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Viele "Wahrheiten" um den Kaukasus-Konflikt

Russland beharrt auf Sicherheitsposten, Georgien auf der Opferrolle. Und Deutschland macht Politik auf dem Drahtseil

Von René Heilig *

Nach dem »weit gehenden« Rückzug des russischen Militärs aus dem »Kerngebiet« Georgiens ist ein Streit zwischen Washington und Moskau um Pufferzonen und Kontrollpunkte in der Krisenregion entbrannt.

Der Abzug der Truppen ist am Freitag gegen 20.30 Uhr Moskauer Zeit abgeschlossen worden, sagte Generaloberst Anatoli Nogowizyn, Vizegeneralstabschef der russischen Streitkräfte, am Samstag. Alle Sperrungen auf Fernstraßen seien beseitigt. Die russischen Truppen, so der General, haben acht Posten auf der ersten und zehn Posten auf der zweiten Linie der ursprünglichen Positionen der Friedenstruppen eingerichtet. Was immer das bedeutet. Sicher ist, dass Moskau seine Truppen angewiesen hat, weiter um Ponti zu patrouillieren. Das sei so in internationalen Abkommen verankert. Nogowizyns nächste Erklärung lässt daran zweifeln: »Poti gehört zwar nicht zur Sicherheitszone, das bedeutet aber nicht, dass wir hinter dem Zaun hocken und zuschauen werden, wie sie dort in ihren Hummers herumdüsen.«

Hummer, das sind große Jeeps der US-Armee. Der deutliche Hinweis auf die Fahrzeuge wird so ergänzt: Zur Verhinderung von Provokationen im Raum von Poti würden russische Einheiten auch ihre derzeitigen Stützpunkte verlassen und gemäß der jeweiligen Lage handeln. Schließlich tendiere »die Situation im Schwarzen Meer« zur »Zuspitzung«. Der Vize-Armeechef erklärte: »Die NATO verstärkt weiterhin seine Marine-Gruppierung in dieser Zone.«

Moskaus Nachrichtendienst arbeitet gut. Das Weiße Haus hat das Pentagon auf eine schnellstmögliche Entsendung von Kriegsschiffen nach Georgien gedrängt. Man hat den Zerstörer »McFaul« und das Atom-U-Boot »Dallas« in Griechenland mit – wie betont wird – humanitären Hilfsgütern beladen. Als eine weitere Variante werde die Entsendung des Spitalschiffes »Comfort« geprüft, das noch in Baltimore liegt. Zielort der drei US-Schiffe: Ponti. Dazu operieren in der Region weitere NATO-Schiffe unter anderem aus Polen und Deutschland, die an einem Manöver im Schwarzen Meer teilnehmen sollen. Die Deutsche Marine beeilte sich zu betonen, dass ihre Fregatte »Lübeck« nicht am Transport von Hilfslieferungen nach Georgien beteiligt sei.

Es ist offensichtlich, Deutschland macht mal wieder Politik auf dem Drahtseil. Während Außenminister Frank-Walter Steinmeier noch am Wochenende bei einem Telefongespräch mit seiner georgischen Kollegin markige Worte zum angeblich ungenügenden Rückzug der russischen Truppen fand, ließ die Kanzlerin via Regierungssprecher dementieren, was im »Spiegel« zu lesen war. Der sprach von einer deutschen Absicht, Moskau außen vor zu lassen, wenn es um Gespräche über die Zukunft der Krisenregion geht. Merkels Sprecher sagte: »Eine politische Lösung ist ohne Russland nicht vorstellbar.«

Deutschland taktiert, auch innerhalb der NATO. Die jungen Mitglieder aus dem Osten treiben das Bündnis gegen Russland in die Gräben. Sehr zum Gefallen der aktuellen US-Administration. Ulrich Weisser, einst einer der sogenannten Strategen im deutschen Verteidigungsministerium, hat dagegen heftige Kritik an der Russland-Politik der NATO geübt. Das Bündnis steuere auf eine Konfrontation mit Russland zu, deren Gefahren in keinem Verhältnis zu den Problemen Georgiens stünden, schreibt der ehemalige Vize-Admiral im »Kölner Stadt-Anzeiger«. »Die Scharfmacher in der NATO, allen voran die USA, haben durchgesetzt, dass es vorerst keine Sitzungen des NATO-Russland-Rates mehr gibt«, erklärt Weisser und meint, dass gerade der NATO-Russland-Rat »als Forum für Konsultationen« in Krisenzeiten gegründet wurde.

Weisser geht die aktuelle Lage aus strategischer und gesamteuropäischer Sicht an. Die NATO brauche Russland für »politische Lösungen auf dem Balkan, im Iran, im Nahost-Konflikt und vor allem für Energiesicherheit«. Deshalb sei es im deutschen Interesse, einen anderen Kurs zu steuern und »dabei durchaus in Kauf zu nehmen, im Gegensatz zur Bush-Administration und zu unseren Nachbarn im Osten zu stehen«.

Eine indirekte Kritik an der Berliner Drahtseil-Politik kam vor Tagen schon aus der Deutschen Botschaft in Moskau. Der Verteidigungsattaché, Brigadegeneral Heinz G. Wagner, meinte in einem Bericht: »Das Maß der militärischen Gewaltanwendung von russischer Seite erscheint – von hier aus betrachtet und trotz gegenteiliger Meldungen aus Georgien und dem Pressebild – nicht unangemessen hoch.« Der Bericht ist in Auszügen in der gestrigen »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« wiedergegeben. Der General – mit durchaus solider nachrichtendienstlicher Ausbildung – erweist sich als trockener Taktiker, wenn er schreibt: »Der Einsatz der Luftstreitkräfte – trotz der bedauerlichen zivilen Opfer – kann militärisch gesehen als der Operation angemessen gesehen werden.«

Mit einiger Sicherheit werden die Kaukasus-Kämpfe unvermindert weitergehen. Vor allem in den Medien. Die georgische Seite hat dabei gut ausgebaute Stellungen bezogen. So bietet das Außenministerium per Internet tagfrische Informationen vor allem über die Verbrechen der anderen Seite und die eigenen Opfer. Man hat mit westlicher Unterstützung professionelle Medienmacher eingekauft. Dem gegenüber scheint Russland nach wie vor im starren Medienkorsett zu agieren. Man ahnt, wer da – zumindest im Westen – den nachträglichen aber durchaus entscheidenden politischen Sieg erringen kann.

* Aus: Neues Deutschland, 25. August 2008

Sinnlose Waldzerstörung

Russische Helikopter setzten Nationalpark in Südgeorgien in Brand

Von Tom Kirschey **


Der Krieg zwischen Russland und Georgien hat auch erhebliche Verluste für die einzigartige biologische Vielfalt der Kaukasusregion gebracht. So richteten russische Truppen bei militärischen Aktionen schwere Verwüstungen im Nationalpark Borshomi-Charagauli an.

Am 15. August setzten russische Militärhubschrauber im südlichen Zentralgeorgien mit Brandbomben ein Bergwaldgebiet im Nationalpark Borshomi-Charagauli etwa 70 Kilometer westlich der Stadt Gori in Brand. Bereits einen Tag später waren 200 Hektar Wald verbrannt. Aufgrund der prekären Sicherheitslage konnten die Löscharbeiten noch bis Mitte vergangener Woche nur punktuell aufgenommen werden, so dass zu diesem Zeitpunkt bereits 280 Hektar vernichtet waren. Die Straßensperren, die russische Truppen um Gori errichtet hatten, verhinderten das Durchkommen von Löschfahrzeugen. Bereits kurz nach der Brandstiftung hatte der georgische Vize-Umweltminister Gocha Mamatsashvili die Türkei, die Ukraine und Aserbaidshan um Hilfe beim Löschen der Brände gebeten. Dennoch mussten türkische Löschflugzeuge immer wieder unverrichteter Dinge abdrehen. »Offenkundig versuchen die Ranger des Nationalparks und Menschen aus der Gegend trotz des Konflikts die Flammen irgendwie zu löschen«, berichtete Frank Mörschel, Kaukasus-Experte des WWF Deutschland am vergangenen Mittwoch (20. August). Russland bestreitet bis heute, Verursacher der Brände zu sein.

»Am Donnerstag (21. August) haben russische Truppen offenbar erstmals türkischen Löschflugzeugen den Zugang zum Gebiet gestattet«, informiert Nugzar Zazanashvili, Direktor des WWF-Kaukasus-Programms in Tbilisi. »Wir haben noch immer keinen vollständigen Überblick über das Ausmaß der Waldzerstörung«, sagt Tobias Garstecki vom Kaukasus-Büro der Weltnaturschutzunion IUCN in Tbilisi. »Wir müssen davon ausgehen, dass über 300 Hektar Kaukasusfichten- und Orientbuchenwälder abgebrannt sind. Ob die Brände inzwischen unter Kontrolle oder gelöscht sind, darüber gibt es noch widersprüchliche Angaben«, so Garstecki am vergangenen Freitag (22. Aug.).

Der im Jahr 2001 gegründete Nationalpark Borshomi-Charagauli, das Vorzeige-Schutzgebiet Georgiens, ist Lebensraum des seltenen Maralhirsches, des Kaukasus-Birkhuhns oder des Kaukasus-Salamanders. Bären, Luchse und Steinadler haben hier ihre größte Siedlungsdichte im Kleinen Kaukasus. »Die Region ist ein weltweiter Hotspot der biologischen Vielfalt«, sagt Izolda Matchutadze von der georgischen Umweltorganisation CHAOBI. »Nach der Zerstörung der Bergwälder befürchten wir massive Bodenerosionen«, so Matchutadze. Neben den Bränden im Nationalpark sollen in der Region Bakuriani weitere Feuer die touristische Infrastruktur getroffen haben.

Borshomi war in der ehemaligen Sowjetunion das Sinnbild des aufstrebenden unabhängigen Georgiens. Das gleichnamige, dort geförderte Mineralwasser ist einer der größten Exportschlager des Kaukasusstaates und in Moskau teurer als das italienische Edelwasser »San Pellegrino«. Zudem hat der Nationalpark unter anderem dank erheblicher finanzieller Investitionen der deutschen Entwicklungsbank KfW und der Umweltorganisation WWF eine beispiellose Regionalentwicklung erlebt und gilt als touristisches Highlight für Georgienreisende.

** Der Autor ist Sprecher der NABU-Bundesarbeitsgruppe Kaukasus.

Aus: Neues Deutschland, 25. August 2008




Südossetien meldet georgischen Aufmarsch ***

Die Lage in Georgien und Südossetien bleibt unübersichtlich. Am Sonntag (24. August) erklärte eine Sprecherin der Regierung in Tschinwali, daß Tbilissi »Soldaten an der Gebietsgrenze zu Südossetien zusammengezogen« habe. Gegenüber der russischen Nachrichtenagentur Interfax gab sie des weiteren an, daß georgische Einheiten entlang der Grenze im Bezirk Leningorski aufmarschiert seien und sich auf einige südossetische Dörfer zubewegt hätten. Die Bewohner seien geflohen und hätten die Nacht in angrenzenden Wäldern verbracht. Die südossetische Regierung erwäge nun, um eine verstärkte Präsenz russischer Friedenstruppen in dem Gebiet zu bitten. Am heutigen Montag will das russische Parlament in einer Sondersitzung über Anträge Abchasiens und Südossetiens entscheiden, ihre Unabhängigkeit anzuerkennen.

Unterdessen meldeten westliche Quellen, daß Rußland auch nach dem offiziellen Ende des Truppenabzugs seine Streitkräfte offenbar in Teilen des »georgischen Kernlands agieren« lasse. Russische Einheiten seien in der Umgebung des geostrategisch wichtigen Schwarzmeerhafens von Poti geblieben. Der stellvertretende russische Generalstabschef Anatoli Nogowizyn sagte dazu der Nachrichtenagentur Interfax am Samstag, der Friedensplan erlaube den russischen Friedenstruppen, auf georgischem Gebiet einen »Verantwortungsbereich« aufrechtzuerhalten. Poti werde deshalb auch künftig unter ihrer Kontrolle stehen. Auch Patrouillen in georgischen Orten seien durch das Abkommen gedeckt.

Nach französischen Angaben erlaubt das Waffenstillstandsabkommen »nur begrenzte Patrouillen« jenseits der Grenze der Provinzen Südossetien und Abchasien, bis ein »internationaler Mechanismus« gefunden ist. Über das Ausmaß dieser Pufferzone und die russischen Befugnisse in ihr herrscht jedoch Unklarheit. Russische Truppen dürften keine Straßensperren und Kontrollpunkte in und um Poti errichten, interpretierte indes der Sprecher des Weißen Hauses, Gordon Johndroe, das Abkommen. (AP/AFP/jW)

*** Aus: junge Welt, 25. August 2008


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