpräsenz in Zentralasien und
nun dem Südkaukasus nachhaltig gestört. Der Druck des Militärs und der
nationalpatriotisch-kommunistischen Kreise auf
Putin wird zunehmen, und die Bombardements der Pankisi-Schlucht letzten Herbst haben
gezeigt, daß das russische
Militär zu Eigeninitiative neigt, welche auch für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden
kann. ...
Georgien: Die Entsendung der US-Militärberater hat die georgische Führung bereits zu
einer aggressiveren Gangart
gegenüber den separatistischen Landesteilen Abchasien und Südossetien verleitet. Georgien
könnte versucht sein, die
US-Mission zur Lösung einer Vielzahl anderer Probleme auszunutzen. Mehrere hochrangige
georgische Offizielle waren
sehr schnell mit Anschuldigungen an die Adresse Suchumis, wonach Abchasien zu einem
Zufluchtsort für Terroristen mit
Kontakten zur al-Qaida geworden sei. Selbst ein Kontakt zwischen dem offiziellen
Abchasien und der al-Qaida wurde
vom georgischen Innenministerium konstruiert. Die Zielsetzung dieser bislang von den USA
nicht bestätigten
Informationen scheint in der Vorbereitung der öffentlichen Meinung auf eine Militäraktion
unter dem Banner des Kriegs
gegen den Terrorismus zu liegen. ...
Die USA haben verstanden, daß schwache Staaten einen idealen Nährboden und ein perfektes
Rückzugsgebiet für
Terroristen bieten. Somit ist die internationale Staatengemeinschaft gut beraten, ihr
Augenmerk im georgischen Fall nicht
ausschließlich auf Scheingefechte in der Pankisi-Schlucht sondern hauptsächlich auf den
Zustand des Landes und
seiner dahinsiechenden Institutionen zu lenken. Das Hauptproblem, dem die USA in Georgien
gegenüberstehen, ist nicht
eine mögliche Konfrontation mit Rußland oder einigen arabischen Kämpfern in Pankisi,
sondern die Ausmaße des
staatlichen Zerfalls Georgiens. Unabhängig davon wie erfolgreich gemeinsame Operationen
bei der Sicherung der
Pankisi-Schlucht sein mögen, und unabhängig davon wie effektiv die Truppenausbildung zu
einer Reform der
georgischen Streitkräfte beiträgt: die übergeordneten Ziele von Stabilität und
Souveränität sind in der Hauptsache durch
die fundamentale Schwäche des georgischen Staates bedroht. Das militärische Hilfsangebot
wird nichts zur
Verbesserung der Beziehungen zwischen Tiflis und den Separatistenregimen in Abchasien und
Südossetien beitragen.
Im Extremfall wird sie sogar zu größeren Spannungen zwischen der Zentralregierung und
Adscharien, dem überwiegend
armenisch besiedelten Dschawachetien und Pankisi führen. ...
Es bedarf zudem eines realistischen Augenmaßes bei der Frage der georgischen Agenda für
Abchasien, wenn es um
Vorwürfe der Verbindung des Separatistenregimes mit der al-Qaida geht. Es besteht die
Gefahr, daß am Ende der
Schwanz mit dem Hund wedelt und Georgien die USA zu einem Handeln veranlaßt, das auf
fragwürdigen Erkenntnissen
basiert, zumal dann, wenn die USA hinsichtlich ihrer Informationen zu den Vorgängen in
Pankisi und Abchasien
tatsächlich überwiegend auf georgische Quellen angewiesen sein sollten. Die derzeitige
Stabilität in Georgien ist
trügerisch, und die Ankunft von US-Militärberatern könnte ein weiteres gefährliches
Element zur Verschärfung der
hochexplosiven politischen Lage im Kaukasus hinzufügen.
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