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Regierung kontra Präsident

Exminister in Georgien festgenommen. Dem Land drohen nach dem Wahlsieg der Opposition schwere innere Konflikte

Von Knut Mellenthin*

In Georgien entwickelt sich ein brisanter Konflikt zwischen der neuen Regierung und dem seit 2004 amtierenden Präsidenten Michail Saakaschwili. Damit stehen die Aussichten für den von NATO und EU gewünschten reibungslosen Machtübergang schlecht. Saakaschwilis seit neun Jahren allein regierende Vereinigte Nationalbewegung hatte bei den Parlamentswahlen am 1. Oktober überraschend eindeutig verloren. Er selbst kann aber noch bis zum Oktober 2013 sein mit außergewöhnlichen Vollmachten ausgestattetes Amt ausüben und damit auch die Tätigkeit der neuen Regierung unter Bidsina Iwanischwili, dem Führer des Parteienbündnisses Georgischer Traum, stören.

Nachdem es zunächst so aussah, als würde die bisherige Opposition auf die von vielen ihrer Anhänger erwartete juristische Abrechnung mit dem alten Regime verzichten, wurde am 7. November Bacho Achalaja verhaftet, der mit seinen gerade mal 32 Jahren unter Saakaschwili schon Chef der Abteilung für den Strafvollzug im Justizministerium, Verteidigungsminister und zuletzt Innenminister gewesen war. Wie mehrere andere Politiker, die unter Saakaschwili Machtpositionen innehatten, war er nach dem Wahlsieg der Opposition zunächst aus Angst vor Strafverfolgung ins Ausland geflüchtet, aber am 5. November nach Georgien zurückgekehrt. Wenige Stunden nach Achalaja wurden auch Generalstabschef Giorgi Kalandadse und der Kommandeur der 4. Brigade der georgischen Streitkräfte, Surab Schamatawa, festgenommen. Den drei Männern wird vorgeworfen, im September 2011 sechs Soldaten körperlich mißhandelt zu haben – zunächst in den Amtsräumen von Achalaja, der damals Verteidigungsminister war, und später auf dem Appellplatz einer Kaserne vor 30 Zeugen.

Iwanischwilis Regierung hat sich durch dieses Vorgehen mit der militärischen Führung angelegt, die personell und durch ungesetzliches Verhalten in der Vergangenheit eng mit dem alten Regime verflochten ist. Saakaschwili hatte den 32jährigen Brigadegeneral Kalandadse eine Woche nach der Wahl zum Chef des Generalstabs ernannt und damit, kraft seiner verfassungsmäßigen Vollmachten, den neuen Verteidigungsminister Irakli Alasania brüskiert, der diesen Posten mit einem Mann seines Vertrauens besetzen wollte.

Am Freitag bestätigte das zuständige Gericht zwar den Haftbefehl gegen Achalaja, entließ aber die beiden Offiziere gegen Kaution vorläufig in die Freiheit. Am Sonnabend empfing der Präsident Kalandadse mit allen Ehren und forderte ihn auf, weiter sein Amt auszuüben. Das wiederum veranlaßte Alasania, den Generalstab zu sich zu bestellen und zu verlangen, daß Kalandadse zumindest für die Dauer der Ermittlungen beurlaubt werden müsse. Ebenfalls am Sonnabend rief Generalstaatsanwalt Archil Kbilaschwili das zuständige Gericht auf, die Absetzung Kalandadses anzuordnen. Die Entscheidung darüber sollte noch am Sonntag fallen.

Der Gegenstand des Verfahrens gegen Achalaja und die zwei Offiziere ist eher zufällig gewählt. Vor allem gegen Achalaja, aber auch gegen andere Figuren des alten Regimes gibt es erheblich schwerere Vorwürfe. Wie damit umgegangen werden soll, ist eine politische Frage, die große Risiken, bis hin zu bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen, birgt. Die NATO hat am Freitag einen Besuch ihrer Militärkommission in Georgien, der in diesem Monat stattfinden sollte, ohne Angabe von Gründen und eines neuen Termins »verschoben«. Das ist wohl als Zeichen zu verstehen, daß man nicht in den Konflikt hineingezogen werden möchte und mit dem Vorgehen der neuen Regierung nicht einverstanden ist.

* Aus: junge Welt, Montag, 12. November 2012


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