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Solidarisch mit Israel

Über 2000 demonstrierten in Berlin für die Legitimität des Gaza-Krieges

Von Stephan Stracke *

Auf Einladung der jüdischen Gemeinde zu Berlin versammelten sich am Sonntag über 2000 Menschen hinter der Gedächtniskirche in Berlin. Das Motto der Demonstration lautete: »Solidarität mit Israel – Stoppt den Terror der Hamas«. Die Pro-Israel-Demonstranten waren zusammengekommen, um gegen den Raketenbeschuss durch die islamistische Hamas zu demonstrieren und um der israelischen Regierung und der israelischen Bevölkerung in Kriegszeiten öffentlich den Rücken zu stärken.

Als Sprecher auf der Kundgebung traten Vertreter aller im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien auf, unter ihnen Walter Momper (SPD) Frank Henkel (CDU) und Franziska Eichstädt-Bohlig (Bündnis 90/Die Grünen). Überaschungsgast für viele der proisraelischen Demonstranten, aber auch für manches Mitglied der LINKEN, war sicherlich der Berliner Linkspartei-Chef Klaus Lederer. In einem Meer von Israel-Fahnen begann die Kundgebung mit einer Schweigeminute für die Opfer beider Seiten. In einem einleitenden Beitrag bedauerte Lala Süsskind, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, ausdrücklich alle Opfer des aktuellen Konfliktes. Zu fragen sei aber, »wo all jene, die jetzt gegen Krieg demonstrieren, in den vergangenen acht Jahren gewesen sind, als Israel täglich aus dem Gazastreifen beschossen wurde«. Nach Ansicht von Süsskind trägt die Hamas die Verantwortung für die schrecklichen Verluste unter den palästinensischen Zivilisten. Bei dieser eindeutigen Parteinahme und einseitigen Interpretation der Ereignisse, die sich auch im Aufruf zur Kundgebung niedergeschlagen hatte, blieb nur wenig Raum für nachdenkliche Töne. Wann auch immer die Redner auf israelkritische Themen zu sprechen kamen, wurden sie von den Zuhörern ausgebuht und mit Schmährufen bedacht.

Am deutlichsten durfte noch Walter Momper, der Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses, reden. Als der ausgewiesene Freund Israels den Gaza-Krieg vorsichtig als nicht »zielführend« für eine friedliche Existenz Israels bezeichnete und den Siedlungsbau und die Absperrungsmauer kritisierte, reagierte die Zuhörerschaft zunehmend unfreundlich.

Als die Fraktionsvorsitzende der Grünen Franziska Eichstädt-Bohlig anmerkte, dass auch die Palästinenser ein Lebens- und Existenzrecht haben, erntete sie wütende Pfiffe und Beleidigungen. Trotz lautstarker Proteste im Publikum betonte sie: »Israel darf sich gegen die Raketenangriffe zur Wehr setzen, darf dabei aber nicht das Augenmaß verlieren.« Der Berliner Linkspartei-Chef Lederer, der für seinen Auftritt bei dieser Pro-Israel-Kundgebung schon im Vorfeld scharf von Teilen der Parteibasis kritisiert wurde, verzichtete auf allzu deutliche Kritik an Israels Militärpolitik. Lederer betonte, dass es ihm nicht leicht gefallen sei, das Angebot zur Rede anzunehmen, weil er den Aufruf zur Kundgebung nicht teile. Der Aufruf fordere eine Solidarität ein, die er so nicht geben könne. »Weil ich als Sozialist eine grundsätzliche Schwierigkeit habe, mich pauschal mit Institutionen und Staaten solidarisch zu erklären. Meine Solidarität gehört Menschen. Menschen in Bedrohung und Menschen in Not.« Wenn er hier dennoch spreche, dann wegen der unerträglichen antisemitischen Vorfälle der vergangenen Wochen. »Die Tatsache, dass Demonstrationen stattgefunden haben, auf denen ›Tod, Tod Israel!‹ skandiert wurde,« so Lederer, »finde ich unerträglich. Und ich bin der Ansicht, dass der brutale und bittere Konflikt im Gazastreifen und im Süden Israels keinerlei Anlass sein darf, um darauf hier in unserem Land ein antisemitisches Süppchen zu kochen.« Eindeutig war auch Lederers Position zu den zivilen Opfern: »Das Opfern Unschuldiger kann nicht gerechtfertigt werden, weder politisch noch moralisch. Egal, ob sie durch die tödlichen Raketen der Hamas getroffen werden, oder ob sie durch israelische Luftangriffe zu Leid kommen.« Lederers Rede wurde freundlich beklatscht. Für eine kurze Zeit verschwand die Unversöhnlichkeit gegen die Kritiker der israelischen Militärpolitik. Die nachdenklichen Anmerkungen von Lederer passten wohl nicht so recht in das Feindbild der Demonstranten.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Januar 2009

Militäreinsätze nicht das Allheilmittel

Aus der Rede von Klaus Lederer, Landesvorsitzender von Die Linke, Berlin, auf der Solidaritätskundgebung für Israel am Sonntag auf dem Breitscheidplatz:

(…) Deshalb bin ich hier: Weil ich auch in einer solch schwierigen Situation jedem Antisemitismus entgegentreten und dies auch hier bekunden will. Liebe Freundinnen und Freunde, Sie sollen sich, was das anbetrifft, meiner und unserer Haltung absolut sicher sein. Nichts, aber auch gar nichts, rechtfertigt den Abschuß von Mörsergranaten und Raketen auf Wohngebiete der Zivilbevölkerung, auf Aschdod, Beer-Sheva und Aschkelon. Das ist für mich der Ausgangspunkt der Diskussion, die in unserem Land angesichts solcher Demonstrationen zu führen ist. Und deshalb sage ich auch: Diese Angriffe müssen aufhören. (...)

Liebe Freundinnen und Freunde, meine Gedanken sind dieser Tage oft bei meinen Freunden in Israel, die seit Jahren mit der Angst leben müssen, von Raketeneinschlägen getroffen zu werden, genauso bei den Zivilisten im Gazastreifen, bei den Frauen und Kindern, die die Leidtragenden des augenblicklichen Krieges sind. (…) Frauen, Greise, Kranke, Kinder – all diejenigen, die dieses Leid ertragen müssen, haben mein Mitgefühl und meine Solidarität. Das Opfern Unschuldiger kann nicht gerechtfertigt werden, weder politisch noch moralisch. Egal, ob sie durch die tödlichen Raketen der Hamas getroffen werden, oder ob sie durch Luftangriffe zu Leid kommen, wenn UN-Schulen im Gazastreifen ins Visier kommen. Egal, wie hochentwickelt die Waffensysteme sind, die zum Einsatz kommen, egal, wer den Krieg führt, das Desaster trifft zuallererst die Zivilbevölkerung. Nicht zuletzt deshalb, weil die Geiselnahme der zivilen Bevölkerung zum Wesen des modernen Krieges gehört, und zwar gerade in der asymmetrischen Konfliktstrategie, wie sie die Hamas strategisch verfolgt.

(…) Was ist, wenn die Raketen, die fundamentalistische Fanatiker in den Gazastreifen schaffen, einmal 50 oder 100 Kilometer Reichweite haben und waffentechnologisch zielgenauer sind als die Kassam-Raketen und Mörsergranaten von heute? Wie soll so eine Lösung aussehen? (…) Ich teile die Einschätzung des israelischen Sicherheitschefs Amos Gilad, daß es bis zum heutigen Tag »keine optimale militärische Lösung« für den Gazastreifen gäbe und Militäreinsätze nicht das Allheilmittel sind, um die Probleme des Nahen Ostens zu beseitigen. (…) Bei jedem Militäreinsatz stellt sich erneut die Frage: Was kommt danach? Ich habe große Sorge, daß sich das Trauma des Libanon-Krieges wiederholt. Ich habe Angst, daß die Zustände im Gazastreifen die Menschen in Scharen in die Arme derjenigen treiben, die Israel für alle Probleme im Nahen Osten verantwortlich machen und ihren Heiligen Krieg bis zum Ende weiterführen wollen. (...)

** Aus: junge Welt, 13. Januar 2009




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