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Konfrontation verschärft

Nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Moskau: Georgien hat auch die Waffenstillstandsabkommen mit Abchasien und Südossetien einseitig gekündigt

Von Knut Mellenthin *

Die georgische Führung hat am Freitag (29. August) den Konflikt mit Rußland mit einer Reihe feindseliger Schritte verschärft. Selbst bei Unterstützern der Regierung von Michail Saakaschwili in der EU löste dies Kritik aus. Denn der Abbruch der diplomatischen Beziehungen ist noch die im Vergleich harmloseste der in Tbilissi getroffenen Entscheidungen.

Wie bereits gemeldet wurde, schließt Georgien seine Botschaft in Moskau. Die Regierung folgte damit einer einstimmig beschlossenen Empfehlung des Parlaments vom Donnerstag (28. Aug.) Es besteht fast ausschließlich aus Abgeordneten der seit 2004 alleinregierenden »Nationalpartei«. Die meisten Oppositionsparteien boykottieren das Parlament aus Protest gegen die ihrer Ansicht nach gefälschte Wahl im Mai dieses Jahres. Noch am Mittwoch hatte die Regierung bekanntgegeben, daß sie das Botschaftspersonal bis auf einen Diplomaten und einen Mitarbeiter reduzieren werde, nicht aber über einen Abbruch der Beziehungen nachdenke. Wegen der vielen Georgier, die in Rußland leben -- mehrere hunderttausend, nach manchen Schätzungen über eine Million -- sei eine minimale diplomatische Präsenz in Moskau unerläßlich, hatte die georgische Regierung zu diesem Zeitpunkt noch erklärt. Einen Tag später war Tbilissi schon anderen Sinns.

Denn ebenfalls am Donnerstag (28. Aug.) verabschiedete das Parlament eine nicht verbindliche Aufforderung an die Regierung, die Waffenstillstandsabkommen zu Südossetien (1992) und Abchasien (1994) einseitig zu annullieren. Das Parlament erklärte darüber hinaus die beiden Republiken zu »besetzten Gebieten«, mit der Konsequenz, daß die dort stationierten russischen Friedenstruppen nun offiziell als »Besatzer« gelten. Der unter den Parlamentariern vorherrschenden aggressiven Stimmung verlieh der Abgeordnete Giorgi Gabaschwili von der »Nationalpartei« Ausdruck: »Jetzt ist unser Ziel, zusammen mit der internationalen Gemeinschaft diese Besatzer vom georgischen Territorium zu jagen.« Die Parlamentsresolution außerdem die Sicherheitskräfte der beiden Republiken zu »verbrecherischen bewaffneten Einheiten«.

Am Freitag (29. Aug.) unterzeichnete der georgische Ministerpräsident Lado Gurgenidse ein auf Mittwoch rückdatiertes Dekret, das den einseitigen Ausstieg des Landes aus den Waffenstillstandsabkommen formal besiegelt. Angeblich hatte es zwischen Parlament und Regierung einen Informationsmangel gegeben: Die Abgeordneten hätten nicht gewußt, daß das von ihnen verlangte Dekret ohnehin schon beschlossen war. Diese unglaubwürdige Konstruktion dürfte dazu dienen, einige besonders konfrontative und provokante Passagen der ursprünglichen Parlamentsresolution nicht weiter zu verbreiten.

Am Sonnabend (30. Aug.) gab die georgische Regierung die Verschärfung der Einreiseregelungen für Grenzgänger aus Rußland bekannt. Bisher konnten sie verhältnismäßig problemlos ein Besuchervisum an den Grenzübergängen erhalten. Jetzt müssen sie ein Visum bei einer georgischen Botschaft beantragen, was angesichts der Schließung der Vertretung in Moskau schwierig sein dürfte.

* Aus: junge Welt, 1. September 2008


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