"Goldstone und die EU" bei der Heinrich-Böll-Stiftung
Die deutsch-palästinensische Menschenrechtsexpertin Maysa Zorob referierte über die Tatenlosigkeit der Europäischen Union im israelisch-palästinensischen Konflikt
Von Irene Eckert
Um es vorwegzunehmen: Die Veranstaltung war von besonderer Qualität. Sie muss bewertet werden vor dem Hintergrund des Totschweigens des von Richter Goldstone vorgelegten UN-Berichts über den Gaza-Krieg 2008/09, israelischer Name „Operation gegossenes Blei“, der im Auftrag des Menschenrechtsrats erfolgte und von diesem gutgeheißen wurde. Derzeit liegt er beim Sicherheitsrat, wo er laut Auftrag der UN-Generalversammlung verhandelt werden müsste.
Die junge charmante Deutsch-Palästinenserin, Frau Zorob, war ursprünglich nach Berlin gekommen, um vor Vertretern des Deutschen Bundestages zu referieren. Dazu kam es leider nicht, denn sie wurde ohne Begründung wieder ausgeladen. Dankenswerter Weise ermöglichte die Böll-Stiftung mit Unterstützung der Deutschen Klassenlotterie und mit großzügiger Raumvergabe durch den deutsch-arabischen Integrationsverein den Vortrag der mehrsprachigen jungen Juristin vor einem hochinteressierten und kompetenten Publikum, das dadurch angeregt wurde, den 800seitigen Bericht des südafrikanischen Richters im Original zu lesen.
Maysa Zorob arbeitet als Mitglied des „Legal Research and Advocacy Departments” bei Al- Haq. Al-Haq ist eine palästinensische Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Ramallah, die seit 1979 Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Palästinensergebieten dokumentiert und völkerrechtlich analysiert.
Maysa Zorob, Hamburgerin mit palästinensischen Wurzeln, absolvierte ihr Jurastudium in Deutschland und Frankreich. Während ihres dreijährigen Aufenthalts in Ramallah leitete sie an der Birzeit Universität ein Forschungsprojekt zum Thema „Rechtsreformen und Staatenwerdung Palästinas“. Zurück in Europa, eröffnete die Menschenrechtlerin im Herbst 2009 das erste Auslandsbüro von Al-Haq in Brüssel, wo sie die EU-Lobby führt.
Zu Beginn zeichnete Zorob die Genese des kurz „Goldstone-Report“ genannten UN-Dokuments noch einmal nach und legte als zentrale Aussage fest: Die Straflosigkeit der Kriegsverbrechen, die im Gazastreifen 08/09 begangen wurden, müsse durchbrochen werden und zwar schon deswegen, weil die Nichtahndung der Kriegsverbrecher nicht nur neue Verbrechen nach sich ziehe, sondern auch fatale völkerrechtliche Konsequenzen haben könnte. Durch Nichtverfolgung von Vergehen gegen die Menschlichkeit, gegen die Genfer Konvention, gegen die UN-Menschrechtserklärung, um die es sich im vorliegenden Fall fraglos handle, werden dergleichen Vorgehensweisen zum Gewohnheitsrecht. So bestehe die Gefahr dass Israel neue Rechtsgrundsätze auf völkerrechtlicher Ebene präge. Darauf hatte am Vorabend Professor Jeff Halper „Ein Israeli in Palästina“ schon in der „Hofperle“ aufmerksam gemacht.
Das Goldstone-Team spreche dagegen von einem unverhältnismäßigen und unprovozierten Angriffskrieg seitens Israels und benenne den Einsatz völkerrechtlich so strittiger Waffen wie der DU-Munition in einem dichtbesiedelten Gebiet als unzulässige Kollektivstrafe. Schon allein die im Bericht genannten Opferzahlen sprechen Bände. Den 13 israelischen Opfern, davon 3 Zivilisten und 3 durch Beschuss aus den eigenen Reihen getöteten, stehen 1300 Palästinenser gegenüber, überwiegend jugendliche und weibliche Nichtkombattanten.
Die von Goldstone angemahnten Untersuchungen, zunächst auf nationaler Ebene, habe Israel nicht gemäß internationaler Standards durchgeführt.
Die Haltung der palästinensischen Autonomiebehörde fand auch ein kritisches Echo auf Nachfrage aus dem Publikum. Das von dieser – demokratisch nicht mehr autorisierten Behörde – zum Prinzip erhobene Motto: Peace now – justice later (erst Frieden, dann Gerechtigkeit) habe verhängnisvolle Folgen für die von den israelischen Übergriffen betroffenen Opfer. Das dafür eingehandelte Ergebnis gehe gegen Null. Bezüglich der „Strafverfolgung für Kriegsverbrecher auf Seiten der Hamas“ wurde gesagt: Der in Gaza eingeleitete Prozess, entspreche auch nicht den Kriterien der Unabhängigkeit. Gleich mehrere Stimmen aus dem Publikum wandten ein: Erstens spreche schon der Vergleich der Opferzahlen für sich, zweitens sei das Recht auf Widerstand , auch auf bewaffneten Widerstand, gegen eine Besatzungsmacht völkerrechtlich verbrieftes Recht und drittens sei es an der Zeit auch die Hamas als legitime Vertreterin des kolonisierten palästinensischen Volkes als Verhandlungspartnerin zu akzeptieren, ungeachtet ihrer politischen Bewertung.
Die Referentin schilderte die aktuelle Lage in Gaza als nach wie vor besorgniserregend. Die „Lockerung“ der Blockade des Gazastreifens, wie sie nach dem Angriff auf die Gaza-Flotille vom Mai erfolgt sei, habe daran nichts Wesentliches geändert. Trotz der Erhöhung der Einfuhrmengen seien 2/3 der Bevölkerung unterernährt, die Mehrheit davon Kinder und Jugendliche.
Die Darlegung der Haltung der EU zum Goldstone-Bericht ergab wenig Erfreuliches. Kein einziges EU-Mitglied befürwortete den Bericht des UN-Menschrechtsrats, man enthielt sich der Stimme.
In der UN-Generalversammlung vom November zeigten die EU-Staaten dann ein gespaltenes Bild, Deutschland trat jetzt mit einer Neinstimme hervor, der sich Rumänien, Slowenien, Tschechien u.a. anschlossen. Der EU-Rat tat bisher im Grunde nichts, um der Straflosigkeit Einhalt zu gebieten. Während die GAZA-Blockade aufrechtherhalten wird, hat die EU die Blockade nie als völkerrechtswidrig gekennzeichnet. Immerhin forderte der Deutsche Bundestag unisono im Juni 2010 die sofortige Aufhebung der Blockade, die nicht den Sicherheitsinteressen Israels diene und immerhin hat Guido Westerwelle, der deutsche Außenminister, diese Woche in Gaza die Blockade inakzeptabel genannt. Daran könne und müsse Öffentlichkeitarbeit ansetzen und nachhaken. Die Bundestagsabgeordnete Annette Groth sei im Begriff dazu, eine Anfrage einzubringen, verlautete es aus dem Publikum.
Das allgemeine Bild: Viel Worte wenig Taten. Der EU mangele es an Bereitschaft, die durchaus vorhandenen Werkzeuge auch einzusetzen, um den fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen Einhalt zu gebieten. So gebe es ja ein Assoziierungsabkommen zwischen Israel und der EU, das Israel zollfreie Einfuhren auf dem europäischen Markt gewährleiste, seinem wichtigsten Handelspartner. Dieses Abkommen enthalte keine Essentials bezüglich der Menschenrechtsfrage, die aber durchaus möglich seien. Die Weiterleitung des Goldstone-Berichts an den Internationalen Strafgerichtshof in den Haag müsste mit Nachdruck gefordert werden. Jeder Staat, der die Römischen Verträge unterzeichnet hat, könnte sich an den ISTGH wenden, mit der Bitte ein Untersuchungs-Verfahren einzuleiten. Es existiert ein Euro-Mediterranian-Human-Rights-Network, das über 60 Menschenrechtsorganisationen zusammenschließt, diese könnten aktiv werden. Der Druck dahingehend müsse aber von den jeweils nationalen Zivilgesellschaften kommen, die von ihren Repräsentanten und Parteien fordern müssen, dass ihre Akteure dahingehend aktiv werden, die Straflosigkeit Israels für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu beenden. Das Russel-Tribunal, das renommierte Juristen umfasst, wird demnächst wieder in London tagen. Auch seine Verlautbarungen zur Sache hätten ein großes Gewicht und müssten einer interessierten Öffentlichkeit vorliegen, um damit politischen Druck entfalten zu können.
Zum Schluss verwies die Referentin auf eine Gesetzesvorlage, die der Knesset vorliegt und die die bewährte Zusammenarbeit zwischen israelischen und palästinensischen Menschrechtsorganisationen erheblich erschweren, wenn nicht künftig unmöglich machen wird. Ihr Inhalt ist die Kriminalisierung der Kritik an Israels Staatspolitik.
Die Veranstaltung war gekennzeichnet durch einen konstruktiven Geist und einem gemeinsamen Interesse an Aufklärung und dem Bestreben das Leiden der palästinensischen Bevölkerung zu beenden.
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