Ankara und Baku wollen mehr Einfluss
Druck auf Tbilissi zu einer Neuordnung der georgischen Nationalitätenpolitik wächst
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Alternative Pläne für eine Beilegung der Krise im Südkaukasus gab es schon vor Beginn der Genfer
Georgien-Konferenz. Dass deren erste Runde am Mittwoch mit einem Eklat endete, lag maßgeblich
daran, dass Südossetien und Abchasien auf gleichberechtigter Teilnahme bestanden, was sie ohne
vorherige Absprache mit Moskau wohl kaum getan hätten.
Dies macht erneut die Tücken deutlich, die auf Krisenmanager wie EU, OSZE und UNO noch
zukommen. Dadurch steigen die Chancen der unmittelbaren Nachbarn der Kriegsparteien, sich mit
eigenen Lösungen in den Friedensprozess einzubringen. An einer tragenden Rolle dabei sind vor
allem Aserbaidshan und die Türkei interessiert.
Ankara kann dabei seine Europa-Tauglichkeit durch Tiefenkenntnis von Regionen beweisen, die der
Westen nach wie vor so gut wie ausschließlich unter energiepolitischen Aspekten wahrnimmt:
Zentralasien und Südkaukasus. Dazu kommt, dass die anhaltende Instabilität in Georgien in der Tat
ein erhebliches Gefahrenpotenzial für den Zugriff auf die Öl- und Gasressourcen beider Regionen
darstellt: Solange der Konflikt Aserbaidshans mit Armenien um Bergkarabach nicht beigelegt ist,
kommt einzig Georgien als Transitland für die von Aserbaidshan in die Türkei und von dort nach
Westen führenden Pipelines in Frage.
Ankara und Baku verständigten sich daher bereits Ende September über Möglichkeiten, die
Zentralregierung in Tbilissi für einen Plan zu begeistern, der de facto auf den Umbau Georgiens in
einen Bundesstaat hinausläuft.
Damit soll weiteren Absetzbewegungen von Regionen mit nichtgeorgischen
Bevölkerungsmehrheiten vorgebeugt werden. Ausgerechnet durch deren Siedlungsgebiete aber
verlaufen die Pipelines – bereits existierende und geplante. Ebenso die geplante neue
Eisenbahnlinie von Baku über Tbilissi ins türkische Kars. Tbilissi aber liegt nicht nur mit Südossetien
und Abchasien im Clinch. Wegen unzureichender Autonomierechte ist auch das Verhältnis zwischen
Zentrum und anderen Minderheiten gespannt.
Im Südwesten, in der Provinz Dschawacheti, siedeln kompakt große armenische Minderheiten, in
Kwemo-Kartli im Osten – in Aserbaidshan firmiert der Landstrich unter der Bezeichnung Bortschaly –
stellen ethnische Aseri die Masse der Bevölkerung. Und die Bewohner der Schwarzmeer-Region
Adsharien sind zwar ethnische Georgier, bekennen sich aber zum Islam und pochen auf
Wiederherstellung ihrer Autonomie, die Präsident Michail Saakaschwili abschaffte, als
Regierungstruppen die Region im Frühjahr 2004 zurück unter das Dach der georgischen Verfassung
zwangen.
Ein weiteres Problem sind Kistinen und Mescheten. Erstere leben im Norden an der Grenze zu
Tschetschenien, letztere sind ethnische Türken, die Stalin 1944 deportieren ließ. Georgien will der
Rücksiedlung der ethnischen Gruppe – heute rund 300 000, inzwischen über die halbe Welt
verstreute Menschen – erst zustimmen, wenn die Konflikte mit den anderen Minderheiten geklärt
sind. Auch sollen die Mescheten zuvor ihre Namen »georgisieren«.
Um eine direkte Zergliederung zu vermeiden, soll Georgien nach Vorstellungen von Ankara und
Baku allen Minderheiten maximale innere Autonomie oder einen Sonderstatus verleihen.
Anderenfalls will Baku ethnischen Aserbaidshanern seine Staatsbürgerschaft im Schnellverfahren
verleihen. »Sicherheitsgarantien für die turksprachige Bevölkerung in Georgien« verlangte Ende
September auch ein türkischer Diplomat.
Sowohl Baku wie Ankara standen in der Kaukasus-Krise bisher in Treue zu Georgien. Beide, so
Alexej Wlassow vom Analyse-Zentrum für gesellschaftspolitische Prozesse im postsowjetischen
Raum, hätten Saakaschwili mit ihrer Demarche jedoch darauf aufmerksam machen wollen, dass ihr
Vertrauen in seine Politik erschöpft ist und sie über Hebel verfügen, um die Entwicklungen im
Südkaukasus in ihrem Sinne zu beeinflussen.
* Aus: Neues Deutschland, 17. Oktober 2008
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