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Entscheidung zwischen NATO und Russland

Parlamentswahlen in Georgien

Am 13. Januar wurde mit Michail Saakaschwili ein dem Westen gewogener NATO-Befürworter zum georgischen Präsidenten gewählt. Am 21. Mai findet nun die Parlamentswahl statt. Sie wird Auskunft geben über den künftigen Kurs des Landes - zwischen dem Westen, der NATO und Russland. Das Schicksal der beiden abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien wird aber weiter offen bleiben.
Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel, die vor der Wahl erschienen.



Provokationen und Kriegsdrohungen

Tbilissi sucht NATO-Hilfe in Konfliktregionen

Von Detlef D. Pries *


Aus dem Zerfall der Sowjetunion Anfang der 90er Jahre resultieren die bis heute ungelösten Konflikte um die ehemaligen georgischen Autonomien Abchasien und Südossetien.

»Nie, solange auch noch ein Georgier am Leben ist«, werde sich Georgien mit dem Verlust Abchasiens und Südossetiens abfinden, hatte Michail Saakaschwili kurz nach seinem Amtsantritt im Januar 2004 verkündet. Einer »Reintegration« der abtrünnigen Republiken ist er jedoch seither kein Stück näher gekommen. Im November 2006 sprachen sich erneut fast 99 Prozent der Teilnehmer eines Referendums in Südossetien für die Trennung von Georgien aus – wie bereits im Januar 1992. Und die von den westlichen Großmächten geförderte einseitige Unabhängigkeitserklärung Kosovos hat den Separationswillen von Abchasen und Südosseten zweifellos gestärkt.

Nachdem der Bukarester NATO-Gipfel Anfang April Georgien eben wegen der ungelösten Konflikte nicht den erwünschten Aktionsplan für eine Mitgliedschaft im Militärpakt zugestanden hatte, wuchsen die Spannungen insbesondere um Abchasien. Zumal Russlands Präsident Wladimir Putin seine Regierung am 16. April angewiesen hatte, der Bevölkerung beider Republiken konkrete Hilfe zu erweisen und zu diesem Zweck mit deren faktischen Machtorganen zusammenzuarbeiten. Während die Regierung in Tbilissi dies als »Annexionsversuch« wertete, forderte Putin Georgien auf, ebenfalls tätig zu werden, um die »soziale Last« der Bewohner zu verringern und die ökonomische Entwicklung beider Gebiete zu fördern.

Tatsächlich aber hagelte es Provokationen und Drohungen. Sieben georgische unbemannte Aufklärungsflugzeuge, sogenannte Drohnen, wollen Abchasiens Selbstverteidigungskräfte seit März über ihrem Gebiet abgeschossen haben. Georgien gibt nur den Verlust einer seiner 40 Drohnen israelischen Fabrikats zu, schreibt den Abschuss am 20. April jedoch russischen Streitkräften zu und spricht sogar von »Aggression«.

Abchasien beschuldigt Georgien wiederum, Truppen an der gemeinsamen Grenze und in der Kodori-Schlucht zusammenzuziehen. Der obere Teil dieser Schlucht wird seit 2006 als einziger Teil Abchasiens von Georgien kontrolliert. Als Reaktion auf die von Tbilissi bestrittene Truppenkonzentration stockte Russland sein Blauhelmkontingent in Abchasien Anfang Mai auf 2542 Mann auf (3000 wären laut GUS-Mandat zulässig). Dank dieser Truppen gebe es keine Gewalt zwischen Abchasien und Georgien, erklärte Generalstabschef Juri Balujewski und forderte die NATO auf, ihrerseits keine Waffen mehr an Georgien zu liefern. Dessen Staatsminister für »Reintegration«, Temur Jakobaschwili, betrachtet das russische Kontingent aber »nicht als Friedens-, sondern auch als Angriffstruppe«. Eine Konfrontation sei »in der gegenwärtigen Etappe sehr wahrscheinlich«, sagte er letzten Freitag.

Am liebsten sähe Tbilissi NATO-Truppen in Abchasien. Diesem Wunsch erteilte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier während seines jüngsten Russland-Besuchs allerdings eine Absage.

Zwar beteuert Georgiens Präsident Saakaschwili allenthalben, er wolle die Konflikte friedlich lösen, doch der oppositionelle Politologe Paata Sakareischwili sagte jüngst in einem dpa-Gespräch: »Saakaschwili ist viel zu sehr mit seinem Machterhalt beschäftigt, als dass er an einer friedlichen und für alle Seiten tragbaren Lösung der Abchasienfrage arbeiten kann.«

Chronik - Rosen sind verwelkt

  • 22. November 2003: Nach Parlamentswahlen am 2. und 16. November erhebt die Opposition Fälschungsvorwürfe und stürmt, von Michail Saakaschwili mit einer Rose in der Hand angeführt, das Parlament. Tags darauf tritt Präsident Eduard Schewardnadse zurück.
  • 25. November 2003: Das Oberste Gericht erklärt die Parlamentswahl mit Ausnahme der Direktmandate für ungültig.
  • 4. Januar 2004: Saakaschwili wird mit 96 % der Stimmen zum Staatspräsidenten gewählt.
  • 24. März 2004: Bei der Wiederholung der Parlamentswahl erhält das Bündnis Nationale Bewegung – Vereinigte Demokraten 67 % der Stimmen.
  • Ende 2004: Das Bündnis schließt sich zur Vereinigten Nationalbewegung zusammen.
  • 3. Februar 2005: Ministerpräsident Surab Shwanija, Saakaschwilis Verbündeter, stirbt an einer ominösen Gasvergiftung.
  • 9. Mai 2005: USA-Präsident George Bush lobt den Machtwechsel in Georgien als »Beispiel für andere Staaten«.
  • 19. Oktober 2005: Außenministerin Salome Surabischwili, früher Botschafterin Frankreichs in Georgien, wird entlassen und wechselt in die Opposition.
  • 28. Dezember 2005: Das Parlament beschließt seine Verkleinerung von 235 auf 150 Sitze ab 2008.
  • 25. September 2007: Der frühere Verteidigungsminister Irakli Okruaschwili wirft dem Präsidenten vor, ihn im Juli 2005 beauftragt zu haben, den Oligarchen Badri Patarkazischwili zu beseitigen. Okruaschwili wird daraufhin verhaftet. Inzwischen lebt er im französischen Asyl.
  • 2. – 7. November 2007: Massenproteste gegen Saakaschwilis autoritäre Politik in Tbilissi. Der Präsident verhängt den Ausnahmezustand.
  • 8. November 2007: Saakaschwili beraumt vorgezogene Präsidentenwahlen im Januar an.
  • 5. Januar 2008: Saakaschwili wird mit 53,5 % der ausgezählten Stimmen erneut zum Präsidenten gewählt. Die Opposition klagt über Fälschungen. ND/ddd


* Aus: Neues Deutschland, 21. Mai 2008


Saakaschwili rechnet fest mit Wahlsieg

Georgiens Opposition droht dem Präsidenten bei Fälschungen mit Revolution / Abchasien-Konflikt überschattet Votum

VON KARL GROBE **

Die Mehrheit im neuen georgischen Parlament steht für Davit Bakradze schon fest. Der Spitzenkandidat der regierenden Vereinten Nationalen Bewegung (VNB) kannte möglicherweise die letzten Umfrageergebnisse, die zwei Tage vor der Wahl intern im Umlauf waren. Sie bestätigten offenbar: Die VNB, Partei des Präsidenten Michail Saakaschwili, ist für rund 50 Prozent der Stimmen gut.

Manche Sprecher der in sich zerrissenen Opposition sehen jedoch Wahlbetrug voraus. Falls der Anfangsverdacht sich bestätigen sollte, werde es zum "revolutionären Sturz des Saakaschwili-Regimes" kommen, prophezeit Lewan Gatschetschiladse, der den Acht-Parteien-Block "Vereinte Opposition" anführt. Gatschetschiladse war bei der Präsidentenwahl im Januar Zweiter hinter Saakaschwili geworden, für den offiziell 53,5 Prozent der Wähler votiert hatten. Dieses Ergebnis möchte der Präsident, der im Zuge der "Rosenrevolution" im November 2003 ins Amt kam, am heutigen Mittwoch gern wiederholen.

Saakaschwili, damals Hoffnungsträger der Demokratie, ist autoritär geworden. Im November vorigen Jahres trat er nach Massenprotesten, massivem Polizeieinsatz und Ausnahmezustand erst zurück, setzte dann Neuwahlen an (die er gewann) und versprach saubere Parlamentswahlen. In westlichen Hauptstädten freuten sich viele über das Durchsetzungsvermögen des Nato- und EU-Befürworters, öffneten ihm allerdings die Zugangstüren nicht.

Druck aus Moskau

In Moskau lehnt man den West-Kurs des 41 Jahre alten Georgiers umso strikter ab. Den Abschied des Landes aus der Moskauer Umlaufbahn, das immerhin seit 1801 zum Bestand des russischen Reiches und später der Sowjetunion gehört hatte, hat kaum ein russischer Politiker verwunden.

Die russische Regierung setzt außer Handelsboykott, militärischen Nadelstichen und Ausweisungen ein besonderes Druckmittel ein. Sie schält Schritt für Schritt die früheren autonomen Gebiete Abchasien und Südossetien aus dem Bestand Georgiens heraus, hat den meisten Bewohnern beider Gebiete längst russische Pässe zugeteilt und beansprucht nun auch eine Art konsularischer Vertretung der Einwohner. Aus Abchasien sind nach 1990 mehr als 200 000 Georgier geflohen - fast zwei Fünftel der Bevölkerung.

Vor diesem Hintergrund verhalten sich auch die elf Oppositionsparteien und Wahlbündnisse nationalistisch. Am heutigen Mittwoch (21. Mai) werden 150 Abgeordnete gewählt, zur Hälfte nach Parteilisten im Proporzverfahren mit Fünf-Prozent-Sperrklausel, zur Hälfte in Direktwahlkreisen. Von denen dürfte die Opposition kaum mehr als ein Dutzend gewinnen, und außer der VNB werden es wohl nur fünf Parteien ins Parlament schaffen.

Selbst der Rücktritt von Saakaschwilis früheren Weggefährtin Nino Burdschanadse, der bisherigen Parlamentspräsidentin, wird dessen Wahlerfolg nicht gefährden. Burschanadse stieg unmittelbar vor der Wahl unter Protest gegen die "Arroganz der Macht" aus der Politik aus.

** Aus: Frankfurter Rundschau, 21. Mai 2008


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