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Streit um Spendenverein

Die islamische "Internationale Humanitäre Hilfsorganisation" wehrt sich gegen das Verbot in Deutschland und übt scharfe Kritik an CDU-Innenminister de Maizière

Von Frank Brunner *

Mustafa Yoldas ist sichtlich verbittert. »Meine Familie und ich sind es eigentlich nicht gewohnt, in Deutschland wie Al-Qaida-Terroristen behandelt zu werden«, sagt der Arzt aus Hamburg am (14. Juli) in einem Berliner Kongreßhotel. Bis vor drei Tagen war Yoldas noch Vorsitzender der Internationalen Humanitären Hilfsorganisation (IHH), einer islamischen Initiative, die Spendengelder sammelt. Doch am Montag morgen (12. Juli) stürmten Polizisten die Wohnung des 39jährigen, beschlagnahmten Laptop, Handy und ein paar Unterlagen. Hintergrund der Aktion: Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte die IHH kurz zuvor verboten. Die Gruppe habe unter dem Deckmantel der humanitären Hilfe palästinensische Sozialvereine finanziell unterstützt, die der Hamas zuzuordnen seien, begründete de Maizière das Verbot. Insgesamt 6,6 Millionen Euro seien so an die hierzulande als Terrororganisation eingestufte Vereinigung geflossen. Zudem werde die IHH von der islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (Nationale Sicht) gesteuert. Der Verein mit seinen 29000 Mitgliedern in Deutschland wird vom Verfassungsschutz beobachtet – weil er die westliche Demokratie ablehne und eine islamische Weltordnung anstrebe, so der Geheimdienst.

Vermögen beschlagnahmt

Mustafa Yoldas bestreitet nicht, Mitglied bei Milli Görüs zu sein. »Ich habe mich aber immer für Integration eingesetzt«, betonte er gestern. Ursprünglich kommt Yoldas aus der Türkei, seit 1993 sei er deutscher Staatsbürger. Tatsächlich entspricht Yoldas nicht dem Klischee eines gewaltbereiten Gotteskriegers. Mit seinem, selbst bei tropischen Temperaturen tadellos sitzenden Anzug erinnert er mehr an einen Manager, als an einen traditionellen Muslim. Geholfen hat ihm das allerdings wenig. Im Gegenteil. Der Verfassungsschutz hält die IHH für eine Tarnorganisation; die Polizei stellte etwa 700000 Euro Vereinsvermögen und wertvolle Immobilien der Gruppe sicher. Als »schändlich, ungerecht, inhuman und rechtswidrig«, bezeichnet Yoldas diese Maßnahmen. Man habe sich nicht als Widerstandsorganisation, politische Gruppe oder Menschenrechtsverein, sondern als rein humanitäres Projekt betrachtet, versichtert er.

Die deutsche IHH wurde 1998 von etwa 80 Muslimen gegründet. »Wir wollten Menschen helfen, ohne Ansehen von Rasse oder Religion«, erklärt der nun ehemalige IHH-Chef. Zum Schluß habe der Verein 2700 Fördermitglieder und 14000 Einmalspender gehabt, so Yoldas. Nach eigenen Angaben hat die Organisation mit diesem Geld Projekte in über 80 Ländern finanziert, vor allem Wasserbrunnen und Waisenhäuser. Allein 2009 seien zehn Millionen Euro an Hilfsgeldern geflossen, davon 1,7 Millionen nach Palästina. »Drei Viertel unserer Mittel gehen in Gebiete außerhalb des Gazastreifens«, betont Yoldas. Die IHH mißbrauche die Hilfsbereitschaft gutgläubiger Spender und unterstütze Organisationen, die sich gegen das Existenzrecht des Staates Israel richteten, sagt dagegen Innenminister de Maizière.

Kritik von Ärzteorganisation

Exfunktionär Yoldas weist das zurück. Seine Initiative habe das Existenzrecht Israels niemals in Frage gestellt. Doch wie jede andere Hilfsorganisation in Gaza, müsse auch die IHH bei Vorhaben die Zustimmung der demokratisch gewählten Hamas-Regierung einholen. Falls es tatsächlich zu Unkorrektheiten bei der Verwendung von Spenden gekommen sei, hätte man erwartet, daß sich de Maizere mit dem Verein an einen Tisch setzte und das Problem im Gespräch löse, erklärt Yoldas. Von einem »unglaublichen Akt staatlicher Willkür«, spricht er gestern, von »an den Haaren herbeigezogenen Argumenten« mit denen »unbequeme Gegner mundtot gemacht« werden sollen. Irgendwann fällt das Wort »Bananenrepublik«. Man lasse nicht alles mit sich machen, erklärt Yoldas am Schluß seiner Rede. Ob seine IHH weiterarbeiten kann, wird wohl demnächst die Justiz entscheiden. Die ehemaligen Mitglieder wollen beim Bundesverwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung zur Aufhebung des Verbots erwirken.

Die internationale Ärzteorganisation IPPNW hat vor einem Generalverdacht gegen islamische Organisationen gewarnt. Mit dem IHH-Verbot schaffe die Bundesregierung neue Feindbilder, kritisierte der IPPNW-Vorsitzende Matthias Jochheim am Mittwoch in Berlin. Statt dessen solle die Bundesregierung besser deutsche Waffenexporte und Rüstungsgütertransporte nach Nahost stoppen.

* Aus: junge Welt, 15. Juli 2010

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"Was den Christen das Prinzip der Nächstenliebe ist, ist den Muslimen das Prinzip der Barmherzigkeit"
Im Wortlaut: Stellungnahme des ehemaligen Vorsitzenden der IHH, Mustafa Yoldaf. Mit einer persönlichen Empfehlung von Sabine Schiffer




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