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Ausbildung für Aufständische

Georgischer Premier wirft Vorgängerregierung vor, nordkaukasische Terroristen unterstützt zu haben

Von Knut Mellenthin *

Georgiens neue Regierung läßt Vorwürfe untersuchen, daß unter dem alten Regime Kämpfer für den russischen Nordkaukasus ausgerüstet wurden. Die im Oktober 2012 abgewählte nationalistische Regierung Georgiens hat möglicherweise islamistische Rebellen aus dem Nordkaukasus bewaffnet und ausgebildet. Dieser von russischer Seite schon lange erhobene Vorwurf ist seit einigen Wochen Gegenstand einer noch nicht abgeschlossenen Untersuchung. Premierminister Bidsina Iwanischwili kritisierte am Freitag in einem Fernsehinterview, daß Georgiens Territorium unter dem alten Regime als »Transitroute für nordkaukasische Kämpfer« gedient habe. Diesen Weg habe seine Regierung nun »maximal geschlossen«. Auf Nachfrage wollte er nicht ausschließen, daß »Terroristen tatsächlich eine Art von Ausbildung in Georgien erhalten haben«.

Einen entsprechenden Verdacht hatte Ombudsmann Ucha Nanuaschwili Anfang dieses Monats geäußert und vor allem die frühere Führung des Innenministeriums beschuldigt. Ausgangspunkt dieser Debatte ist ein militärischer Zusammenstoß, der Ende August 2012 in der Lopota-Schlucht stattgefunden hatte, die in der Nähe der Grenze Georgiens zur russischen Republik Dagestan liegt. Bei mehrtägigen Offensivoperationen von Spezialeinheiten waren damals drei georgische Soldaten und elf mutmaßliche islamistische Rebellen getötet worden. Unter diesen waren, was zunächst offiziell bestritten wurde, zwei Georgier. Es handelte sich nicht etwa um eingebürgerte Immigranten aus dem Nordkaukasus, sondern um Angehörige einer tschetschenischen Volksgruppe, die traditionell im Pankisi-Tal ansässig ist, das einige Dutzend Kilometer von der Lopota-Schlucht entfernt liegt. Auch mehrere andere getötete Rebellen hatten dort gelebt. Die ursprünglich 17 Mann starke bewaffnete Gruppe war offenbar nicht, wie die Regierung behauptete, aus Rußland eingedrungen, sondern hatte ihre Stützpunkte auf georgischem Boden. Die Militäropera­tion in der Lopota-Schlucht war damals vom Oppositionsbündnis Georgischer Traum, das jetzt die Regierung stellt, als Versuch des Regimes kritisiert worden, kurz vor der Parlamentswahl vom 1. Oktober »starken Staat« zu spielen.

Präsident Michail Saakaschwili, der noch bis zum Oktober dieses Jahres amtiert, verurteilte Iwanischwilis Äußerungen als »verantwortungslos« und »äußerst gefährlich«. Sie stellten eine Übernahme der russischen Diktion dar und seien »besonders unglücklich« vor dem Hintergrund des Bombenattentats in Boston. Für dieses werden zwei Brüder verantwortlich gemacht, deren Vater Tschetschene ist und 2002 als Asylbewerber in die USA eingewandert war.

Iwanischwili hatte schon vor einigen Wochen wütende Angriffe des Präsidenten auf sich gezogen, als er eine Untersuchung der »immer noch von Nebel verhüllten« Ursachen des Augustkrieges von 2008 ankündigte. Saakaschwili hatte damals die abtrünnige Republik Südossetien überfallen lassen und damit ein Eingreifen Rußlands ausgelöst. »Ich persönlich habe viele Fragen und denke, daß unsere Führung, einschließlich des Präsidenten, in dieser Situation nicht angemessen handelte«, sagte der Premierminister am 10. April.

Georgiens neue Regierung strebt eine Normalisierung der Beziehungen zu Rußland an, schließt allerdings eine Anerkennung der Republiken Südossetien und Abchasien aus, die bis zur Auflösung der Sowjetunion Teil Georgiens waren.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 30. April 2013

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