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Neue Kämpfe im Gaza-Krieg

Nach Scheitern der Verhandlungen in Kairo gehen die Bemühungen um eine dauerhafte Waffenruhe weiter

Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv *

Die Waffenstillstandsverhandlungen für den Gaza-Streifen sind gescheitert. Seit Freitagmorgen werden wieder Raketen auf Israel abgefeuert und Israels Militär fliegt erneut Angriffe.

Das Scheitern war deutlich zu sehen und zu hören, noch bevor die Uhren am Freitagmorgen acht Uhr anzeigten und damit auch die dreitägigen Waffenruhe zwischen Israel, der Hamas und dem Islamischen Dschihad offiziell endete. Um ungefähr sieben Uhr Ortszeit landete auf dem Tel Aviver Flughafen eine Maschine aus Kairo mit der israelischen Verhandlungsdelegation. Nur wenige Minuten später heulten in Aschkelon zum ersten Mal seit Dienstag wieder die Sirenen: Der Krieg geht weiter.

Bis zum Freitagnachmittag wurden Dutzende Raketen auf Israel abgeschossen; Israels Luftwaffe wiederum flog erneut Angriffe auf Ziele im Gaza-Streifen. Dort machten sich viele Menschen, die erst vor wenigen Tagen in ihre Häuser zurückgekehrt waren, wieder auf den Weg, um Schutz bei den Vereinten Nationen zu suchen. Denn schon am Donnerstag hatte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu Härte angekündigt, sollte der Raketenbeschuss erneut beginnen. Am Freitagmorgen befahl er dem Militär dann auch offiziell, hart zurückzuschlagen. In Gaza wurde bis zum Nachmittag mindestens ein Mensch getötet; in Israel gab es zwölf Verletzte.

Doch die internationalen Bemühungen um eine dauerhafte Waffenruhe gehen weiter. Bislang beharren beide Seiten unnachgiebig auf ihren Positionen. Die Palästinenser fordern vor einem längerfristigen Waffenstillstand vor allem ein Ende der Blockade und dann u.a. den Bau eines Seehafens, die Wiedereröffnung des Flughafens und eine internationale Geberkonferenz für den Wiederaufbau. Israels Regierung lehnt diese Hauptforderungen ab und will erst einen Waffenstillstand und dann Verhandlungen mit offenem Ende. Aber im Hintergrund bewegen sich die Positionen, zeigen sich beide Seiten offen für kreative Lösungen.

So forderte Israels Außenminister Avigdor Lieberman, die Demilitarisierung Gazas solle durch deutsche Inspektoren sichergestellt werden. Nur wurde dem weder in Israel noch in Palästina besonders viel Bedeutung beigemessen, weil unklar ist, wie das funktionieren soll. Denn es dürfte schwer werden, Experten mit ausreichend Ortskenntnis zu finden. br>
Andererseits deutet auch die große Zahl deutscher Diplomaten dieser Tage in Kairo darauf hin, dass der Bundesregierung eine größere Rolle in den Verhandlungen zukommt. Am Freitagmittag legte ein hochrangiger Berliner Diplomat öffentlich den Vorschlag auf den Tisch, einen Seekorridor zwischen Zypern und Gaza für Personen und Güter zu eröffnen. Die Grenzabfertigung würde dann auf Zypern stattfinden – und die Kontrolleure könnten nicht bedroht und eingeschüchtert werden. Ein ähnliches Konzept wurde auch für den Grenzübergang Rafah vorgeschlagen. Hier würde die Kontrolle auf ägyptischem Gebiet stattfinden. Das Problem: Beide Seiten stimmen zu, aber Ägyptens Regierung lehnt das ab.

* Aus: neues deutschland, Samstag 9. August 2014


Schießen statt reden

Tel Aviv bricht Verhandlungen mit Palästinensern ab und greift wieder Gazastreifen an. Zehnjähriger Junge getötet. Raketen auf Israel

Von Karin Leukefeld **


Ein zehnjähriger Junge war das erste Opfer, das die wiederaufgenommenen israelischen Angriffe auf den Gazastreifen gefordert haben. Ibrahim Al-Dawawisa wurde am Freitag morgen in einer Moschee in dem Viertel Scheich Al-Radwan in Gaza-Stadt getötet. Weitere Luftangriffe flog die israelische Armee auf Rafah und Dschabalija. Die israelische Marine beschoß den Norden des Gazastreifens. Von dort wurden ebenfalls wieder Raketen auf den Süden Israels abgeschossen, für die der »Islamische Dschihad« und andere palästinensische Organisationen die Verantwortung übernahmen. Die meisten Raketen landeten auf freiem Feld, andere wurden vom israelischen Raketenabwehrsystem »Eiserne Kuppel« abgefangen.

Zuvor waren Gespräche zwischen Israel und den Palästinensern in Kairo über eine Verlängerung der Feuerpause ohne Ergebnis geblieben. Die Palästinenser hatten ein Ende der Belagerung des Gazastreifens gefordert, der seit acht Jahren von Israel und auch von Ägypten hermetisch abgeriegelt wird. Zumindest der Grenzübergang Rafah nach Ägypten und ein Seehafen sollten geöffnet werden. Zu solchen Zugeständnissen zeigte sich Tel Aviv jedoch nicht bereit. Am Freitag forderte das ägyptische Außenministerium beide Seiten auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und eine erneute Waffenruhe zu vereinbaren: »Bei der großen Mehrheit der für die Palästinenser wichtigen Streitfragen wurde eine Einigung erzielt, und nur ganz wenige Punkte blieben ohne Lösung«, zitierte die Nachrichtenagentur dpa die entsprechende Stellungnahme. Die israelische Delegation hatte die Gespräche zuvor verlassen, weil man »unter Beschuß« nicht verhandele. Die palästinensische Delegation war dagegen trotz des israelischen Beschusses weiter gesprächsbereit.

Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Peter Maurer, zeigte sich nach einem Besuch im Gazastreifen »erschüttert und schockiert« über das Ausmaß der Zerstörung und der Gewalt gegen die Zivilbevölkerung. Er kündigte eine Untersuchung der Umstände an, unter denen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen getötet worden waren. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wiederholte bei einer Begegnung mit Maurer, daß »jeder getötete Zivilist eine Tragödie« sei. Verantwortlich dafür sei allerdings die Hamas, die »Zivilisten angreift und sich hinter ihnen versteckt«. Der Regierungschef bezeichnete das israelische Vorgehen als »gerechtfertigt und verhältnismäßig«.

Die Regierungen in London, Paris und Berlin kündigten derweil eine Initiative zum Wiederaufbau des Gazastreifens an. Gleichzeitig wollen sie sich für die Sicherheit Israels engagieren. Vorgesehen ist demnach, die politische Macht im Gazastreifen der Hamas zu entziehen und der Autonomiebehörde zu übergeben. Eine EU-Überwachung des Grenzüberganges Rafah soll verhindern, daß Waffen in den Gazastreifen gelangen. US-Präsident Barack Obama erklärte, daß man »langfristig akzeptieren« müsse, »daß Gaza nicht bestehen kann, wenn es auf Dauer von der Welt ausgesperrt bleibt«.

Der Krieg gegen den Gazastreifen hat bisher 1890 Palästinensern und 66 Israelis das Leben gekostet. Nach UN-Angaben waren auf palästinensischer Seite 1354 und auf israelischer drei der Getöteten Zivilisten. 429 Kinder starben.

** Aus: junge Welt, Samstag 9. August 2014


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