Duma forciert Abtrennung georgischer Regionen
Parlamentsresolutionen fordern russischen Präsidenten zur Anerkennung der Unabhängigkeit auf
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Alle 130 Mitglieder des Föderationsrates, des Oberhauses im russischen Parlament, stimmten
gestern früh auf einer Sondersitzung für eine Resolution, die Präsident Dmitri Medwedjew empfiehlt,
die Unabhängigkeit von Südossetien und Abchasien anzuerkennen. Gegen Mittag unterbrach auch
die Duma ihre Sommerferien und stimmte mit überwältigenden Mehrheiten für eine ähnlich lautende
Resolution.
Noch vor Beginn der Abstimmung hatte Parlamentspräsident Boris Gryslow erklärt, er hoffe, der
Kreml-Chef werde dem Vorschlag des Parlaments folgen. Laut Verfassung haben die Beschlüsse
der Legislative nur empfehlenden Charakter, die alleinige Entscheidungsgewalt liegt beim
Präsidenten. Medwedjew hatte allerdings bereits Mitte des Monats bei einem Treffen mit den
»Präsidenten« beider Regionen erklärt, Russland werde »jede Entscheidung akzeptieren«, die die
Völker Südossetiens und Abchasiens über ihre Zukunft treffen. Beide Republiken hatten sich
unmittelbar zuvor an die UNO und die Parlamente von über 100 Staaten mit der Bitte um
Anerkennung gewandt, darunter auch an Russland. Diese Bitten, so Parlamentschef Gryslow, seien
»juristisch begründet und moralisch gerechtfertigt«.
Georgiens Staatschef Michail Saakaschwili indes hatte am Vorabend der Abstimmungen in Moskau
in einem Interview für die »New York Times« erklärt, er werde sich weiter bemühen, »Südossetien
und Abchasien unter dem Banner Georgiens zu einen«. Er hoffe dabei auf die Unterstützung der
USA. Dazu würde er zweimal täglich mit dem Präsidentschaftskandidaten der Republikaner John
McCain telefonieren. Zu Senator Joe Biden, dem demokratischen Anwärter für das Amt des
Vizepräsidenten, gäbe es ebenfalls regelmäßige Kontakte.
Diese sind indes nach Meinung hiesiger Experten eher kontraproduktiv. Russland lastet vor allem
den USA die Schuld für den Krieg um Südossetien an: Washington, so Konstantin Kossatschow, der
Vorsitzende des außenpolitischen Duma-Ausschusses, habe Saakaschwili zu der Offensive
regelrecht ermuntert. Auch habe der Westen mit der Anerkennung der einseitigen
Unabhängigkeitserklärung Kosovos einen Präzedenzfall für den Kaukasus geschaffen.
Ähnlich sehen das auch die Südosseten. Sie haben sich bereits bei zwei Plebisziten für den Austritt
aus dem georgischen Staatsverband entschieden. Am vergangenen Donnerstag forderten Tausende
auf einem Meeting in Zchinwali erneut die endgültige Trennung von Tbilissi und die
Wiedervereinigung mit der zu Russland gehörenden Nordhälfte Ossetiens.
Anders als die Schwarzmeer-Region Abchasien, die sich 1994 in die faktische Unabhängigkeit
verabschiedete, ist der Zwergstaat Südossetien allein nicht lebensfähig. Das wissen auch die
Anhänger einer Abtrennung. Während Abchasien ein Assoziierungsabkommen mit Moskau anstrebt,
drängt Südossetien daher auf Anschluss an den nördlichen Nachbarn. Russlands Verfassung lässt
allerdings nur den Beitritt ganzer Staaten, nicht einzelner Regionen zu. Voraussetzung für eine
Aufnahme in die Russische Föderation ist daher die internationale Anerkennung der Unabhängigkeit
Südossetiens – zumindest durch eine Gruppe von Staaten. Moskau rechnet dabei vor allem auf
Staaten wie Syrien, Kuba, Iran und Nordkorea.
* Aus: Neues Deutschland, 26. August 2008
Abchasien und Südossetien unterstützt
Von Knut Mellenthin **
Beide Häuser des russischen Parlaments, der Föderationsrat und die Duma, haben am Montag die staatliche Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens unterstützt. In einstimmig gefaßten Beschlüssen forderten sie Präsident Dmitri Medwedew auf, die beiden Republiken, die sich Anfang der neunziger Jahre von Georgien gelöst hatten, anzuerkennen. Die Duma richtete außerdem einen Appell an die Parlamente aller Länder, ebenfalls die beiden Republiken anzuerkennen, zumal es dafür sehr viel mehr Gründe gebe als im Falle der serbischen Provinz Kosovo.
Die Präsidenten von Südossetien und Abchasien, Eduard Kokoity und Sergej Bagapsch, nahmen an den Moskauer Parlamentssitzungen teil. »Es ist ein historischer Tag für Abchasien und Südossetien«, sagte Bagapsch und fügte hinzu, Abchasien werde nie wieder Teil Georgiens sein. Nach Bekanntwerden der Abstimmungsergebnisse fuhren durch die südossetische Hauptstadt Tschinwali Konvois jubelnder Menschen, die ihre Autos mit den Fahnen ihrer Republik und Rußlands geschmückt hatten.
Die georgische Führung hingegen droht mit einer erneuten Aggression, diesmal in der Hoffnung auf direkte Unterstützung der NATO. Der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats, Alexander Lomaia, erklärte am Montag: »Damit wird sich Rußland noch mehr von der gesamten Welt isolieren und die internationale Gemeinschaft zwingen, nach aktiveren Wegen zur Wiederherstellung der territorialen Integrität Georgiens zu suchen.«
Drohende Töne auch aus Berlin: Die Beschlüsse trügen nicht zur Beruhigung der Lage und zur Verringerung der Spannungen bei. »Daher erwarten wir, daß weder die russische Regierung noch der Präsident der Empfehlung folgen werden«, sagte der deutsche Regierungssprecher Thomas Steg. Die Führer der Europäischen Union wollen sich am 1. September treffen, um über Maßnahmen gegen Rußland zu beraten. Medwedew und Putin haben ihrerseits angekündigt, die Beziehungen zur NATO gegebenenfalls noch weiter herunterzufahren.
** Aus: junge Welt, 26. August 2008
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