Krieg im Kaukasus weitet sich aus
3000 US-kommandierte Söldner kämpfen angeblich auf der Seite der georgischen Truppen
Von Jürgen Elsässer *
Während die EU im Kaukasus-Konflikt zu vermitteln versucht, spitzt sich
die Lage in Abchasien zu. Russische Truppen dringen nach Westgeorgien vor.
Der stellvertretende Nationale US-Sicherheitsberater James Jeffrey will
der »Washington Post« zufolge nicht ausschließen, dass die USA Georgien
auch militärisch zu Hilfe kommen. Offenbar passiert das schon: Bereits
seit Sonntagabend fliegen US-Flugzeuge 800 georgische Soldaten, die
bisher in Irak eingesetzt waren, an die Heimatfront zurück. »Nach
unseren Informationen kämpfen bis zu 3000 Söldner, die von
US-Militärexperten gelenkt werden, auf georgischer Seite gegen russische
Friedenssoldaten«, sagte ein ranghoher Mitarbeiter des militärischen
Geheimdienstes in Moskau. Die Söldner kämen unter anderem aus der
Ukraine und dem Baltikum. Zudem befänden sich rund 1000
US-Militärexperten in Georgien.
Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass Moskau den
sogenannten Friedensplan ablehnt, den der französische Außenminister
Bernard Kouchner und sein finnischer Amtskollege Alexander Stubb namens
der EU-Ratspräsidentschaft überbracht haben. Dieser sieht einen
sofortigen Waffenstillstand und den Rückzug der georgischen wie
russischen Truppen auf Positionen vor Beginn der Kämpfe am 8. August
vor. Dieser Rückzug soll von einer »internationalen Friedenstruppe«
überwacht werden. Zu befürchten ist, dass dann statt der bisher russisch
geführten Friedensmission EU- oder NATO-geführte Verbände als Puffer
zwischen Abchasien, Südossetien und Georgien stünden, womit die
bisherige Quasi-Staatlichkeit der beiden Regionen Makulatur wäre.
Saakaschwili hätte diplomatisch erreicht, woran er mit seiner Aggression
gescheitert ist. Friedenstruppen der OSZE könne man aber akzeptieren,
signalisierte Moskau.
Nachdem die russischen Verbände Südossetien mittlerweile weitgehend
unter ihrer militärischen Kontrolle haben, sind sie von dort aus nach
Westgeorgien vorgestoßen und haben den Militärstützpunkt Senaki besetzt.
Ziel sei es, neuerlichen Artilleriebeschuss auf Südossetien ebenso zu
verhindern wie georgische Truppenbewegungen, hieß es in einer Erklärung
des russischen Verteidigungsministeriums. Saakaschwili sprach bei einer
Sitzung des Sicherheitsrates von einem Vordringen russischer
Bodentruppen und forderte das Ausland auf, es solle »diesen barbarischen
Aggressor stoppen«.
Auch in Abchasien spitzt sich die Lage zu. Brennpunkt ist das nördliche
Kodori-Tal, das Georgien völkerrechtswidrig seit 1996 okkupiert hat. Die
abchasische Regierung hat den Abzug der Besatzer gefordert und dafür
einen Korridor angeboten. Russische Truppen, die sich gemäß
internationaler Verträge in einer Stärke von bis zu 3000 Mann dort
aufhalten dürfen, unterstützen diese Position.
Im UN-Sicherheitsrat kam es zum Schlagabtausch zwischen dem russischen
Vertreter Witali Tschurkin und seinem US-Kollegen Zalmay Khalilzad.
Khalilzad beschuldigte die Russen einer »Terrorkampagne« in Georgien. Da
Khalilzad selbst einer der vehementesten Befürworter der US-Kriege in
Afghanistan und in Irak war, ist dies zumindest pikant.
In Deutschland versucht sich die SPD vorsichtig von der antirussischen
Linie der Union abzusetzen, während die FDP umgekehrt sogar einen
Verzicht auf das für Freitag geplante Treffen zwischen Kanzlerin Angela
Merkel und Präsident Dmitri Medwedjew verlangt. DIE LINKE ist die
einzige Partei, deren oberste Spitze sich bis dato nicht zum Krieg im
Kaukasus geäußert hat. Monika Knoche, Fraktionsvize, warnte vor einer
einseitigen Stellungnahme zugunsten Georgiens.
* Aus: Neues Deutschland, 12. August 2008
Auch Kiew ist nun betroffen
Die schwierige Suche nach einem ehrlichen Makler
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Vesti-24, der Nachrichtenableger des russischen Staatssenders RTR, hat
die Sitzung des UN-Sicherheitsrates zum Konflikt um Südossetien live
übertragen - wohl, um der Nation vorzuführen, dass man nicht nur an der
militärischen, sondern auch an der diplomatischen Front von Sieg zu Sieg
eilt.
Bei einem verbalen Schlagabtausch mit Moskaus UN-Botschafter Vitali
Tschurkin entschlüpften dessen US-Kollegen Zalmay Khalizad Auslassungen
zu einem Telefonat zwischen Russlands Außenminister Sergej Lawrow und
seiner Washingtoner Kollegin Condoleezza Rice. Dabei soll es vor allem
um die politische Zukunft von Georgiens Präsident Michail Saakaschwili
gegangen sein. Lawrow habe wörtlich gesagt: Saakaschwili muss gehen. Der
Außenminister dementierte umgehend und warf Rice noch am Sonntagabend
vor, ihn falsch interpretiert zu haben. Zwar sehe Russland Saakaschwili
als Befehlshaber für Verbrechen, bei denen tausende russische Bürger
getötet wurden. Allerdings habe er mit der am Telefon geäußerten
Forderung nach einem »Rückzug« nicht den Präsidenten gemeint, sondern
die georgischen Truppen in Südossetien, betonte Lawrow.
Doch hofft Moskau wohl in der Tat, eine sich inzwischen deutlich
abzeichnende militärische Niederlage Georgiens werde den zu Hause
ohnehin schwer angeschlagenen Staatschef Michail Saakaschwili zum
Rücktritt zwingen. Russische Medien berichteten am Montag sogar von
einem Selbstmordversuch, den Saakaschwilis Leibwache angeblich in
letzter Minute verhindert haben soll.
Die Chancen auf eine pro-russische Regierung in Tbilissi tendieren
jedoch gegen Null, nicht zuletzt, weil Russland auch georgische Städte
außerhalb der Krisenregion bombardiert hat. Moskau würde in Georgien
inzwischen eine Regierung reichen, die wie Aserbaidschan eine neutrale
Außenpolitik betreibt und - zumindest in überschaubaren Fristen - auf
einen NATO-Beitritt verzichtet. Mit einer solchen Regierung würde man
auch neu über den Status von Georgiens abtrünnigen Autonomien
Südossetien und Abchasien verhandeln.
Für eine Rückkehr an den Verhandlungstisch will auch Frankreichs
Präsident Nicolas Sarkozy, dessen Land momentan die EU-Präsidentschaft
innehat, bei seinem Moskau-Besuch werben. Anders als die USA, die
Georgien als Vermittler anrief, hat Europa, das sich bisher weitgehend
neutral verhielt, gewisse Chancen, sich den Lorbeer eines ehrlichen
Maklers zu verdienen.
Russland dürfte jedoch versuchen, bis Verhandlungsbeginn möglichst viele
vollendete Tatsachen zu schaffen und seine Position in der Region weiter
auszubauen. Allein an der Waffenstillstandslinie zwischen Georgien und
dessen abtrünniger Schwarzmeer-Region Abchasien wurden die russischen
Blauhelme, die dort seit 1994 mit Mandat der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft
GUS stationiert sind, um 9000 Soldaten und 350 Panzerfahrzeuge
aufgestockt. Dort und in Südossetien sind inzwischen auch russische
Luftlandeeinheiten stationiert, vor der Küste sind Kriegsschiffe der
russischen Schwarzmeerflotte vor Anker gegangen. Das hat bereits zu
neuen Spannungen zwischen Russland und der Ukraine geführt. Kiew, so
Präsident Juschtschenko, könnte die Rückkehr der Schiffe in die
Marinebasis im ukrainischen Sewastopol, die Russland bis 2017 gepachtet
hat, verbieten. Auch militärische Hilfe für Georgien wollte er nicht
ausschließen. Freiwillige aus der Ukraine und den Baltenstaaten,
meldeten russische Medien, seien bereits auf dem Weg nach Georgien.
Aserbaidschan wiederum sieht offenbar auch Gefahren für die Pipeline
Baku-Tbilissi-Ceyhan, die das Öl der Kaspi-See gen Westen transportiert
und ca. 200 km südlich des Krisengebiets verläuft. Gestern früh wurden
die Lieferungen vorübergehend eingestellt.
* Aus: Neues Deutschland, 12. August 2008
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