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Gift unterm Bombenteppich

Israel setzte in seinem Krieg gegen Gaza offenbar nicht-konventionelle Waffen mit toxischer Wirkung ein

Von Fareed Mahdy, IPS *

Die israelischen Angriffe auf den Gazastreifen in den Jahren 2006 und 2009 haben verheerende Folgen für die Gesundheit der die Bombardements überlebenden Palästinenser. Wie aus einer wissenschaftlichen Studie hervorgeht, wurden in den Böden hohe Konzentrationen an toxischen Metallen festgestellt, die bei Neugeborenen genetische Schäden und Mißbildungen hervorrufen können. Die Experten des »New Weapons Research Committee« (NWRC) mit Sitz in Italien erstellen Gutachten über die Risiken, die mit dem Einsatz neuer nichtkonventioneller Waffen verbunden sind. Ihr Vergleich von Bodenproben aus vier Bombenkratern ergab eine erheblich höhere Konzentration giftiger Metalle wie Phosphor, Quecksilber, Molybdän, Kadmium und Kobalt. Die Metalle werden auch für Tumore und Fruchtbarkeitsprobleme verantwortlich gemacht.

Zwei Krater waren 2006 bei der israelischen Bombardierung der palästinensischen Stadt Beit Hanoun und des Palästinenserlagers Jabalia im Norden des Gazastreifens entstanden. Die beiden anderen befinden sich in Tufah, einem Stadtteil von Gaza-Stadt. Sie sind das Ergebnis des israelischen Krieges Ende 2008/Anfang 2009, der 1400 Menschen das Leben kostete. Weitere 5000 wurden verletzt.

In Anbetracht der schwierigen Lebensbedingungen in den Flüchtlingslagern sei deshalb eine höhere Anfälligkeit für die über die Haut, die Atemwege und die Nahrung erfolgende Aufnahme der toxischen Substanzen zu erwarten, warnte NWRC. Nach Ansicht der Genforscherin der Universität von Genua Paola Manduca müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die Gefahr der Vergiftung von Menschen, Tieren und Pflanzen zu begrenzen. Auch seien Strategien erforderlich, um den verseuchten Menschen zu helfen, sagte sie.

In einer vorangegangenen NWRC-Studie, die am 9. Januar 2009 inmitten der dreiwöchigen Bombardierung des Gazastreifens durch Israel veröffentlicht wurde, hieß es, Israel teste offenbar neue nicht-konventionelle Waffen an der palästinensischen Zivilbevölkerung im Gazastreifen. »Es geschieht genau das, was wir bereits 2006 im Libanon-Krieg beobachtet haben«, sagte Manduca. Auch dort habe Israel weißen Phosphor, Uran- und DIME-Munition (Sprengstoff mit dichtem, reaktionsträgem Metall) sowie thermobarische und Streubomben eingesetzt. Weißer Phosphor ist hochentzündlich und brennt, sobald er mit Sauerstoff in Berührung kommt. Der Kontakt verursacht verheerende Verbrennungen und führt in hohen Dosen zum Tod.

Manduca berichtet zudem von medizinischen Berichten und Zeugenaussagen, die nahelegen, daß die israelische Armee im Gazastreifen 2009 weitere neue Waffenarten testete, die 2006 noch nicht im Einsatz waren. Dies wiederum mache weitere technische und wissenschaftliche Forschungen erforderlich.

In den vergangenen zwei Jahren hatte die NWRC zusammen mit libanesischen und palästinensischen Ärzten Untersuchungen auf der Grundlage histologischer, elektronenmikroskopischer und chemischer Analysen durchgeführt. Sie kamen zu dem Schluß, daß im Libanon 2006 und im Gazastreifen 2009 DIME und in hohen Dosen tödliche Waffen wie Phosphorbomben zum Einsatz kamen.

NWRC hat 2007 einen entsprechenden Bericht an den UN-Sicherheitsrat geschickt. 2008 wurde der Report an das Internationale Bürgertribunal für Kriegsverbrechen im Libanon sowie an den italienischen Parlamentsausschuß für abgereichertes Uran weitergeleitet. NWRC hat ferner mit internationalen Wissenschaftlern kooperiert, die den Einsatz von Uranmunition im Libanon dokumentierten.

Im März legte »Human Rights Watch« (HRW) seinen Bericht »Rain of Fire« vor, in dem die Organisation Israel beschuldigte, wiederholt Phosphorbomben über dicht besiedelte Wohnsiedlungen im Gazastreifen abgeworfen und somit gegen internationales Kriegsrecht verstoßen zu haben. Die von HRW im Gazastreifen gefundenen Phosphorgranaten waren 1989 vom US-Hersteller »Thiokol Areospace« in einer Munitionsfabrik der Armee im US-Bundesstaat Louisiana hergestellt worden.

Die hohe Zahl ziviler Opfer lastete die israelische Armee der Hamas an. Diese hätten Zivilisten als menschliche Schutzschilde mißbraucht. In den von HRW dokumentierten Fällen konnte diese Behauptung nicht belegt werden. Auch das Argument, daß man sich gegen Angriffe der Palästinenser zur Wehr setzen mußte, läßt HRW nicht gelten. Es rechtfertige nicht den Einsatz von weißem Phosphor in Wohngebieten.

* Aus: junge Welt, 31. Dezember 2009


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