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Schwerer Anlauf für Wiederaufbau

Geberkonferenz soll Geld für Gaza einsammeln, aber die Umstände sind ungünstig

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Drei Wochen nach Ende des Gaza-Kriegs haben sich Israelis und Palästinenser laut UN-Angaben auf den Import von Baustoffen in das Küstengebiet geeinigt. Damit könne der Wiederaufbau beginnen.

Stein für Stein wühlen sie sich durch den Schutt, den Dreck, zu Hunderten; Frauen, Kinder, Männer. Einst war Dschabilijah im Norden des Gazastreifen ein Flüchtlingslager aus Zelten, das zur Stadt wurde, mit festen Häusern aus Beton. Nun sind Teile der Ortschaft nur noch eine Landschaft aus Müll und Schutt. Und die Menschen versuchen zu retten, was zu retten ist.

Doch es mangelt an allem, an Baummaterial, aber noch viel mehr an Baumaschinen. Und ebenso an Ansprechpartnern. »Es ist nahezu unmöglich, irgend jemanden zu finden, der etwas entscheiden kann«, sagt ein Mitarbeiter von Shelter Cluster, einem Koordinierungsmechanismus von Rotem Kreuz und Vereinten Nationen, der von Katastrophen und bewaffneten Konflikten Betroffenen mit Hilfe von weltweit bis zu 31 Organisationen mit Wohnraum versorgen soll. Der Gazastreifen, heißt es bei Shelter Cluster, sei das wohl schwierigste Terrain, auf dem man sich bisher bewegt habe.

Denn nicht nur das Ausmaß der Zerstörungen ist massiv: Mindestens 17 000 Gebäude, heißt es in einem Bericht der Organisation, seien durch Luftangriffe zerstört worden; 5000 weitere Häuser sind bereits seit dem vorangegangenen Krieg Ende 2012 faktisch unbewohnbar. Darüber hinaus ist ein Großteil der Schäden des Krieges von 2008/2009 nie repariert worden; mindestens 100 000 Menschen sind nun insgesamt obdachlos. Zwar hatte damals eine Geberkonferenz umgerechnet insgesamt 3,4 Milliarden Euro für den Wiederaufbau verzeichnet. Doch ein erheblicher Teil des Geldes wurde nie ausgezahlt, weil die Zusagen an die Verwendung durch die Regierung in Ramallah geknüpft waren; in Gaza regierte aber die mit Ramallah verfeindete Hamas. Zudem wurden damals auch nach Kriegsende die Grenzen nur zeitweise geöffnet.

Die größte Schwierigkeit aber ist – man kann nicht, wie etwa nach dem Tsunami 2004, Flugzeuge mit Hilfsgütern auf den Weg schicken, und auf dankbare Regierungen hoffen. Auch Schutz durch ausländische Truppen wie in Afrika ist hier nicht in Sicht. Alles muss mühsam ausgehandelt werden mit Gesprächspartnern, die sich oft untereinander nicht einig sind.

So haben sich jetzt Israel, die palästinensische Regierung in Ramallah und die Vereinten Nationen auf die Einfuhr von Baumaterial geeinigt; schon in den kommenden Tagen, so ein Sprecher der UNO in New York, sollten die ersten Lieferungen eintreffen. Doch wie das genau umgesetzt werden soll, ist noch unklar. Denn im Raum steht nicht nur die Behauptung Israels, dass Materiallieferungen für den Bau von Raketen und Tunneln eingesetzt werden könnten – schon jetzt hat das UNO-Flüchtlingshilfswerk für Palästina Mühe, die Hilfsgüter, die seit Kriegsende in großen Mengen in den Gazastreifen eingeführt werden, vor dem Zugriff von Kriegsgewinnlern zu schützen. Immer wieder kommen ganze Lastwagenladungen abhanden.

Einen Mechanismus auf der palästinensischen Seite, der dies verhindern könnte, gibt es ebenso wenig wie Ansprechpartner, mit denen man die Hilfsbemühungen koordinieren könnte. Die Hamas und die Fatah, die die Regierung in Ramallah dominiert, streiten über die Vorherrschaft in Gaza; die im Juni vereinbarte Einheitsregierung existiert in diesen Tagen de facto nur noch auf dem Papier.

So geht die internationale Gemeinschaft mit stark gedämpften Hoffnungen auf die für den 12. Ok- tober in Kairo geplante Geberkonferenz zu. Für Verwunderung sorgte die Nachricht, dass die Hamas den 40 000 Mitarbeitern ihrer einstigen Administration dieser Tage umgerechnet zwischen 210 und 980 Euro ausgezahlt habe. Denn die die Geldflüsse in den Gazastreifen werden akribisch kontrolliert und Hamas hatte bereits seit Ende 2013 keine Zahlungen mehr geleistet.

Umgerechnet gut eine halbe Milliarde Euro haben die Regierungen der Vereinigten Staaten und Europas bisher für die Nothilfe zugesagt; die palästinensische Regierung schätzt den gesamten Finanzbedarf allerdings auf mindestens 5,4 Milliarden Euro. Jen Psaki, die Sprecherin des US-Außenministeriums, warnte denn auch vor der Annahme, dass die Bereitstellung ein Selbstläufer sei: »Wir brauchen Antworten und wir brauchen Mechanismen, damit wir sicher sein können, dass das Geld bei den Menschen in Palästina ankommt.«

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 18. September 2014


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