"Den Russen ist wohl einfach der Kragen geplatzt"
Hinter dem Angriff Georgiens standen vermutlich die USA. Ein Gespräch mit Norman Paech *
Georgien und Rußland sind in einen Krieg um Südossetien verwickelt, in
den sich die EU als Vermittlerin einzuschalten versucht. Die meisten
Medien ergreifen für Georgien Partei - welche Position hat die Linkspartei?
Die Situation ist sehr kompliziert; es war vorhersehbar, daß es
irgendwann so kommen würde. Mit dazu beigetragen hat auch die
völkerrechtswidrige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo - ein
grundsätzlicher Fehler, den die südossetischen Separatisten als
Ermunterung verstanden haben. Die jetzige Zuspitzung im Kaukasus geht
damit auch auf das Konto der NATO-Staaten.
Der böse Aggressor ist aber laut Darstellung in vielen Medien Rußland ...
Strikt völkerrechtlich ist Südossetien nach wie vor Teil Georgiens.
Ebenso wie Abchasien - daran ändert nichts, daß beide einseitig ihre
Unabhängigkeit erklärt haben. Eine Intervention Rußlands wäre nur dann
gerechtfertigt gewesen, wenn es dafür völkerrechtliche Gründe gäbe - die
ich im Augenblick nicht erkennen kann.
Aufgrund einer Vereinbarung beider Staaten hatte Rußland in Südossetien
eine Friedenstruppe stationiert. Und die hat nichts anderes getan, als
sich und die russischen Landsleute dort gegen den Angriff Georgiens zu
verteidigen.
Das wird unterschiedlich gesehen. Man kann auch einwenden, daß es weder
einen direkten Angriff auf die in Südossetien lebenden Russen noch auf
die russische Friedenstruppe gab. Damit scheidet das Recht auf
Selbstverteidigung aus. Ich kann die Führung in Moskau nicht ganz von
dem Vorwurf befreien, daß sie sich mit einer so massiven Reaktion, die
über die Grenzen Südossetiens hinausgeht, nicht im Rahmen des
Völkerrechts bewegt hat.
Sehen wir einmal von den formalen Fragen des Völkerrechts ab. Wie
erklären Sie, daß Georgien ausgerechnet zu Beginn der Olympischen Spiele
einmarschiert ist?
Die Symbolik eines bestimmten Termins spielt vielleicht eine Rolle.
Entscheidender ist, daß Georgien von den USA seit langem aufgerüstet
wurde. Dahinter steht die Strategie der USA und der NATO, ihren
militärischen Einfluß immer dichter an die Grenzen Rußlands heran
auszudehnen. Und in diesem Punkt sind die Russen zu Recht besonders
sensibel.
Müssen Sie nicht auch Georgien vorwerfen, das Völkerrecht verletzt zu
haben? Immerhin haben georgische Truppen durch ihren Einmarsch den
ersten Schritt getan.
Beide Seiten haben das völkerrechtliche Gewaltverbot nicht eingehalten.
Ist die Vermutung abwegig, daß der georgische Angriff eine mit der NATO
oder den USA abgesprochene Provokation war?
Ich würde eher die USA dahinter vermuten, die wohl die Stärke der von
ihnen aufgerüsteten georgischen Truppen überschätzt haben. Wie dem auch
sei - in einem solchen Konflikt muß als erstes der UN-Sicherheitsrat
eingeschaltet werden. Hier hat zweifelsohne auch die internationale
Staatengemeinschaft schwer gesündigt, indem sie nicht früher auf eine
politische Lösung gedrängt hat.
Kann es nicht auch so sein, daß Rußland so schnell und massiv reagiert
hat, um vollendete Tatsachen zu schaffen, bevor sich die USA oder die
NATO einmischen können?
Den Russen ist wohl ganz einfach der Kragen geplatzt. Sie sind ohnehin
schon durch die Pläne der USA gereizt, Raketen in Polen zu stationieren.
Mit dem Einmarsch georgischer Truppen nach Südossetien hat der Westen
aus russischer Sicht die rote Linie überschritten. Im umgekehrten Fall
hätten die USA nicht anders gehandelt, wenn die Russen bis an ihre
Grenze vorgerückt wären.
Ganz offenkundig wurde dieser Krieg vom georgischen Präsidenten Michail
Saakaschwili ausgelöst. Berichten zufolge sind Tausende dabei umgekommen
- müßte er nicht vor Gericht gestellt werden?
Dafür wäre der Internationale Strafgerichtshof zuständig.
Und wie wäre es mit einem Gerichtsverfahren analog zum Irak? Dort wurde
der frühere Diktator Saddam Hussein vor ein Gericht gestellt, das ihn
dann zum Tode verurteilte.
Es wäre durchaus denkbar, Saakaschwili vor ein südossetisches Gericht zu
stellen. Das sehe ich aber zur Zeit nicht, und eine politische Lösung,
die den Konflikt bereinigt, wäre das auch nicht.
Interview: Peter Wolter
* Norman Paech ist Professor für öffentliches Recht und
außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag
Aus: junge Welt, 12. August 2008
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