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Marsch nach Gaza verhindert

Ägyptens Polizei blockierte Solidaritätsaktionen von Jugendgruppen

Von Juliane Schumacher, Kairo *

Am Ende sind sie doch nicht nach Gaza gefahren. Dafür haben sie die Kämpfe mit der Armee, die sie dort erwartet haben, in ihrem eigenen Land geführt. Tausende Ägypter, die anlässlich des Nakba-Tages nach Gaza fahren wollten und von der ägyptischen Armee daran gehindert wurden, haben sich am Sonntag (15. Mai) schwere Straßenschlachten mit Armee und Polizei geliefert, die daraufhin in die Menge schossen. Hunderte wurden verletzt, bis zu drei Protestierende starben.

Bereits vor einigen Wochen hatten palästinensische Gruppen im Internet dazu aufgerufen, am 15. Mai aus den Nachbarländern nach Palästina zu marschieren. In Ägypten bereiteten sich Tausende junger Menschen darauf vor, am Samstag nach Gaza zu reisen, um die Palästinenser bei ihrem Aufstand, der »dritten Intifada« zu unterstützen. Am Freitag fand auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo eine Großdemonstration statt – diese sollte nach den Zusammenstößen zwischen radikalen Muslimen und Christen die Woche zuvor eigentlich als »Marsch der Einheit« den Zusammenhalt zwischen den Religionen demonstrieren. Davon war jedoch wenig zu sehen: Statt dessen schallten aus einem Meer palästinensischer Fahnen Rufe gegen Israel und für ein freies Palästina. Es war seit Beginn der Revolution im Januar das erste Mal, dass ein außenpolitisches Thema eine größere Rolle bei den Demonstrationen spielte. Stark vertreten waren die radikal-islamischen Muslimbrüder und andere konservative religiöse Gruppen.

Die Busse, die Samstag morgen aus Kairo zum Grenzpunkt Rafah bringen sollten, fuhren nicht ab. Die ägyptische Armee sperrte die Grenze und errichtete zahlreiche Checkpoints, Aktivisten, die schon am Vortag nach Rafah gereist waren, kehrten am Samstag bereits wieder zurück. Stattdessen riefen sie nun zu Protesten vor der israelischen Botschaft in Kairo auf. Dort versammelten sich am Samstag mehrere hundert zumeist Jugendliche Demontrant_innen. Sie riefen nach einem freien Palästina und skandierten gegen das Militär, das sie nicht nach Gaza hatte einreisen lassen und die Botschaft bewachte. Selbstgemalte israelische Flaggen wurden verbrannt, die Situation blieb am Samstag friedlich.

Nicht so am Sonntag (15. Mai). In Palästina, aber auch den umliegenden Ländern wurde es ein blutiger Nakba-Tag, auch in Kairo: Dort versammelten sich erneut Tausende vor der israelischen Botschaft, sie skandierten Parolen gegen das Militär und forderten eine Aufkündigung des Friedensvertrages mit Israel. Am Abend eskalierte die Situation: Sicherheitskräfte gaben an, Protestierende hätten versucht, in das Gebäude einzudringen, um die Flagge herunterzuholen, aus Aktivistenkreisen hieß es, man habe versucht, drei Protestierende zu befreien, die von der Polizei festgehalten wurden.

Polizei und Militärpolizei feuerten massiv Gummigeschosse und Tränengas. Als die Protestierenden mit Steinen antworteten, begannen sie, scharf in die Menge zu schießen. Mindestens 120 Menschen werden verletzt. Augenzeugen berichten von bis zu drei Toten, dies ist offiziell nicht bestätigt worden. Der Aktivist Atef Yehya liegt nach einem Kopfschuss in kritischem Zustand im Krankenhaus. Das Militär nahm während der Proteste und in der Nacht mindestens 60, vermutlich weitaus mehr Protestierende fest, darunter die bekannten Blogger Tarek Shalaby und Mosaad Elshamy.

Meldungen aus dem Internet zufolge sollen die Festgenommenen in Militärgefängnisse gebracht worden sein. Die Jugendbewegungen rufen für die nächsten Tage zu Besetzungen und Protesten gegen das Vorgehen von Militär und Polizei auf.

Aus: Neues Deutschland, 17. Mai 2011


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