Streit um Grund und Boden
Abchasien will Besitz russischer Bürger nicht zurückgeben
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Die Weigerung Suchumis, Grundstücke und Immobilien russischer Bürger in Abchasien
zurückzugeben, zielt weniger auf Moskau als in Richtung Tbilissi. Von dort fürchtet man
umfangreiche Rückforderungen.
Vor allem mit dem Schutz russischer Bürger und ihrer Interessen hatte Moskau seinen Eintritt in den
miliärischen Konflikt mit Georgien. begründet. Tbilissi hatte im August 2008 versucht, seinen
abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien zu »disziplinieren«. Jetzt ist Russland erneut als
Schutzmacht seiner Bürger im Südkaukasus gefordert. Denn insbesondere Abchasien weigert sich,
Forderungen nach Rückgabe von Grundbesitz und Immobilien an jene Bürger Russlands zu erfüllen,
die während der Sezessionskriege Anfang der 90er Jahre aus der Republik flohen. In der Hoffnung
auf steil ansteigende Kurse für Land und Bauten waren gleich nach Ende des Fünf-Tage-Kriegs vor
zwei Jahren Moskowiter und Petersburger in hellen Scharen als Häuslebauer und Investoren in das
»Land der Mimosen« eingefallen, wie der malerische Küstenstrich am Schwarzen Meer sich selbst
gern nennt.
Dass dort laut Gesetz nur Bürger Abchasiens Grundbesitz erwerben dürfen, störte damals kaum
jemanden. Die meisten sahen ihre Rechte allein schon durch die hochgradige Abhängigkeit der
Region von Russland garantiert. Auch hatte das abchasische Wirtschaftsministerium Moskau zu
Jahresbeginn Gesetzesänderungen zugesagt, durch die Russen den Einheimischen bei Erwerb und
Besitz von Grund und Boden gleichgestellt werden sollen. Doch nichts geschah. Mehr noch:
Dutzende russische Häuslebauer sehen sich jetzt akut von Enteignung bedroht.
Ein Anwalt in Abchasiens Hauptstadt Suchumi sagte gegenüber dem in Moskau erscheinenden Blatt
»Komsomolskaja Prawda«, er betreue derzeit über 30 derartige Fälle. Insgesamt aber würden dem
russischen Konsulat in Suchumi bereits über 4000 Beschwerden dieser Art vorliegen.
Wegen Verletzung seiner Obhutspflicht wollen einige Kläger sogar das Außenamt in Moskau vor den
Kadi bringen. Dort schickte man zunächst eine Note nach Suchumi, in der Russland seine »tiefe
Besorgnis« über das Vorgehen zum Ausdruck brachte, ihr folgte der Entwurf einer »Konzeption für
die Arbeit einer gemeinsamen russisch-abchasischen Kommission zur Wiederherstellung der
Eigentumsrechte von Bürgern der Russischen Föderation«. Doch diesen Vorschlag wischte man in
Suchumi vom Tisch. Abchasiens Präsident Sergej Bagapsch, so dessen Premier Sergej Schamba,
habe das Dokument für die Bearbeitung gesperrt. Das Papier trage den Realitäten in Abchasien
ungenügend Rechnung und würde die Stabilität in der Region gefährden.
Ganz grundlos sind die Ängste nicht. Erfüllt Abchasien die Forderungen Russlands nach
Bestätigung oder Rückgabe des Eigentums seiner Bürger, schafft Suchumi damit Präzedenzrecht.
Denn was den Russen Recht ist, kann den Georgiern nur billig sein. Und damit bekäme Abchasien
ein immenses Problem. Denn um in der als unzuverlässig geltenden Autonomie Abchasien klare
ethnische Mehrheiten zu schaffen, hatte Tbilissi zu Zeiten der Sowjetunion tausende Georgier dorthin zwangsumgesiedelt. Ihnen bescheinigte die letzte sowjetische Volkszählung von 1989 eine relative Mehrheit von 48 Prozent, die Abchasen kamen dagegen nur auf knapp 17 Prozent.
Bürger- und Sezessionskrieg Anfang der 90er Jahre und anschließende Vertreibungen zwangen die meisten Georgier zur Flucht. Laut UNO-Statistik waren davon über 200 000 Menschen betroffen –
potenzielle Antragssteller für Rückgabe von Grund und Boden beziehungsweise Entschädigung.
* Aus: Neues Deutschland, 26. August 2010
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