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Georgische Gesten in Richtung Moskau

Iwanischwili erhielt Rückendeckung in Brüssel

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Für die Wiederherstellung der »historisch gewachsenen Beziehungen« zu Russland machte sich Georgiens neuer Regierungschef beim Antrittsbesuch im Brüssler EU-Hauptquartier stark. Bidsina Iwanischwili erwartet freilich »adäquate Maßnahmen« von russischer Seite.

Der Milliardär Bidsina Iwanischwili, dessen Bündnis »Georgischer Traum« bei den Parlamentswahlen Anfang Oktober souverän gegen die Vereinigte Nationale Bewegung von Präsident Michail Saakaschwili siegte, hatte gleich nach Amtsübernahme den früheren georgischen Moskau-Botschafter Surab Abaschidse zum Sonderbeauftragten für die Beziehungen zu Russland ernannt. Der Abaschidse-Clan aus Adsharien am Schwarzen Meer hat traditionell einen heißen Draht nach Moskau.

Partnerschaftliche Beziehungen »mit einem Nachbarn wie Moskau«, lobte auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, seien wichtig für Tbilissi. Ähnlich äußerte sich NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Georgische Experten - darunter die ehemalige Außenministerin Salome Surabischwili - sprachen von demonstrativer Rückendeckung der EU für Premier Iwanischwili in dessen Zweikampf mit dem ebenfalls nach Brüssel gereisten Präsidenten Michail Saakaschwili, der als Haupthindernis für eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland gilt. Moskau lastet ihm persönlich die Schuld für den Krieg im Kaukasus im August 2008 an. Verhandlungen werde es daher erst nach einer Wachablösung in Tbilissi geben, heißt es hier. Nach der Präsidentenwahl im Herbst 2013 werden auch die außenpolitischen Kompetenzen des Staatsoberhaupts auf den Premier übergehen.

Leicht dürfte es Iwanischwili dennoch nicht haben. Lange bevor Georgien 2008 die diplomatischen Beziehungen zu Russland abbrach und aus der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS austrat, war beider Verhältnis getrübt. Russland unterstützte nach den Unabhängigkeitserklärungen Südossetiens und Abchasiens 1992 die dortigen Separatisten. Nach der »Rosenrevolution« Ende 2003, als Saakaschwili auf NATO-Integration drängte, verschärften sich die Spannungen. Moskau bestand auf Visumszwang und begründete das mit georgischer Unterstützung für tschetschenische Extremisten. 2006 verfügte Russland zunächst einen mit Qualitätsmängeln begründeten Einfuhrstopp für georgische Weine und Mineralwasser, im Herbst wurde nach einem Spionageskandal eine totale Wirtschaftsblockade verhängt.

Russland trug dabei zwar einen mittelschweren Rufschaden davon, Georgien aber einen realen wirtschaftlichen und politischen. Tourismus, Agrarexport und Überweisungen georgischer Gastarbeiter in Russland sind wichtige Einnahmequellen für den Staat. Und der NATO kann Georgien allenfalls nach einer Normalisierung der Beziehungen zu Russland beitreten. Die Statuten der Allianz verbieten die Aufnahme neuer Mitglieder bei Gebietsansprüchen und Grenzstreitigkeiten mit Nachbarn.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 14. November 2012


Alte Freundschaft

NATO mischt sich in Auseinandersetzungen zwischen Präsident und Regierung in Georgien ein

Von Knut Mellenthin **


Die westliche Militärallianz ergreift im Streit zwischen der neuen georgischen Regierung und dem seit 2004 amtierenden Präsidenten Michail Saakaschwili öffentlich Partei. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, der sich am Montag mit Saakaschwili in Prag traf, verkündete anschließend, daß er über die jüngsten Verhaftungen »politischer Gegner« in Georgien »äußerst besorgt« sei.

In der vorigen Woche war gegen Bacho Akhalaia, einen langjährigen Weggefährten Saakaschwilis, Generalstabschef Giorgi Kalandadse und Surab Schamatawa, Kommandeur einer Infanteriebrigade, Anklage wegen Mißhandlung von Soldaten erhoben worden. Von dem Vorfall, der sich im Oktober 2011 ereignet hatte, waren sechs Angehörige der Streitkräfte betroffen. Akhalaia befindet sich in Haft, während Kalandadse und Schamatawa gegen Kaution freigelassen wurden.

Daß der Chef der NATO sich derart einseitig in den Konflikt einmischt, fällt umso mehr auf, da er bisher nur mit dem Repräsentanten des alten Regimes, Saakaschwili, gesprochen hat, während ein Treffen zwischen ihm und Premierminister Bidsina Iwanischwili erst am heutigen Mittwoch in Brüssel stattfinden soll. Saakaschwili wertete Rasmussens Parteinahme prompt als Beweis, daß die neue Regierung Georgiens Integration in das westliche Bündnis gefährde. Er könne sich nicht erinnern, sagte Saakaschwili, daß die NATO in den letzten Jahren überhaupt einmal einen kritischen Ton gegenüber Georgien angeschlagen habe. Tatsächlich war der Westen jahrelang mit öffentlichem Stillschweigen über die Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit während der neunjährigen Alleinherrschaft von Saakaschwilis Vereinigter Nationalbewegung hinweggegangen.

Daß die westlichen Regierungen stets informiert waren, geht beispielsweise aus einem von Wikileaks veröffentlichten Bericht über ein Telefongespräch hervor, das Tina Kaidanow, stellvertretende Unterstaatssekretärin im US-Außenministerium, am 15. September 2009 mit Saakaschwili führte. Ende August hatte der Präsident den damals 28jährigen Akhalaia, der zuvor Verantwortlicher für die Gefängnisse gewesen war, zum Verteidigungsminister gemacht. Kaidanow äußerte sich über diese Ernennung »besorgt« und verwies auf Akhalaias »poor human rights record«, Verstöße gegen die Menschenrechte unter seiner Verantwortung. Saakaschwili möge verstehen, daß diese Ernennung Georgiens internationalem Ruf geschadet habe und daß es wichtig sei, solche Aktionen künftig zu unterlassen. Unter anderem warf die georgische Opposition Akhalaia vor, er habe durch die Mißhandlung von Häftlingen zwei Gefängnisrevolten provoziert. Diese wurden dann von Spezialeinheiten brutal niedergeschlagen, wobei mindestens sieben Gefangene getötet wurden.

Die US-Regierung söhnte sich mit dem neuen Verteidigungsminister erst einige Monate später wieder aus, nachdem in mehreren Berichten der Botschaft in Tbilissi hervorgehoben worden war, daß Akhalaia hinsichtlich seiner Bereitschaft, »Ratschläge« von amerikanischen Dienststellen einzuholen und diese dann auch zu befolgen, alle Vorgänger übertreffe.

Am Dienstag wurde gegen Akhalaia und Kalandadse auch wegen eines weiteren Übergriffs Anklage erhoben, der sich im Februar 2010 ereignet hatte. Die beiden sollen dafür verantwortlich sein, daß 17 Soldaten 36 Stunden lang ohne Nahrung in einen ungeheizten Duschraum gesperrt worden waren. Es handelte sich um Militärfahrer, die sich geweigert hatten, nach einer Nachtschicht morgens zum Exerzieren anzutreten. Der Generalstaatsanwalt strebt nun an, Kalandadse wieder in Haft nehmen zu lassen.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 14. November 2012


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