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Altbekanntes Muster

Gastkommentar. Gewalteskalation im Gazastreifen

Von Moshe Zuckermann *

Jeder neue kriegerische Gewaltausbruch zwischen Israelis und Palästinensern hat sein Spezifisches, und doch reproduziert sich in ihm stets ein bereits bekanntes Muster von Absehbarem. Nicht, daß man im einzelnen konkret wüßte, worauf man sich einläßt, wenn man sich den Zwängen des Musters unterwirft, aber niemand darf wirklich überrascht sein, daß die Gewalt sehr bald eskaliert; daß man meint, mit der Eskalation eine »Entscheidung« zu erzwingen; daß man dann zur Erkenntnis gelangt, daß nichts erzwungen werden konnte, das Pathos von Ideologie und Propaganda dafür aber eine umso deutlichere Steigerung erfahren hat; daß man also wieder viel Tod, Zerstörung und Leid verantwortet hat, ohne auch die geringste Grundlage dafür gelegt zu haben, daß es nicht früher oder später zur nächsten Runde der Gewaltorgie kommt.

Die kindische Frage, wer (diesmal) »angefangen« habe, erweist sich dabei immer wieder als irrelevant, denn ihre Beantwortung hängt davon ab, wo man den Anfang ansetzt. Wer die Ursache für die je ausgebrochene Gewalt im Terror der Hamas sieht, wird sich fragen lassen müssen, wie es zu dieser Terroraktivität gekommen ist; ja, wie es überhaupt dazu kam, daß die Hamas die Herrschaft im Gazastreifen erlangte, vor allem aber, welchen gravierenden Anteil die israelische Politik am Zustandekommen der gegenwärtigen Konstellation im Gazastreifen hatte.

Umso dringlicher erscheint es beim gegenwärtigen Gewaltausbruch, das Augenmerk auf eine Äußerung des israelischen Friedensaktivisten Gershon Baskin zu richten. In der Tageszeitung Haaretz legte er dar, daß die gezielte Liquidierung des militärischen Hamas-Führers Ahmad Al-Dschabari kurz nach dem Erhalt eines Entwurfs zu einem vom ägyptischen Geheimdienst mitgeförderten dauerhaften Waffenstillstandsabkommen zwischen Hamas und Israel stattfand. Israels offizielle Instanzen hätten davon gewußt und dennoch der Liquidierungsaktion stattgegeben. Al-Dschabari, so Baskin, sei »kein Engel und kein Friedensapostel« gewesen. Aber gerade er habe bei den Unterhandlungen zur Befreiung Gilad Shalits und zum in pragmatischem Zweckdenken gründenden Waffenstillstandsabkommen eine zentrale Rolle gespielt.

Und darin liegt der Wahrheitskern der diesmaligen, sich zugleich als Grundmuster reproduzierenden Aggression: Israel will die Ruhe an den Grenzen, nicht aber die für die Herstellung einer dauerhaften Ruhe unabdingbaren Erfordernisse erfüllen. Es will die Okkupation betreiben, ohne dafür je belangt zu werden. Es will den von der Hamas beherrschten Gazastreifen strangulieren und zugleich die ruhige Hinnahme der Strangulation fordern dürfen. Es will schlicht und ergreifend den Frieden nicht. So hat es sich in den letzten Jahrzehnten immer wieder verhalten, wenn es historisch darauf ankam. So gebärdet es sich dezidierter denn je unter seiner gegenwärtigen Regierung. Und so, steht es zu befürchten, wird es bei den im Januar anstehenden Wahlen wieder handeln. Der gegenwärtige Gewaltausbruch wird das Seine dazu beitragen, dies verfestigend zu garantieren.

* Prof. Dr. Moshe Zuckermann lehrt Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv

Aus: junge Welt, Montag, 19. November 2012 (Gastkommentar)

Lesen Sie auch:

Keinen Krieg gegen Gaza - Die Eskalation der Gewalt stoppen
Presseerklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag / IPPNW-Erklärung (19. November 2012)




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