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Fast alle Gaza-Helfer frei gelassen / Erklärung über das Gespräch zwischen Gregor Gysi und den israelischen Botschafter (Wortlaut)

Shulamit Aloni: "Ein Schandfleck in der Geschichte meines Landes" / Israelischer Botschafter: Das Recht ist auf Israels Seite / Weitere Berichte und Dokumente


Fast alle Gaza-Helfer frei

Von Karin Leukefeld **

Unter internationalem Druck hat Israel angekündigt, alle inhaftierten Aktivisten der Gaza-Freiheitsflotte in ihre Heimatländer abzuschieben. Weltweit war Israel für die blutige Aktion vom Montag morgen verurteilt worden, bei der mindestens neun Personen getötet wurden. Sowohl der UN-Sicherheitsrat als auch die NATO hatten Israel aufgefordert, die Gefangenen freizulassen, die Schiffe freizugeben und die Hilfsgüter in den Gazastreifen zu bringen. Eine internationale, unabhängige Untersuchung soll die Vorgänge klären.

126 Personen aus arabischen Staaten waren bereits in der Nacht zum Mittwoch zur Allenby-Brücke gebracht worden, dem Grenzübergang nach Jordanien, wo sie von Freunden, Angehörigen und Journalisten empfangen wurden. Die Türkei schickte drei Militärflugzeuge nach Israel, um die etwa 350 türkischen Teilnehmer der »Free Gaza«-Flotte zurückzuholen. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hatte Israel heftig für das »blutige Massaker auf Schiffen mit Hilfsgütern« verurteilt.

Nicht frei kommen derweil vier palästinensische Bürger Israels, die sich ebenfalls an der Hilfsflotte beteiligt hatten. Die beiden Vorsitzenden der Islamischen Bewegung in Israel, Scheich Raed Salah und Scheich Hamad Abu Daabes, sowie der Vorsitzende des Komitees für Arabische Bürger in Israel, Muhammed Zeidan, und Lubna Masarwa, Aktivistin der »Free Gaza«-Bewegung und Mitarbeiterin der Al-Quds-Universität sollen nach dem Willen eines israelischen Gerichts in Ashkelon für eine weitere Woche in Haft bleiben. Das Anwaltsteam von ADALAH, einem Zentrum für die Rechte der Arabischen Minderheit in Israel, verurteilte die Entscheidung als »diskriminierend«. Die vier seien in Haft, weil sie »palästinensische arabische Bürger Israels seien«, hieß es in einer Stellungnahme.

Nach Angaben der Organisation »Ärzte für Menschenrechte« waren infolge des israelischen Sturmangriffs auf hoher See 52 Verletzte in Krankenhäusern eingeliefert worden, der Zugang zu ihnen sei untersagt. Verschiedenen Berichten zufolge sollen sich einige in kritischem Zustand befinden. Keine Informationen gibt es weiterhin über die Toten des Angriffs.

Talat Hussain, Moderator des pakistanischen Fernsehsenders Aaj, erhob derweil schwere Vorwürfe gegen Israel. Hussain, der für seinen Sender die internationale Hilfsflotte begleitet hatte, sagte nach seiner Abschiebung in einem Telefoninterview aus Jordanien: »Vor mir sind vier Leute in den Kopf geschossen worden. Ich wurde Zeuge, wie sie starben.« An Bord habe es keine Waffen gegeben, betonte Hussain. Um sich zu wehren, hätten die Aktivisten »die Israelis mit allem beworfen, was sie in die Finger bekamen«. Der schwedische Schriftsteller Henning Mankell prangerte Israel ebenfalls an. »Was wird im kommenden Jahr passieren, wenn wir mit Hunderten Booten zurückkehren? Werden sie dann eine Atombombe zünden?«

Michael Oren, Botschafter Israels in den USA, bezeichnete derweil in einem Interview mit dem Fernsehsender Fox News das israelische Vorgehen als »vollkommen legal, menschlich und sehr verantwortungsvoll«. Israel habe das Recht, sich zu schützen, so »wie die USA sich gegen die Deutschen und Japaner im Zweiten Weltkrieg« verteidigt hätten.

Insgesamt hatten 682 Friedensaktivisten aus 42 Ländern versucht, mit sechs Schiffen rund 10000 Tonnen Hilfsgüter in den von Israel abgeriegelten Gazastreifen zu bringen. Ein weiteres Frachtschiff, die »Rachel Corrie« aus Irland, plant derweil, ihren Weg nach Gaza fortzusetzen. Die irische Regierung forderte Israel gestern auf, das Schiff passieren zu lassen.

* Aus: junge Welt, 3. Juni 2010


Gregor Gysi trifft israelischen Botschafter

Pressemitteilung 02.06.2010

Zu dem soeben zu Ende gegangenen Treffen des Vorsitzenden der Fraktion DIE LINKE, Gregor Gysi, mit dem israelischen Botschafter in Deutschland, Yoram Ben-Zeev, erklärt Michael Schlick, stellvertretender Pressesprecher der Fraktion DIE LINKE:

„Gregor Gysi protestierte gegen den völkerrechtswidrigen Akt mit Toten und Verletzten gegen die Schiffe, die Hilfsgüter nach Gaza bringen wollten. Ebenso protestierte er gegen die Seeblockade des Gazastreifens durch Israel. Der israelische Botschafter wies darauf hin, dass die Besetzung des Gazastreifens beendet wurde, die Hamas aber nach wie vor gegen Israel Krieg erklärt habe und führe. Deshalb sei es Feindesland und man sei zur Blockade berechtigt. Die Blockade könnte sogar weiter gehen, als sie praktisch gehandhabt werde.

Es sei den Organisatoren der Hilfs-Flottille auch nicht um die Hilfsgüter gegangen, die man auch anders in den Gaza-Streifen hätte bringen lassen können, sondern um die Durchbrechung der Blockade. Diese könne Israel zur Vermeidung von Waffenlieferungen und einer Unterstützung der Hamas nicht zulassen.

Gregor Gysi wies darauf hin, dass das Internationale Recht immer und für jeden Staat gelte, auch für Israel. Piraterie sei keinem Staat gestattet. Außerdem sei durch die Toten und Verletzten die Verhältnismäßigkeit nicht im Mindesten gewahrt worden. Israel mache eine Politik, die das eigene Ansehen schwer beschädige und das der Hamas erhöhe.

Einig war man sich in der Frage, dass eine Friedens- und eine Zweistaatenlösung gefunden werden müsse.

Nach dem derzeitigen Wissen des Botschafters habe es bei dem Vorfall neun Tote, 20 Verletzte, darunter neun schwerverletzte Besatzungsmitglieder bzw. Passagiere und sieben verletzte israelische Soldaten gegeben. Der Botschafter sicherte zu, dass die Hilfsgüter nach Kontrolle in den Gazastreifen geliefert werden. Alle gefangenen Besatzungsmitglieder und Passagiere können sofort Israel verlassen, die Verletzten natürlich erst, wenn der Gesundheitszustand dies zuließe. Hinsichtlich der persönlichen Sachen der Abgeordneten und der anderen zurückgekehrten Deutschen sicherte der Botschafter sein Bemühen zu, eine Nachsendung an die Betroffenen zu erwirken.

Gregor Gysi und Botschafter Yoram Ben-Zeev verabredeten trotz ihrer deutlich unterschiedlichen Auffassungen die Gespräche fortzusetzen.“

Quelle: Website der Fraktion Die Linke; www.linksfraktion.de




Mit den Händen verteidigt

Menschenrechtsaktivisten widersprechen israelischen Darstellungen über Stürmung der "Free Gaza"-Flotte. Gewalt ging von Soldaten aus

Von Karin Leukefeld **


Die offizielle israelische Darstellung der gewaltsamen Erstürmung der »Free Gaza«-Hilfsschiffe am Montag morgen gerät gehörig ins Wanken. Internationalen Medienvertretern wurde zwar mittlerweile eine Fülle von Militärvideos präsentiert, um die Behauptung der »Notwehr« zu untermauern. Doch die Arbeit der Medien- und Imageberater (Spin-Doctors) der israelischen Armee scheint wenig erfolgreich zu sein. Und intern fragt man sich laut einem Artikel in der Washington Post in der israelischen Regierung bereits, wie die Operation in einem solchen PR-Desaster enden konnte. Grund sind die vielen unabhängig voneinander abgegebenen Zeugenberichte von Passagieren der »Mavi Marmara«, aber auch von den anderen Schiffen, die internationale Medien nicht mehr ignorieren können. Alle beschreiben »kriegsähnliche Zustände« und ein gewaltsames Vorgehen der israelischen Soldaten bei der Erstürmung der Flotte mit Hilfsgütern in internationalen Gewässern.

Huwaida Arraf, eine der Organisatorinnen von »Free Gaza«, sagte im US-Fernsehsender CNN, die Soldaten seien sehr gewalttätig vorgegangen, obwohl die Passagiere der »Challenger 1«, auf der sie sich befunden habe, lediglich mit ihren Händen versucht hätten, die Soldaten am Entern des Schiffes zu hindern. Sie selbst sei auf den Boden geworfen und gefesselt worden, dann habe man ihr eine Tüte über den Kopf gestülpt. Im Hafen von Aschdod sei sie von den anderen getrennt worden, man habe ihr Telefon, Geld, Taschen und Computer abgenommen, sie an ihren Haaren in ein Polizeiauto geschleppt und später irgendwo rausgeworfen. Sie habe sich am Kopf verletzt, habe das Bewußtsein verloren und sei erst in einem Krankenwagen wieder zu sich gekommen.

Hassan Nohwara, Brite palästinensischer Herkunft, wurde bei dem Sturmangriff verletzt und kehrte auf Krücken zurück nach Hause. Er habe »Schreie und Schüsse« gehört, berichtete er dem britischen Telegraph. Die Soldaten hätten Tränengas eingesetzt. Huseyin Tokalak, einer der Kapitäne, berichtete auf einer Pressekonferenz in Istanbul, die israelischen Marineoffiziere hätten ihm vor der Erstürmung gedroht, sein Schiff »Gazze« zu versenken. Danach hätten die Soldaten ihm und seinem zweiten Kapitän die Waffen direkt an die Köpfe gehalten.

Verschiedene Aktivisten berichteten, daß die Soldaten noch auf Passagiere geschossen hätten, nachdem man eine weiße Fahne gehißt habe. Mohamed Vall, Reporter des TV-Senders Al-Dschasira, sagte, man sei von dem Angriff völlig überrascht worden. »Etwa 30 Kriegsschiffe hatten unser Schiff umzingelt, und Hubschrauber schossen mit Leucht- und Schallgranaten auf uns.« Die ersten Soldaten, die sich aus Hubschraubern abseilten seien von Passagieren der »Mavi Marmara« abgewehrt worden, die nächsten Soldaten hätten dann sofort geschossen. Einige der Passagiere seien Jemeniten gewesen, die traditionell eine bestimmte Art von Messer bei sich trügen. Damit sollte jetzt bewiesen werden, daß die Passagiere der »Mavi Marmara« »gewalttätig« gewesen seien. Der Kameramann Issam Zaatar beschrieb, wie ein israelischer Soldat mit einem Elektroschockgewehr hinter ihm her rannte und versuchte, ihm die Kamera abzunehmen. Als ihm die Kamera aus den Händen fiel, habe der Soldat sie zertrampelt.

Hazim Farouk, ein ägyptischer Abgeordneter und Arzt, beschrieb gegenüber Al-Dschasira, wie vier Menschen vor seinen Augen starben. »Für das, was geschehen war, hätten wir ein Feldlazarett gebraucht.« Die Soldaten hätten ihm und anderen Helfern nicht erlaubt, Verletzte abzutransportieren, sondern hätten mit den Laserleuchten ihrer Gewehre auf die Köpfe der Verletzten gezielt. Der griechische Kapitän Mihalis Grigoropoulos, der mit seinem Schiff direkt hinter der »Mavi Marmara« fuhr, sagte, Leute hätten mit einer Art menschlichem Schutzwall versucht, die Erstürmung der Kapitänsbrücke zu verhindern. Die Soldaten hätten gegen sie Gummigeschosse eingesetzt und sie mit Elektroschockwaffen gelähmt. Die palästinensische Knesset-Abgeordnete Haneen Zubi befand sich auf dem zweiten Deck, wohin die Toten und Verletzten gebracht worden seien. Als eine Stimme über die Schiffslautsprecher sagte, die »Mavi Marmara« sei in der Gewalt der Israelis, hätten dort sechs Tote gelegen.

** Aus: junge Welt, 3. Juni 2010

"Israel war nach internationalem Recht dazu berechtigt, gegen die Flottille vorzugehen"

Aus einem Gastbeitrag des Botschafters des Staates Israel in Deutschland, Yoram Ben-Zeev, in der Leipziger Volkszeitung

(...) Schon jetzt steht fest: Die Absicht der Militanten war gewaltsam, ihr Verhalten war gewaltsam, und leider war das Ergebnis gewaltsam. Der Angriff auf die israelischen Soldaten war im Voraus geplant; die Waffen lagen im Voraus bereit. Huwaida Arraf, eine der Organisatorinnen der Flottille, ließ die Gewalt in einer Erklärung erahnen: „Sie werden uns gewaltsam stoppen müssen.“ Bulent Yildirim, der Führer der IHH, einer der Hauptorganisatoren, verkündete vor der Abfahrt: „Wir werden Widerstand leisten, und der Widerstand wird siegen.“ „Intifada, Intifada, Intifada!“ – mit diesem Schlachtruf peitschten die Militanten die Passagiere auf.

Es sei betont, dass die IHH eine radikal antiwestliche Orientierung ihr Eigen nennt. Neben ihren legitimen humanitären Aktivitäten unterstützt sie radikal-islamistische Netzwerke wie die Hamas; zumindest in der Vergangenheit hat sie auch globale Gotteskrieger wie Al-Qaida unterstützt.

Israel war nach internationalem Recht dazu berechtigt, gegen die Flottille vorzugehen. Zwischen Israel und dem Hamas-Regime in Gaza herrscht ein bewaffneter Konflikt. Die Hamas hat 10 000 Raketen auf israelische Zivilisten abgefeuert. Gegenwärtig engagiert sie sich im Schmuggeln von Waffen und Kriegsmaterial nach Gaza, zu Land und zu See, um ihre Positionen zu stärken und ihre Angriffe fortsetzen zu können.

Nach internationalem Recht hat Israel das Recht, das Leben seiner Zivilisten vor den Hamas-Attacken zu schützen. Infolgedessen hat es Selbstverteidigungsmaßnahmen eingeleitet, darunter die Verhängung einer Seeblockade, um die Wiederaufrüstung der Hamas einzudämmen. Schließlich kann Israel nicht zulassen, dass ein Seekorridor nach Gaza geöffnet wird, durch den ungehindert Waffen und Terroristen in den Küstenstreifen gelangen würden.

Die Organisatoren der Flottille hatten von Anfang an klar gemacht, dass ihr primäres Ziel die Durchbrechung der Seeblockade sei. Greta Berlin, eine Sprecherin der Flottille, erklärte der Nachrichtenagentur AFT am 27. Mai: „Dieser Mission geht es nicht um die Lieferung humanitärer Güter, ihr geht es um das Durchbrechen der israelischen Belagerung.“ Das wurde nicht nur durch Worte, sondern auch durch Taten unterstrichen. Die Organisatoren der Flottille lehnten die wiederholten Angebote Israels ab, die Schiffe in den Hafen von Ashdod zu bringen und die Hilfsladung von dort gemäß dem gängigen Prozedere über Land zu transferieren. (...)

Auszug aus: Flottille auf falschem Kurs - Gastbeitrag des israelischen Botschafters in Deutschland. In: Leipziger Volkszeitung, 2. Juni 2010




"Ein Schandfleck in der Geschichte meines Landes"

Israels Angriff auf Gaza-Hilfsschiffe muß vor internationalem Gericht geahndet werden. Ein Gespräch mit Shulamit Aloni ***

Shulamit Aloni (81) ist Schriftstellerin, Mitbegründerin der israelischen Friedensgruppe »Peace Now«, Trägerin des Israel-Preises und ehemalige Erziehungsministerin. Von 1965 bis 1996 war sie Knessetabgeordnete, erst der Arbeitspartei und dann der linkszionistischen RaZ bzw. Meretz.

Wie beurteilen Sie die Kaperung der Free-Gaza-Hilfsflotte durch israelische Eliteeinheiten?

Für das Geschehene gibt es nur ein Wort: Massaker. Als Israelin rebelliere ich gegen diesen blutigen Akt, für den es keine Rechtfertigung geben kann. Was da passiert ist, ist das Ergebnis einer Dämonisierungskampagne, die von jenen organisiert wurde, die Israel heute regieren. Derjenige, der angeordnet hat, die Friedensschiffe, die auf dem Weg nach Gaza waren, unter allen Umständen zu stoppen, hat unseren Soldaten den Schießbefehl erteilt. Deshalb sollte er von internationalen Gerichten verfolgt werden.

Tel Aviv behauptet, auf den Schiffen Waffen gefunden zu haben. Glauben Sie das?

Diese Schiffe transportierten keine Waffen, sondern Hilfsgüter für eine Bevölkerung, die im Gazastreifen seit Jahren einer kollektiven Bestrafung unterzogen wird, welche allen Normen des internationalen Rechts und den Menschenrechten widerspricht. Mit diesem Massaker hat mein Land, für das ich gekämpft habe, seine schlechteste Seite gezeigt. Die Seite der Arroganz und der unverhältnismäßigen Gewaltanwendung. Das ist ein Blutfleck, der bleiben wird. Um ihn zu beseitigen, wird die internationale Verurteilung nicht ausreichen. Es ist nötig, daß sich sofort aus der israelischen Gesellschaft heraus selbst Proteststimmen erheben. Notwendig ist eine moralische Revolte gegen jene, die nicht nur ein Attentat auf den Frieden im Mittleren Osten verüben, sondern auch die Fundamente unserer Demokratie untergraben. Weil ein Land, das Massaker wie dieses rechtfertigt, ein Land ist, das sich selbst zu einem üblen Ende verurteilt.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak behaupten, Ziel der Organisatoren der Solidaritätsschiffe sei nicht gewesen, humanitäre Hilfe nach Gaza zu bringen, sondern eine »gezielte Provoka­tion« gegen Israel zu begehen.

Das sind unerhörte Worte von Leuten, die zu verteidigen versuchen, was nicht zu verteidigen ist. Solch ein Verhalten an den Tag zu legen, wird die Wut und Empörung über das begangene Massaker weltweit nur noch steigern. Nichts kann die Tatsache rechtfertigen, daß die Brücke eines Schiffes in ein Schlachtfeld verwandelt wurde. Wer den Befehl zu diesem Einsatz gegeben und zuvor eine Verteufelungskampagne gegen jene Pazifisten gestartet hat, wollte eine Lektion erteilen. Die Ergebnisse liegen jetzt allen vor Augen. Das vergossene Blut ist ein nicht zu löschender Schandfleck in der Geschichte meines Landes.

In der Türkei gab es einen regelrechten Wutausbruch gegen Israel …

… nicht nur in der Türkei. Dieses Gemetzel wird den Haß gegen Israel nähren, die fundamentalistischen Gruppen stärken und die Kräfte in der arabischen Welt und unter den Palästinensern schwächen, die weiterhin an den Dialog glauben und für einen gerechten Frieden unter Gleichen kämpfen. Aber die Falken, die Israel heute regieren, tun alles, um jeden Dialog abzuwürgen. Das jetzige Blutbad zielt in diese Richtung.

Mit dieser Aktion gerät auch die Abriegelung des Gazastreifens wieder ins Rampenlicht. Ist Israel mit der Blockade seinem Ziel näher gekommen, die Hamas nachhaltig zu schwächen?

Nein, die Blockade hat die Hamas genauso wenig geschwächt wie die Tötung vieler ihrer Führer. Sie hat nur das Leiden der Bevölkerung verstärkt und Gaza in ein riesiges Gefängnis unter freiem Himmel verwandelt. Wer Schiffe angreift, ein anderes Volk unterdrückt und die Kolonisierung der besetzten palästinensischen Gebiete fortsetzt, pflegt die Illusion, daß sich Israels Sicherheit auf Waffengewalt stützen könne. Das ist jedoch eine Illusion, die immer wieder zu Desastern führen wird, wenn die Welt nicht entschieden dagegen protestiert. Dem muß sich der Teil Israels anschließen, der nicht zum Komplizen dieses Verbrechens werden will.

Die arabische Gemeinde in Israel geht bereits auf die Straße …

Ja, und da sprechen wir von einer Million Israelis, die der Rassist [und Außenminister, jW] Avigdor Lieberman als »Abschaum« betrachtet, die man – wenn es nach ihm ginge – gewaltsam in die besetzten Gebiete vertreiben sollte. Und Leute wie er haben die Zukunft Israels und des Friedens in der Hand. Das ist der reinste Horror!

Interview: Raoul Rigault

*** Aus: junge Welt, 3. Juni 2010


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