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Kalter Krieg zwischen Israel und Hamas

Die Unversöhnlichen üben derzeit neue Formeln im Umgang miteinander

Von Oliver Eberhardt *

Die vor zwei Wochen geschlossene Waffenruhe in und um den Gazastreifen hat weitgehend gehalten - Ausdruck eines veränderten Umgangs zwischen Israels Regierung und der Hamas. Denn die militärischen und politischen Machtverhältnisse in Gaza werden zunehmend komplexer.

Krise darf man nicht sagen, auf keinen Fall. »Es gibt keine Krise, das ganze Gerede ist alles nur Propaganda«, brüllt der Mann fast ins Telefon. So gut wie alle Sprecher der Hamas nennt er nur einen Vornamen, Mustafa, wahrscheinlich aus Sorge, morgen oder übermorgen oder nächste Woche angegriffen zu werden - von Israel, vom Islamischen Dschihad, es gibt viele, die auf jedes Wort achten, das aus dem Munde eines Funktionärs der Organisation Islamischer Widerstandskampf (Hamas) kommt, die seit Juli 2007 im Gaza-Streifen regiert.

Die Krise, die es nicht geben darf, sieht so aus: Im Gaza-Streifen, dessen Infrastruktur nahezu vollständig von Öl und Benzin abhängt, werden Öl und Benzin knapp. Die Leute erzählen sich, dass im Krankenhaus Babys sterben, weil die Generatoren ausfallen, und dass die Hamas Benzin für ihre eigenen Leute horte. Nachprüfbar ist das nicht. Ägyptens Außenministerium sagt, die Lieferungen gingen in jenem Umfang weiter, der Anfang Februar vereinbart wurde. Das Schifa-Spital in Gaza verlautbart, die Behandlungsmöglichkeiten hätten sich nicht geändert. Das Energieunternehmen erklärt die täglichen Stromausfälle damit, dass das von Israel bei einer seiner vielen Militäroperationen der Vergangenheit zerbombte Kraftwerk aus Mangel an Ersatzteilen noch nicht vollständig repariert werden konnte.

Wer immer auch die Wahrheit sagt: Zu Grunde liegen dürfte den widersprüchlichen Aussagen wohl ein Machtkampf zwischen der Hamas und einer Reihe kleiner und mittlerer Kampfgruppen. Sie sind verärgert darüber, dass sich die Organisation nicht am Raketenbeschuss Israels vor fast drei Wochen beteiligt hat. Mehr noch, sie hat diesen Gruppierungen, die der Hamas ohnehin aus ideologischen Gründen kritisch gegenüberstehen, mit Hilfe Ägyptens dann auch noch den Waffenstillstand aufgezwungen.

Doch am allermeisten regt die Angehörigen dieser Milizen auf, dass die Hamas in Gaza gegenüber Israel von einem Kurs der ständigen Konfrontation in eine Art »Kalten Krieges« umgeschwenkt ist. Die Hamas verrate die Ideale der Palästinenser, heißt es auf Flugblättern des Islamischen Dschihads. Und das »Volkswiderstandskomitee« rief am Wochenende offen zum Sturz der Hamas-Regierung auf: Die Organisation sei zur Marionette Israels geworden. Tatsächlich aber lautet die neue Umgangsformel zwischen Israel und der Hamas: »Leben und leben lassen«. Oder, um es mit den Worten der israelischen Regierung zu sagen: »Ihr schießt nicht auf uns, wir schießen nicht auf euch.«

Beide Seiten seien in ihrem Herangehen an den Konflikt realistischer geworden, berichtet ein westlicher Diplomat. Israels Regierung verlange mittlerweile weder von der Fatah, die im Westjordanland regiert, noch von der Hamas die absolute Kontrolle über jede der vielen kleinen Milizen in den palästinensischen Gebieten. »Das war immer ein riesiges Problem, weil es totale Kontrolle bei derart komplizierten Verhältnissen einfach nicht geben kann - was dann aber trotzdem zu Blutvergießen führte«, sagt der Diplomat.

Die Hamas gibt sich in der Tat sehr viel moderater, als dies noch vor einigen Monaten der Fall war: Die antiisraelische Rhetorik ist im Gespräch mit Funktionären der Organisation weniger präsent. Stattdessen wird von öffentlicher Sicherheit, Infrastrukturprojekten und sozialen Problemen gesprochen. Hinter vorgehaltener Hand wird auch die Hoffnung geäußert, dass Pragmatismus im Umgang mit Israel zu einer Lockerung der Blockade des Gaza-Streifens führen wird: »Wir werden Israel niemals anerkennen, aber wir müssen leider momentan damit leben.«

* Aus: neues deutschland, 29. März 2012


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