Die Rose von Zchinwali
Von Normalität ist Südossetiens Hauptstadt noch weit entfernt
Von Irina Wolkowa, Zchinwali *
Südossetiens Hauptstadt liegt in Trümmern. Doch nicht alle stammen aus dem jüngsten Krieg. Ein
friedliches Zusammenleben können sich viele Osseten und Georgier derzeit nicht vorstellen.
Sie ist nicht besonders schön und würde auf Ausstellungen garantiert keinen Preis gewinnen. Sie ist
nur eine wilde Rose, eine von jener Art, aus deren Blüten die Menschen in Südossetien Konfitüre
kochen. Eine satanische Verführung, eine Köstlichkeit, von der ein betäubender Duft ausgeht, wenn
die Hausfrau das Glas aufschraubt und ihren Gästen als krönenden Abschluss eines Festmahls
einen Teelöffel davon zu kosten gibt. Salima – bitte keinen Nachnamen, wir haben Verwandte in
Georgien, die wir nicht in Schwierigkeiten bringen wollen – wird sobald keine Gäste empfangen. Die
wilde Rose ist ziemlich das Einzige, was ihr nach Granatwerferbeschuss und Bomben geblieben ist.
Still, fast apathisch, die Hände über einen knallroten Hausanzug gefaltet, sitzt sie auf der Bank vor
ihrem einstigen Haus, von dem nur noch die Grundmauern stehen.
Drei Tage im Keller ausgeharrt
Den Angriff der georgischen Truppen auf Zchinwali, die Hauptstadt Südossetiens, hat sie im Keller
eines Nachbarhauses überstanden. Als sie die Einschläge hörte – ganz in der Nähe und vom Klang
her da, wo ihr Haus stand –, war sie bereits auf das Schlimmste gefasst. Als sie den Keller nach drei
Tagen und drei Nächten wieder verließ, stand sie vor einem Haufen rauchender Trümmer. Von Hass
auf die Georgier dennoch keine Spur. »Nicht unsere Völker sind schuld, sondern unsere Politiker.
Die neuen Politiker. Die, die nach dem Ende der Sowjetunion kamen. Früher hat niemanden
interessiert, wer Ossete ist und wer Georgier.«
Salima ist Ossetin und ihre einzige Hoffnung jetzt Russland. Genauer gesagt der Moskauer
Regierungschef Putin. »Wladimir Wladimirowitsch hat versprochen, dass Russland uns nicht allein
lässt in unserer Not. Dass wir alle Entschädigungen bekommen und unsere Häuser wieder
aufgebaut werden.« Jeden Tag, sagt Salima, bete sie für ihn. Für Putin. Für den Mann, der die
tschetschenische Hauptstadt Grosny weit schlimmer zerstören ließ, als dies in Zchinwali durch
georgische Soldaten geschah.
Doch mit den Tschetschenen hat Salima nichts im Sinn. Denn die hielten im Herbst 1992 zu ihren
ethnischen Verwandten, den Inguschen, die sich damals mit Nordossetien blutige Kämpfe um den
Besitz zweier Landkreise lieferten. Zwei Subjekte der Russischen Föderation! Moskau, verpflichtet,
beide zum Frieden zu zwingen, positionierte sich bei den Kämpfen damals eindeutig auf Seiten
Nordossetiens. So wie ein paar Monate zuvor auf Seiten Südossetiens bei dessen Kämpfen gegen
Truppen der Zentralregierung in Tbilissi. Denn Georgiens damaliger Präsident Swiad Gamsachurdija
hatte die Autonomie Südossetiens einfach aufgehoben. Später auch die der Abchasen. Als er zum
Rücktritt gezwungen wurde, boten die tschetschenischen Separatisten ihm Asyl in Grosny.
Wer im Kaukasus mit wem, weshalb und um was kämpft, ist für Außenstehende immer schwerer zu
überblicken. Auch den Konflikt um Nordossetien hatten die meisten westlichen Medien vor der
heißen Phase mehr oder minder verdrängt. Erst als klar wurde, dass Osseten und Georgier nur
einen Stellvertreterkrieg für Russland und die USA führten, die sich in der Region seit Ende der
Sowjetunion einen knallharten Verdrängungswettbewerb lieferten, sah man genauer hin. Mit
wachsender Sorge – und die ist berechtigt. Waffenstillstand ist noch kein Frieden und beide
Großmächte versuchen, in Sachen Südossetien und Abchasien Tatsachen zu schaffen – wie dies
jetzt in Moskau mit der Anerkennung der Unabhängigkeit beider Regionen versucht wird.
Finanzspritze aus Russland
Durch die Tunnel auf der 170 Kilometer langen steilen Bergstraße, die von Wladikawkas, der
Hauptstadt Nordossetiens, nach Zchinwali führt, fahren statt Panzer und Soldaten jetzt Transporter
mit Baumaterial und Aufbauhelfern. Russland soll, wie hiesige Medien berichten, zum Wiederaufbau
Südossetiens für das kommende Jahr mehr Mittel eingeplant haben als für die Problemregionen an
der russischen Pazifikküste. Aus gutem Grund: Südossetien wurde von Tbilissi schon zu Zeiten der
Sowjetunion wie ein Stiefkind behandelt und ist hoffnungslos zurückgeblieben. Ganze Bergdörfer
wurden von den Einwohnern schon Mitte der 80er Jahre aufgegeben und verfallen allmählich. Und
Zchinwali erlebte bereits im Unabhängigkeitskrieg Anfang der Neunziger schwere Zerstörungen. In
den Ruinen von damals wachsen inzwischen mannshohe Bäume.
Das russische Staatsfernsehen indes, das zu Kriegsbeginn das Informationsmonopol hatte, lastete
auch diese Trümmer Georgien an. Und verlor kein Wort über die blindwütigen Zerstörungen in jenen
acht Dörfern kurz vor Zchinwali, deren Bevölkerung aus ethnischen Georgiern besteht.
Zerstörungen, die nicht von Bomben und Artillerie herrühren, sondern von Panzern, die ganze
Gehöfte niederwalzten. Systematisch. Was der Panzerattacke widerstand, nahmen sich Brandstifter
vor.
28 000 Menschen lebten einst in den Dörfern. Viele sind inzwischen zu Verwandten nach Georgien
geflohen. Sie, aber auch die meisten Osseten, können sich nach dem jüngsten Krieg eine
gemeinsame Zukunft nicht mehr vorstellen. Und die Osseten keine Rückkehr in den georgischen
Staatsverband. »Wir müssen uns aber zusammenraufen«, sagt Teimuras, ein nachdenklicher
Mittdreißiger: »Unsere Mütter haben uns in ein und demselben Krankenhaus zur Welt gebracht, als
Kinder haben wir zusammen Äpfel geklaut und irgendwann wird man uns auf dem gleichen Friedhof
beerdigen.«
Teimuras ist Webdesigner und in Zchinwali zur Tatenlosigkeit verdammt. Nur Teile der Stadt haben
wieder Strom und das auch nur stundenweise. Wann es wieder fließend Wasser gibt, steht in den
Sternen. Schon vor dem Krieg gab es nur zwei, drei Mal die Woche für kurze Zeit Wasser. Kaltes.
Hausfrauen wie Nadeschda Galasowa ließen dann sofort die Badewanne voll laufen und dachten
mit Neid und Bewunderung an ihre Verwandten in Nordossetien: »Da kommt das Wasser Tag und
Nacht aus der Wand. Sogar heißes.« Sie sei daher oft mit einem Koffer voller schmutziger
Bettwäsche und Handtücher hinunter zu ihrer Schwester nach Wladikawkas gefahren, die eine
Waschmaschine hat. Und mit der sauberen Wäsche wieder hinauf nach Zchinwali.
Nadeschda wohnt in einem Fünfgeschosser, der die Kämpfe zum Teil heil überstanden hat. Nur die
Küche hat es erwischt. Und weil es sowieso weder Strom noch Gas gibt, kocht die Familie auf dem
Hof. Lebensmittel sind nach wie vor knapp. Zwar stehen vier Feldbäckereien Tag und Nacht unter
Dampf und bringen es auf eine Tagesproduktion von achtzehn Tonnen Brot. Ansonsten greifen die
Menschen vor allem auf Eingemachtes zurück und auf das, was im Garten wächst. Dafür ist ein
Einsatzwagen der russischen Post schon vor Ort und ein Moskauer Mobilfunkanbieter. Mit
Tiefstpreisen, die die georgische Konkurrenz zu einem ähnlich ungeordneten Rückzug zwingen wie
vor zwei Wochen die georgischen Soldaten.
Wehrpflichtige in der Krisenregion
»Ein paar von denen haben die Uniform ausgezogen und sind in Unterhosen um ihr Leben gerannt«,
sagt Dmitri. »Hat ihnen aber nicht geholfen. Paff, paff und tot waren sie.« Dmitri ist im März 18 Jahre
alt geworden und wurde im April zur Armee eingezogen. Dass er hier in Südossetien für Mütterchen
Russland kämpft, ist gegen alles Recht, denn die Gesetze verbieten den Einsatz von
Wehrpflichtigen in Krisengebieten. Seine Einheit, sagt Dmitri, habe aber »nur minimale Verluste«
gehabt. Angst, sagt er, hätte er keine Minute gehabt. »Unsere Bomber …«, Dmitri beendet den Satz
nicht, denn laut offizieller Version hat nur die georgische Luftwaffe Bomben auf Zchinwali geworfen.
Schnell lenkt er das Gespräch daher in vermeintlich unverfänglichere Bahnen. »Heute Abend soll es
hier ja ein Konzert geben. Schade, dass wir zurück müssen.« Nach Gori in Georgien.
* Aus: Neues Deutschland, 27. August 2008
Zurück zur Georgien-Seite
Zur Russland-Seite
Zurück zur Homepage