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Finsternis am Ende des Tunnels

Israel und Hamas sind Feinde - außer bei der Unterdrückung palästinensischer Aktivisten

Von Fabian Köhler *

Die palästinensische Aktivistengruppe »Gaza Youth Breaks Out« kämpft gewaltlos gegen die israelische Belagerung. Ihr größtes Hindernis dabei: ausgerechnet die Hamas.

Zivilpolizisten prügeln auf Demonstranten ein. Hunderte Sicherheitskräfte hindern 50 000 überwiegend junge Palästinenser daran, den Platz zu verlassen. Gefangenentransporter werden befüllt. Eine Demonstration gegen die israelische Belagerung und für palästinensische Versöhnung hatte Abu Yazan geplant. Es kam anders.

Fast zwei Jahre ist es her, als am 15. März 2011 Hamas-Polizisten eine der größten palästinensischen Demonstrationen der letzten Jahre niederknüppelten. »Sie haben alle Organisatoren festgenommen«, sagt Abu Yazan. Auch ihn. Es war der Höhe- und Tiefpunkt in der Geschichte der von ihm mitgegründeten palästinensische Aktivistengruppe »Gaza Youth Breaks Out« (GYBO).

Nicht in einem Flüchtlingslager in Gaza, sondern via Facebook in in der Jenaer Uni-Bibliothek plant er heute die Aktionen der Gruppe. Ein Facebook-Post war es auch, der ihn zu einem der bekanntesten politischen Aktivisten Palästinas machte: »Fuck Hamas. Fuck Israel. Fuck Fatah. Fuck UN« begann dieser. »Wir haben es satt, von Israel im Gefängnis gehalten, von Hamas verprügelt und dem Rest der Welt ignoriert zu werden«, fuhr er fort. Das »Manifest« einiger junger palästinensischer Männer verbreitete sich zehntausendfach. GYBO-Gruppen organisierten Demonstrationen. Solidaritätsgruppen in aller Welt luden Abu Yazan zu Vortragstouren ein. Hamas lud die Organisatoren hingegen in ihre Verhörzellen.

Behörde des islamischen Widerstandes Abu Yazan zögert, Hamas zu kritisieren. Er fürchtet nicht sie, sondern, dass Andere seine Erfahrungen zur Legitimation israelischer Verbrechen nutzen: »Die Blockade, die Massaker - all das spielt Hamas in die Hände und Hamas dient wiederum Israel als Rechtfertigung«, sagt einer, der in seinem Leben stets unter Besatzung und Gewalt gelebt hat. Beobachter der UN und von Menschenrechtsorganisationen klagen regelmäßig, dass Israel mit seiner Blockade die Sicherung palästinensischer Grundbedürfnisse verhindere. Zwei Drittel aller Kleinkinder in Gaza leiden laut WHO unter Mangelernährung, 95 Prozent aller Minderjährigen unter Angstzuständen. Israel vermittle »das unmissverständliche Gefühl, uns vom Angesicht der Erde tilgen zu wollen«, beschreibt GYBO das vorherrschende Gefühl in Gaza.

Ein »Alptraum im Alptraum« sei deshalb die Hamas-Regierung, sagt Abu Yazan. Immer wieder sperrten ihn palästinensische Sicherheitskräfte ein - noch bevor sie von seiner politischen Rolle ahnten. Die Idee mit GYBO kam ihm Ende 2010. Hamas-Polizisten hatten gerade ein Jugendzentrum geschlossen. Abu Yazans Geschichte ist kein Einzelfall. Trotz der Repressionen blüht die Aktivistenszene in Gaza: Via Youtube dröhnt palästinensischer Hip Hop um die Welt. Auf kleinen Theaterbühnen protestieren in Gazas Hinterhöfen Jugendliche gegen religiöse Einfalt. Ausländische Aktivisten begleiten Fischer, dokumentieren den Beschuss ihrer Boote durch die israelische Marine ebenso wie Angriffe auf Bauern in der von Israel innerhalb des Gazastreifens erklärten »Pufferzone«.

»Es gibt so viele großartige Aktivisten in Gaza, die mit Kunst, Musik und Blogs versuchen, die Situation zu verändern«, erklärt Vera. Doch all jene Gruppen hätten eines gemein: Wer gegen die israelische Besatzung protestieren wolle, müsse zuerst an der Hamas vorbei. Und diese sei längst eine »religiöse Diktatur, die jegliche Aktivitäten außerhalb ihrer Kontrolle unterdrückt«, sagt die in Gaza lebende Journalistin.

Die Bewegung, die Palästinensern einst als Inbegriff militanten Widerstandes galt und nach ihrem Wahlsieg im Jahr 2006 eine Demokratisierung palästinensischer Institutionen versprach, ist heute vor allem eigennütziger Verwaltungsapparat: Zehn Ministerien von Wohnungsbau bis Religion kontrollieren das Leben in Gaza, Zehntausende Palästinenser erhalten von der Hamas ihre Gehaltchecks. An den Ausgängen der Tunnel zwischen Gaza und Ägypten kassieren Beamte der Hamas-Tunnelbehörde Visumsgebühren. Auf ihrer Webseite rühmt sich die Organisation heute mit Staatsbesuchen statt Anschlägen. »Viele Funktionäre sind mittlerweile wohlhabend und sitzen auf sehr bequemen Stühlen. Jegliche Konfrontation mit Israel würde ihnen dies nehmen«, erklärt Vera Macht.

Nur ein Zufall im Verwaltungsapparat war es auch, der die Hamas auf Abu Yazan aufmerksam machte. Dass das GYBO-Phantom Abu Yazan in Wahrheit der Student der Englischen Literatur Mohammad Matter ist, erfuhren die Beamten, als sich eine Bekannte bei der Einreise verplapperte. 30 Mal wurde er seitdem festgenommen. Die Bekanntheit von GYBO und die Berichterstattung von Human Rights Watch rettete ihn vor Schlimmerem. Die Hamas sei nur ein weiteres Regime, »das gegen das Volk arbeitet«, sagt Abu Yazan, der zur Parlamentswahl selbst hoffnungsvoll für die Alternative zur korrupten Fatah gestimmt hatte.

Vom kleineren Übel zum Handlanger Es ist wohl eine Einschätzung, die die meisten Palästinenser teilen: Längst ist die Hamas für viele zum Spiegelbild der verhassten PLO geworden - eine Erfüllungsgehilfin israelischer Sicherheitsinteressen. »Wir werden ein System von Kontrollpunkten errichten, Durchsuchungen, Verhaftungen sowie weitere Maßnahmen durchführen, um die Raketenangriffe zu unterbinden«, warnte letztes Jahr nicht das israelische Militär, sondern Hamas-Sprecher Ihab Ghusain. Hunderte Palästinenser sitzen aus politischen Gründen in Hamas-Gefängnissen. Sicherheitskräfte der Bewegung töteten Dutzende Anhänger rivalisierender Gruppen in den letzten Jahren. Als »kleineres Übel« gilt die Hamas israelischen Armeevertretern seitdem. Als »Handlager der Zionisten« galt sie der salafistischen Gruppe »Jund Ansar Allah«, bevor diese 2009 im Gewehrfeuer der Hamas unterging.

»Kritisierst du Hamas, bist du ein Kollaborateur. Kritisiert du Fatah, bekommst du keinen Job. Kritisierst du Israel, wirst du entweder getötet oder steckst für dein restliches Lebens in Gaza fest«, resümiert Abu Yazan. Am Ende war es dann doch eine israelische Zelle, in der sich sein Entschluss zur Ausreise festigte. Eine Uni in New York hatte ihm ein Stipendium zugesagt: »Ich musste einfach weg.« Doch Israel verweigerte ihm die Einreise, um in Jerusalem sein Visum zu beantragen. Stattdessen verhörte man ihn nackt über Aktivisten in Gaza. In der Behandlung von Gefangenen seien sich »Israel und Hamas sehr ähnlich«, schreibt er vom Bibliothekslaptop aus.

Nicht nur er hat seinen Protest auf Facebook verlagert. Auch GYBO trifft sich zum Schutz seiner Mitglieder in Gaza nur noch online und verbreitet Informationen über die Situation in Gaza. Vor kurzem haben sie ihr zweites Manifest veröffentlicht. »Gaza was?« steht in der Überschrift: als Vorwurf an alle, die sich für das Leid im Küstenstreifen nicht interessieren. Man kann die Überschrift allerdings auch als Frage lesen, auf die GYBO die Antwort ist. Es wäre nicht die schlechteste.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 06. März 2013


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