Merkel sondierte in Tbilissi
Suche nach langfristig tragfähigen Lösungen für die Region
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Nachdem der französische Präsident Nicolas Sarkozy Russland und Georgien die Zustimmung zum
Sechs-Punkte-Plan für Südossetien abgerungen hatte, besuchte Angela Merkel am Sonntag Tbilissi
- nach ihrer Visite in Sotschi (Russland).
Der Kanzlerin ging es vor allem um die vollständige Einstellung der Kampfhandlungen. Dazu hatte
sie Russlands Präsident Dmitri Medwedjew bereits am Freitag in Sotschi gedrängt. Georgiens
Staatschef Michail Saakaschwilli hatte, als Merkel in Sotschi weilte, in Tbilissi in Anwesenheit von
US-Außenministerin Condoleezza Rice die endgültige Version von Sarkozys mehrfach
nachgebessertem Friedensplan unterzeichnet. Am Samstagabend setzte auch Medwedjew seine
Unterschrift unter das Dokument und gab Anweisung, mit der Erfüllung aller dort enthaltenen Punkte
zu beginnen.
Einer der wichtigsten ist der Rückzug russischer wie georgischer Truppen auf die Positionen, die sie
vor Beginn der Offensive einnahmen. Das bedeutet, dass beide das Territorium Südossetiens
räumen müssen. Medwedjew kündigte nun den Beginn des Truppenabzugs aus dem Konfliktgebiet
in Georgien für diesen Montag an. Zuvor hatte die Nachrichtenagentur Interfax den direkt für die
Operation in Südossetien zuständigen Generalmajor Wjatschislaw Borisow mit den Worten zitiert,
Moskau habe mit dem Abzug seiner Soldaten aus den nicht zum Krisengebiet gehörenden Regionen
Georgiens bereits begonnen. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums dementierte
postwendend. Es handle sich nur um Vorbereitungen für die Rückführung: »Wir denken über einen
Abzug nach und werden uns entscheiden, wenn sich die Situation in der Region stabilisiert hat.« Der
Sarkozy-Plan, so später auch Außenminister Sergej Lawrow, nenne keine konkreten Fristen für den
Abzug.
Merkel hatte Medwedjew gegenüber die Reaktion Russlands auf Georgiens Einmarsch in
Südossetien in mehreren Punkten als unverhältnismäßig bezeichnet und raffte sich in Tbilissi beim
Vier-Augen-Gespräch mit Saakaschwili offenbar zu ähnlich deutlicher Kritik diesem gegenüber auf.
Kanzler- und Außenamt sind der Meinung, Saakaschwili habe die russische Politik falsch
eingeschätzt. Auch weist Berlin georgische Vorwürfe zurück, wonach die NATO am jüngsten Krieg
im Kaukasus mitschuldig sei. Eine Aufnahme in das Beitrittsprogramm der Allianz, mit der Georgien
auf dem Gipfel Anfang April fest gerechnet hatte, hätte Saakaschwili als direkte Auflassung für eine
militärische Lösung von Georgiens Konflikten mit Südossetien und Abchasien interpretiert. Um
Varianten für langfristig tragfähige Lösungen dort ging es bei Merkels Konsultationen mit
Saakaschwili ebenfalls. Dazu muss nach Auffassung beider Seiten zuerst und so schnell wie
möglich eine internationale Friedenstruppe in der Region stationiert werden. Das hatte Merkel am
Freitag auch in Sotschi gefordert. Er, so Medwedjew darauf, habe nichts gegen internationale
Blauhelme, in Südossetien wie in Abchasien sehe man jedoch aufgrund bisheriger Erfahrungen
russische Soldaten als einzig reale Sicherheitsgarantie. Ob sie ihre Mission fortsetzen können, ist
jedoch nach Georgiens Austritt aus der GUS, mit deren Mandat Moskaus Friedenstruppen in der
Region tätig sind, höchst ungewiss.
Ungewiss ist längerfristig auch die politische Zukunft von Saakaschwili. Oppositionsführer Georgi
Chaindrawa, den Saakaschwili 2006 als Minister für Konfliktregelung mit den abtrünnigen
Autonomien entlassen hatte, ging mit Saakaschwili und dessen Paten in Washington hart ins
Gericht. Diese hätten Saakaschwili ausdrücklich zu dem militärischen Abenteuer in Südossetien
ermuntert. Im Ergebnis dessen »haben wir nicht nur Abchasien und Südossetien verloren, sondern
Georgien, das de facto in Teilen von russischen Truppen okkupiert wurde«.
* Aus: Neues Deutschland, 18. August 2008
Rußland beginnt mit Abzug aus Georgien
Von Knut Mellenthin **
Rußland hat am Montag damit begonnen, Streitkräfte aus Südossetien und aus angrenzenden Gebieten Georgiens abzuziehen. Die Aktion ist Teil eines Waffenstillstandsabkommens, das schon am Dienstag voriger Woche zwischen den Präsidenten Rußlands und Frankreichs, Dmitri Medwedew und Nicolas Sarkozy, vereinbart worden war. Aufgrund mehrerer georgischer Änderungswünsche hatte sich die Unterzeichnung aber bis zum Wochenende verzögert.
Das Abkommen sieht unter anderem vor, daß sich die russischen Streitkräfte auf die Positionen zurückziehen, die sie vor dem georgischen Überfall auf Südossetien in der Nacht vom 7. zum 8. August bezogen hatten. Langfristig wird Rußland nur seine Friedenstruppen in Südossetien in der bisherigen Stärke von 1000 Mann stationiert halten. Für eine nicht genau befristete Übergangszeit können aber russische Patrouillenfahrten in einer wenige Kilometer breiten Pufferzone auf georgischem Gebiet stattfinden. Ungeklärt ist der künftige Status der Republiken Südossetien und Abchasien, die sich in den Jahren 1991 bis 1993 nach verheerenden Kriegen von Georgien losgesagt haben. Während die georgische Führung an ihrem revanchistischen Anspruch auf Wiedergewinnung beider Gebiete festhält und darin von den USA und der EU unterstützt wird, geht die russische Regierung davon aus, daß die Bevölkerung von Südossetien und Abchasien selbst über ihre Zukunft entscheiden soll.
Medwedew warnte am Montag die georgische Führung, ohne diese direkt anzusprechen, daß jeder, der vorhabe, erneut russische Bürger zu töten, mit einer »vernichtenden Antwort« rechnen müsse. Das Verteidigungsministerium in Moskau hatte am Sonntag ohne Angabe von Einzelheiten und Informationsquellen gemeldet, Georgien beabsichtige »eine größere provokative Aktion« in der Stadt Gori, in deren Umgebung sich russische Truppen aufhalten. Andere Berichte sprachen von einem geplanten Sprengstoffanschlag auf den Roki-Tunnel, durch den die Straße von Rußland nach Südossetien verläuft.
** Aus: junge Welt, 19. August 2008
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