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Lockungen und Drohungen wider die Abtrünnigen

Südossetien und Georgiens Kampf um die "Wiederherstellung der territorialen Integrität" - Die "Region Zchinwali": der nächste Dominostein?

Von Detlef D. Pries*

Adsharien wählte am Sonntag seinen neuen Obersten Rat. Seit dem Sturz ihres eigenwilligen Oberhaupts Aslan Abaschidse im Mai ist die Region wieder unter Kontrolle der Regierung Georgiens. Zug um Zug bemüht sich Präsident Michail Saakaschwili, sein Land vom Ruf des "gescheiterten Staates" zu befreien. Nächstes Ziel ist die "Heimholung" Südossetiens. "Nie, solange auch noch ein Georgier am Leben ist", werde sich Georgien mit dem Verlust der Territorien Abchasiens und Südossetiens abfinden, hatte Michail Saakaschwili im Januar vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates verkündet. Wie er die abtrünnigen Regionen zurückgewinnen will, ließ er damals offen. Doch zu Hause, in Georgien, sprach er durchaus auch von Opfern, die man bringen, und von Blut, das man vergießen müsse.

Abchasien ist ein schwerer Brocken, vorerst konzentriert man sich in Tbilissi auf die Rückgewinnung Südossetiens. Sicherheitsminister Wano Merabischwili unterschätzt auch diese Aufgabe nicht, "denn anders als in Adsharien sind die meisten Menschen, die dort leben, keine ethnischen Georgier und diese Region hat sich seit langem von Georgien entfremdet".

Russland, nicht nur durch ein 500-köpfiges Friedensbataillon in den georgisch-ossetischen Konflikt verwickelt, warnt ständig vor "einseitigen Schritten" Georgiens. So auch, als Tbilissi am 1. Juni die Truppen seines Innenministeriums in der "Konfliktzone" verstärkte, um den Handel von Russland über Südossetien nach Georgien zu kontrollieren. Von den Zolleinnahmen aus eben diesem Handel lebt Südossetien zu einem beträchtlichen Teil. Letzte Woche verlautete, infolge verschärfter georgischer Kontrollen werde der Warenstrom schwächer und Südossetiens Zolleinnahmen seien derart eingebrochen, dass es zu Rückständen bei der Auszahlung von Gehältern und Renten komme.

Überhaupt hält Saakaschwili seine von USA-Offizieren ausgebildeten neuen Einheiten zwar bereit und verstärkt das georgische Friedensbataillon, mindestens ebenso setzt er jedoch auf subtilere Methoden: Während zuvor in Georgien nur von der "Region Zchinwali" die Rede war, nimmt der Präsident nun auch das georgische Wort für Südossetien (Samatschablo) in den Mund. Er verspricht die Zahlung von Renten für Südosseten aus dem georgischen Haushalt, sendet Ärzte zu kostenlosen medizinischen Untersuchungen aus, lässt Rundfunk- und Fernsehprogramme in Ossetisch ausstrahlen und verkündet die Wiederherstellung der Bahnverbindung zwischen Tbilissi und Zchinwali. Selbst die Ernennung des bisher in Russland tätigen Konzernchefs Kacha Bendukidse zum georgischen Wirtschaftsminister gilt als Schachzug, Moskau durch "ordentliche" Wirtschaftsbeziehungen über den Verlust von Einflusssphären hinwegzutrösten.

Denn ohne Zutun Moskaus kann Saakaschwili sein Südossetien-Problem nicht lösen. In der Rede vor dem Europarat im Januar beschuldigte er Russland noch, einen Krieg gegen Georgien zu führen, doch wolle er Putin die Hand zur Freundschaft reichen. Nach seinem Treffen mit dem russischen Präsidenten im Februar glaubt er sich mit dem Kreml-Herrn weitgehend einig.

Wäre da nicht der mehrfach vorgetragene Wunsch der Südosseten, sich Russland anzuschließen, der erst am 5. Juni durch einen Appell des südossetischen Parlaments bekräftigt wurde. Es sei nun an Russland, die entsprechenden Entscheidungen zu treffen, sagt Südossetiens Präsident Eduard Kokojty und weiß in Moskau Unterstützer hinter sich. Im Falle Jugoslawiens etwa habe auch der Westen das Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker über das der Unverletzlichkeit der Grenzen gestellt, argumentieren die Befürworter einer Aufnahme der Republik in die Russische Föderation.

Jedenfalls lässt jede georgische Machtdemonstration in Moskau wie in Zchinwali Rufe nach dem Schutz russischer Bürger vor einer drohenden Aggression laut werden, denn ein Großteil der Südosseten (wie auch der Abchasen) hat inzwischen die russische Staatsangehörigkeit angenommen, was für Bürger der ehemaligen UdSSR lange Zeit relativ einfach war.

Aus Wladimir Putins Administration hieß es indes bereits im letzten Jahr, das südossetische Streben sei rechtswidrig: "Wir respektieren die territoriale Integrität Georgiens." Derweil lautet die Losung in Zchinwali: "Mit Georgien - immer, in Georgien - niemals!" In Tbilissi glaubt man jedoch, Kokojtys Position bei den eigenen Landsleuten sei durchaus nicht unerschüttert.

Die "Wremja Nowostjej" zitierte kürzlich Georgiens Verteidigungsminister Georgi Baramidse: "Wir werden alles tun, um eine militärische Lösung zu verhindern… Gleichzeitig müssen wir uns auf Überraschungen jeglicher Art einstellen."



Geschichte

Die Osseten siedeln seit altersher am Nordhang der zentralen Kaukasuskette. Ab dem 13. Jahrhundert zogen Angehörige des indo-iranischen Volkes über den Gebirgskamm und ließen sich in den dünn besiedelten Tälern des von georgischen Fürsten beherrschten Südhangs nieder. Nach Gründung der UdSSR 1922 entstanden die Nordossetische ASSR im Bestand der Russischen Republik und das zu Georgien gehörige Südossetische Autonome Gebiet.

Während der georgische Nationalismus Ende der 80er Jahre nach Trennung von der Sowjetunion drängte und die Losung "Georgien den Georgiern" laut wurde, gab es unter den Osseten Bestrebungen zur Vereinigung beider Autonomien. Am 20. September 1990 wurde in Zchinwali einseitig die Gründung der Südossetischen Demokratischen Sowjetrepublik im Bestand der UdSSR verkündet. Georgien - unter Führung von Parlamentspräsident Swiad Gamsachurdia - reagierte mit der Aufhebung der Autonomie und der Ausrufung des Ausnahmezustands. Mit dem Einmarsch georgischer Truppen um die Jahreswende 1990/91 begann ein kriegerischer Konflikt, der mit unterschiedlicher Schärfe länger als ein Jahr andauerte und etwa 1000 Menschenleben kostete. Tausende Südosseten flohen in den Norden, Georgier ins georgische "Kernland". Südossetische Verbände, unterstützt durch Freiwillige, Geld und Waffen aus dem Norden, verteidigten ihre Hauptstadt Zchinwali und verhinderten die Rückeroberung des Gebiets durch die Georgier. Am 25. Juni 1992 wurden unter dem Patronat des russischen Präsidenten Boris Jelzin und des Gamsachurdia-Nachfolgers Eduard Schewardnadse in Dagomys auf der Krim ein Waffenstillstand und die Bildung einer Friedenstruppe aus drei Bataillonen (ein russisches, ein georgisches und ein ossetisches) vereinbart. Seit 1996 ist die georgisch-südossetische Grenze praktisch offen, doch Verhandlungen, um die sich auch eine OSZE-Mission bemüht, kamen nicht voran.

Nach dem Sturz Schewardnadses und der Wiedererlangung der georgischen Kontrolle über Adsharien im Mai dieses Jahres nehmen die Spannungen wieder zu.

* Der Beitrag von Detlef D. Pries erschien am 22. Juni 2004 in der Tageszeitung "Neues Deutschland"


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