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Aufarbeitung der Geschichte

Georgien: Nach Abwahl Saakaschwilis sollen politische Gefangene rehabilitiert werden

Von Knut Mellenthin *

In Georgien ist mit dem Wahlsieg des Oppositionsbündnisses »Georgischer Traum« am 1. Oktober eine neunjährige Alleinherrschaft der vom Westen unterstützten »Vereinigten Nationalbewegung« zu Ende gegangen, in der Verletzungen der Gesetzlichkeit an der Tagesordnung waren. Nun überprüft Georgien die Gerichtsurteile, die unter dem alten Regime gegen politische Gegner gefällt wurden. Am Montag billigte der Menschenrechtsausschuß des Parlaments einen Resolutionsentwurf, mit dem 181 Personen als »politische Gefangene« anerkannt werden sollen. Und es ist geplant, 22 anderen, die sich aufgrund von Verurteilungen oder Strafverfahren im Ausland aufhalten, den Status eines politischen Exilanten zuzuerkennen. Dadurch soll es möglich werden, alle Urteile zu überprüfen und die Gefangenen gegebenenfalls freizulassen. Die »im politischen Exil« Lebenden könnten nach Georgien zurückkehren, um sich den Gerichten zu stellen und eventuell rehabilitiert zu werden.

Unter den auf der Liste Stehenden sind mehrere Dutzend Menschen, die im Mai 2011 während regierungsfeindlicher Demonstrationen verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt worden waren. Einer weiteren großen Gruppe »politischer Gefangener« gehören nach der Definition des Menschenrechtsausschusses Militärs und Zivilisten an, die im Zusammenhang mit der »Mukhrowani-Meuterei« vom Mai 2009 verurteilt worden waren. Ein in diesem Ort stationiertes Panzerbataillon – rund 500 Soldaten – hatte sich damals geschlossen geweigert, zu einem Einsatz gegen oppositionelle Demonstranten auszurücken. Die im Januar 2010 gesprochenen Urteile waren extrem hart: 29 Jahre Gefängnis für einen Offizier im Ruhestand, 28 Jahre für einen anderen, 19 Jahre für den Bataillonskommandeur, 10 bis 15 Jahre für sieben Zivilisten, die sich im Stützpunkt Mukhrowani aufgehalten hatten, zahlreiche Verurteilungen zu drei Jahren Haft gegen Soldaten der Einheit.

Die Aufstellung des Menschenrechtsausschusses enthält auch mehrere Personen, die unter zweifelhaften Umständen wegen angeblicher Agententätigkeit für Rußland – zur Zeit des alten Regimes ein beliebter Standardvorwurf gegen Oppositionelle – verurteilt worden waren. Zu ihnen gehört Vakhtang Maisaia, der von 2004 bis 2008 Mitarbeiter der georgischen Vertretung bei der NATO gewesen und danach hauptsächlich als Militäranalytiker publizistisch tätig gewesen war. Er wurde im Januar 2010 zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Vorgeworfen wurde ihm unter anderem, er habe als Rundfunkkommentator während des Kriegs gegen Rußland im August 2008 die Positionen georgischer Truppen bekannt gemacht.

Einer der vom Ausschuß als politischer Exilant Bezeichneten kehrte am Dienstag aus Frankreich, wo ihm politisches Asyl zugesprochen worden war, nach Georgien zurück. Er wurde zunächst in Haft genommen, denn sein Fall wirft Schwierigkeiten auf: Irakli Okruaschwili war in den Jahren 2004 bis 2006 Verteidigungs- und Innenminister gewesen und mehrfach durch abenteuerliche Äußerungen und Provokationen gegen die abtrünnige Republik Südossetien aufgefallen, bevor er sich mit Präsident Michail Saakschwili überwarf und schwere Vorwürfe gegen diesen erhob. Daraufhin wurde er im November 2007 festgenommen und nach einem erzwungenen Geständnis in ein Flugzeug nach Paris gesetzt. Im März 2008 wurde er dann wegen angeblicher Wirtschaftsverbrechen in Abwesenheit zu elf Jahren Gefängnis verurteilt. Okruaschwili sei ein Opfer politischer Verfolgung geworden, kommentierte Justizministerin Tea Tsulukiani jetzt, aber das bedeute nicht automatisch seine Unschuld in strafrechtlicher Hinsicht.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 21. November 2012


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