Russland stoppt Militäreinsatz
Moskau sieht Ziel der Zurückschlagung des georgischen Angriffs auf Südossetien erreicht
Vier Tage nach Beginn der Kämpfe um Südossetien im Gefolge des
georgischen Einmarsches in die abtrünnige Region hat Russlands Präsident
Dmitri Medwedjew angeordnet, den russischen Militäreinsatz in Georgien
zu beenden. Die NATO bekräftigte: Georgien bleibt auf dem Weg zur
Mitgliedschaft im westlichen Militärpakt.
Moskau/Tbilissi (Agenturen/ND). Er habe entschieden, »den Einsatz zu
beenden, mit dem Georgien zum Frieden gezwungen werden sollte«, sagte
Medwedjew in Moskau. Georgiens Präsident Michail Saakaschwili kündigte
den Austritt seines Landes aus der von Moskau geführten Gemeinschaft
Unabhängiger Staaten (GUS) an. Beide Seiten warfen sich weiter
gegenseitig vor, die Angriffe fortzusetzen.
»Das Ziel ist erreicht. Die Sicherheit unserer Friedenssoldaten und der
Zivilbevölkerung wurde wiederhergestellt«, sagte Medwedjew bei einem
Treffen mit Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow. Der »Aggressor«
Georgien sei bestraft worden. Vizegeneralstabschef Anatoli Nogowizyn
schränkte ein, die Anordnung des Präsidenten bedeute nicht, dass die
Armee jegliche Einsätze einstelle. Provokationen würden weiterhin
bestraft. Die russischen Friedenstruppen bleiben laut Medwedjew in
Südossetien und Abchasien stationiert.
Medwedjew und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy präsentierten in
Moskau einen Plan zur Beilegung der Krise. Er umfasst den Rückzug der
russischen und georgischen Truppen auf die Positionen, die sie vor den
ersten Gefechten am Freitag hielten.
Der georgische Reintegrationsminister Temur Jakobaschwili bestätigte,
dass die russischen Truppen ihren Vormarsch in Georgien stoppten. Sie
hielten die eroberten Stellungen jedoch weiter besetzt.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE)
begrüßte die angekündigte Einstellung des russischen Militäreinsatzes.
Nach der Entscheidung Moskaus nähere man sich einem Waffenstillstand und
den dringend erforderlichen humanitären Hilfen für die Region, erklärte
der finnische Außenminister und derzeitige OSZE-Vorsitzende Alexander
Stubb am Dienstag. Medwedjews Ankündigung sei auch ein Resultat der
großen diplomatischen Anstrengungen von OSZE, EU und anderer
internationaler Akteure. Der russische Außenminister Sergej Lawrow
forderte den Rücktritt Saakaschwilis. Außerdem müsse die georgische
Armee alle Stellungen verlassen, die zu Angriffen auf Südossetien
genutzt werden könnten, sagte Lawrow nach einem Treffen mit Stubb in Moskau.
Die NATO erklärte derweil, dass ein Waffenstillstand zwischen Russland
und Georgien nicht ausreiche. Beide Konfliktparteien müssten denselben
Zustand wieder herstellen, der vor dem Ausbruch der Kämpfe geherrscht
habe, sagte NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer in Brüssel.
Georgien befinde sich nach wie vor auf dem Weg zur Mitgliedschaft in der
NATO, bekräftigte er.
LINKE-Vorsitzender Oskar Lafontaine sprach sich für eine
UNO-Friedenstruppe im Georgien-Konflikt aus. »Wenn der UN-Sicherheitsrat
einen Blauhelm-Einsatz beschließen würde, würde dieser von der LINKEN
unterstützt«, sagte er der »Rheinischen Post«. Durch den bewaffneten
Konflikt sind nach UN-Angaben rund 100 000 Menschen in die Flucht
getrieben worden. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Genf rief die
Verantwortlichen vor Ort auf, humanitäre Korridore zur Versorgung der
Menschen zu öffnen.
Unterdessen hat die georgische Armee ein strategisch bedeutendes Gebiet
in der abtrünnigen Region Abchasien aufgegeben. Die Truppen hätten sich
aus der Kodori-Schlucht zurückgezogen, sagte ein Sprecher des
Innenministeriums in Tbilissi. Dabei handelt es sich um das einzige
Gebiet Abchasiens, das noch von Georgien kontrolliert wurde. Abchasische
Soldaten hatten nach eigenen Angaben georgische Soldaten in der
umkämpften Schlucht eingekesselt.
* Aus Neues Deutschland, 13. August 2008
Falsche Antwort
Von Olaf Standke *
Präsident Medwedjew hat das Ende des Militäreinsatzes in Georgien
angeordnet. Die Bush-Regierung bewertete den Schritt erst einmal
positiv. Zuvor hätten die USA ihren Druck auf Moskau stark erhöht, war
von Medien und Experten zu hören. Aber was da suggeriert werden soll,
ist so weit von der Realität entfernt wie eine wirkliche Lösung für den
Konflikt im Kaukasus. Denn der Supermacht blieb nur die Waffe des
scharfen Wortes, um dem geostrategischen Verbündeten Georgien
beizuspringen. Wobei man sich angesichts der engen bilateralen
Beziehungen fragt, ob der Angriff gegen das abtrünnige Südossetien
tatsächlich ein Alleingang von Präsident Saakaschwili war. Wenn nicht,
wäre das Ergebnis ein doppeltes Selbsttor mit fatalen Folgen über die
Region hinaus.
Einer allerdings hofft, vom Beginn einer möglichen neuen Eiszeit
zwischen Washington und Moskau profitieren zu können: John McCain. Der
designierte republikanische Präsidentschaftskandidat, der sich längst
als antirussischer Hardliner profiliert hat, kannte im Unterschied zu
Barack Obama mit seinem Ruf nach neutralen Vermittlern nur einen
Schuldigen. Er fordert die Verbannung Moskaus aus dem G8-Club. Da durfte
sein demokratischer Widersacher im Wahlkampf dann doch nicht nachstehen
und fragte nun, ob man vor diesem Russland nicht zumindest die Tür der
Welthandelsorganisation verschließen müsse. Antworten auf die Probleme
im Kaukasus sind das alles nicht.
* Aus Neues Deutschland, 13. August 2008 (Kommentar)
"Gute Nachricht" für Sarkozy *
Frankreichs Präsident wird in Moskau mit einer Waffenstillstandserklärung
begrüßt
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Zwischen Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und seinem russischen Konterpart Dmitri
Medwedjew stimmt die Chemie. Das zeigte sich beim Treffen am Dienstag (12. August) in Moskau. Russlands
Waffenstillstands-Erklärung trug zur Entspannung bei.
Die »gute Nachricht« stand am Anfang. So bezeichnete der französische Präsident Nicolas Sarkozy
bei seinem Treffen mit Kreml-Chef Dmitri Medwedjew Moskaus Waffenstillstands-Erklärung im
Kaukasus-Krieg. »Russland muss seine Macht für die Sicherung des Friedens einsetzen«, forderte
Sarkozy am Dienstag in Moskau. Sarkozy duzte Medwedjew und lobte die Errungenschaften
Russlands in den vergangenen zehn Jahren. Umso mehr müsse die »große Macht« Russland ihr
Gewicht für die Stabilität in Europa einsetzen. Die Neuigkeit über ein Ende der russischen
Kampfhandlungen im Südkaukasus sei von Europa erwartet worden, sagte Sarkozy. Frankreich hat
derzeit die EU- Ratspräsidentschaft inne.
Seit Dienstagmittag (12. August) schweigen die Waffen in Russlands Konflikt mit Georgien. Gegen 13 Uhr
Ortszeit hatte Präsident Dmitri Medwedjew das Ende der militärischen Operation in Südossetien
verkündet, die in Russland als »Zwang zum Frieden« firmierte. Diese Entscheidung, sagte der Kreml-
Chef, habe er nach einer Beratung mit Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow und
Generalstabschef Nikolaj Makarow getroffen. Beide hatten zuvor über die Lage im Kriegsgebiet
berichtet. »Die Sicherheit der russischen Blauhelme in Südossetien und der Zivilbevölkerung, so
Medwedjew, sei wiederhergestellt, der Aggressor bestraft worden. Dieser sei »desorganisiert« und
habe schmerzliche Verluste davongetragen
Die russischen Truppen würden jedoch auf den Positionen verbleiben, die sie gegenwärtig
einnehmen und seien bereit, den Aggressor zu vernichten, sollte Georgien neue Feindseligkeiten
unternehmen. Wo die Frontlinie verläuft, ist momentan nicht klar. Moskau behauptet, die russischen
Truppen hätten die Grenze zwischen Georgien und dessen abtrümnniger Autonomie Südosseten
nicht überschritten, Tbilissi bezichtigte Russland am Montag zunächst, ganze Städte besetzt zu
haben, dementierte am Abend jedoch.
Ein Plan der EU hatte sich damit aus russischer Sicht bereits erledigt, noch bevor Präsident Nicolas
Sarkozy gestern Nachmittag bei Medwedjew dafür werben konnte. Der Plan sieht die sofortige
Einstellung aller Kampfhandlungen, Rückkehr der Flüchtlinge und Wiederherstellung des
militärischen Status quo vor, wie er am 6. August bestand. Im Klartext: Truppen Georgiens wie
Russlands ziehen sich auf die Positionen zurück, die sie vor Beginn der georgischen Offensive am
Donnerstag hielten. Eben diesen Plan hatte Saakaschwili am Montag vor laufender Kamera des
georgischen öffentlich-rechtlichen Fernsehens unterzeichnet. In Anwesenheit von Finnlands
Außenminister Alexander Stubb, dem amtierenden OSZE-Präsidenten, und dessen französischem
Amtskollegen Bernard Kouchner.
Russland, so Medwedjew bei Beginn der Konsultationen mit Sarkozy, sei bereit zur definitiven
Regulierung des Konflikts um Südossetien. Vorbedingung dafür seien jedoch der Rückzug der
georgischen Truppen auf die Positionen vor der Offensive und deren partielle Demilitarisierung
sowie ein juristisch verbindliches Dokument zum Gewaltverzicht. Das decke sich im Wesentlichen
mit Frankreichs Vorschlag.
Sarkozy hatte sowohl für Bemühungen Georgiens um Wiederherstellung der territorialen Integrität
Verständnis gezeigt als auch für Bestrebungen Russlands, die Interessen seiner Bürger – 80
Prozent der Südosseten haben einen russischen Pass – zu schützen. Das kam in Moskau gut an.
Hier hat man auch nicht vergessen, dass ein konkreter Termin für Verhandlungen zum NATO-Beitritt
Georgiens, gegen den Moskau Sturm läuft, auf dem Gipfel der Allianz Anfang April in Bukarest vor
allem am Widerstand Frankreichs und Deutschlands scheiterte.
Moskau dürfte bei den Verhandlungen zu Südossetien dennoch auf Zeit spielen – in der Hoffnung,
dass Georgiens Staatschef Michail Saakaschwili durch die militärische Niederlage zum Rücktritt
gezwungen wird. Ihm lastet der Kreml nicht nur die Offensive in Südossetien an sondern auch die
»Rosen-Revolution« im November 2003. Sie führte in Tbilissi zu einem außenpolitischen
Kurswechsel, Georgien drängt seither konsequent in westeuropäische Strukturen wie NATO und EU
und versteht sich als Vorposten der USA, die sich seit dem Ende der Sowjetunion mit Moskau einen
knallharten Verdrängungswettbewerb im südlichen Kaukasus liefern.
Eben diese Revolution hat aus Moskauer Sicht auch die Steilvorlage für die »orangenen Revolution«
Ende 2004 in der Ukraine geliefert, in deren Ergebnis der prowestliche Viktor Juschtschenko in Kiew
auf den Präsidentensessel gelangte. Dass die Ukraine seither ebenfalls in NATO und EU drängt,
kann Moskau noch schwerer wegstecken als den Verlust Georgiens. Der Ukraine hatte Moskau eine
tragende Rolle im Euroasiatischen Wirtschaftsraum zugedacht, an dem sich auch Belarus und
Kasachstan beteiligen wollen. Der nach Russland bevölkerungsreichste UdSSR-Nachfolgestaat ist
zudem Transitland für Russlands Energielieferungen nach Westeuropa. Und die russische
Schwarzmeerflotte nutzt die Marinebasis im ukrainischen Sewastopol.
* Aus Neues Deutschland, 13. August 2008
Es ist Krieg - die EU hat Urlaub?
Tobias Pflüger über Bemühungen europäischer Parlamentarier *
Neues Deutschland: Nachrichten im Krieg sind Kampfinstrumente. Wie bildet man sich in Brüssel eine Meinung über den Krieg im Kaukasus?
Pflüger: Man kann keiner Nachricht mehr unbesehen Glauben schenken. Also
muss es zuerst darum gehen, sich einen halbwegs objektiven Überblick zu
verschaffen. Klar dürfte sein, dass Georgiens Regierung einen
Angriffsbefehl gegeben hat. Doch schon die Frage, wer da womöglich ein
Zeichen der Unterstützung gab, ist wichtig. Offensichtlich hat Georgiens
Präsident nicht auf eigene Faust gehandelt. Nun will Russland mit seiner
ganzen Macht die Situation in seinem Interesse nutzen. Moskau wendet
völlig unverhältnismäßige Mittel an. Der Konflikt eskaliert.
Er besteht seit Jahren. Die EU und auch Deutschland haben versucht, zu
vermitteln. Erfolglos. Lag das womöglich am falschen Ansatz, an falschen
Mitteln?
Ich lobe EU-Verantwortliche -- aus guten Gründen -- selten. Doch in dem
Fall glaube ich, dass die Vermittlungsversuche korrekt waren. Sowohl die
EU wie Deutschland haben zu beiden Seiten gute Kontakte. Das Problem
scheint mir: Solche Verhandlungen funktionieren in der Regel dann, wenn
man politische oder wirtschaftliche Druckmittel in der Hand hat,
worunter ich durchaus auch Anreize für ein friedliches Verhalten
verstehe. In dem Falle war das nicht gegeben. Also konnte man sich nur
als Mediator anbieten. Daran hatten weder Georgien noch Russland ein
Interesse.
Wie also kann man jetzt zum Stopp des Krieges beitragen?
Von Seiten der EU muss das eindeutige Zeichen kommen: Wenn nicht sofort
ein tragfähiger Waffenstillstand erzielt wird, stellen wir jegliche
Zusammenarbeit mit den Kriegsparteien ein.
Kann die EU nicht auch die guten transatlantischen Beziehungen ins Spiel
bringen, um den USA zu sagen: Wir sind gegen den Unterstützungskurs für
Georgien? Derart deutlich hat man ja auch Bushs Wunsch nach der
NATO-Mitgliedschaft Georgiens abgeschmettert.
Richtig, die EU muss deutlich signalisieren, dass die Gemeinschaft
jegliche Kriegsunterstützung ablehnt, sich also auch in keiner Weise im
Sinne der USA engagiert. Die beiden sogenannten Schutzmächte, also die
USA und Russland, müssen rasch zu einer soliden Vereinbarung kommen.
Wie können Parlamentarier dabei helfen? Schließlich hat auch das
EU-Parlament Sommerferien.
Stimmt, ich bin gerade auf Malta, doch deswegen nicht untätig. Es gibt
vermutlich eine Sondersitzung des Unterausschusses für Sicherheit und
Verteidigung. Am Montag (11. August) gab es eine erste Telefonkonferenz,
gestern die zweite. Diese Methode lehrte uns der Libanon-Krieg, bei dem
wir »auf dem falschen Fuß erwischt« wurden. In drei Punkten haben wir
bereits Konsens erreicht. Erstens: Forderung an beide Seiten nach
sofortigem Waffenstillstand. Zweitens: Sofortige Öffnung der sogenannten
humanitären Korridore. Drittens: Akzeptanz der EU als Vermittler. Ein
vierter Punkt ist strittig. Dabei geht es um die Implementierung einer
europäischen Militärmission. Im Gegensatz zu Vertretern anderer
Fraktionen halte ich diesen Vorschlang für absurd.
Noch aber ist das nicht die artikulierte Position des Parlaments.
Vereinbart ist, dass die Mitglieder des Unterausschusses nun mit ihren
Fraktionsspitzen Kontakt aufnehmen, um auszuloten, ob das Vereinbarte
gemeinsam vertreten werden kann. Dann kann es eine gemeinsame Erklärung
der Fraktionsvorsitzenden geben. Ich hoffe, dass dies schnell geschieht.
Fragen: René Heilig
* Tobias Pflüger ist für die LINKE im Europaparlament. Er arbeitet im
Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung mit.
Aus Neues Deutschland, 13. August 2008
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