Mit dem Schiff Bad Boll die Denkblockade nach Gaza durchbrechen
Ev. Akademie Bad Boll: Über die Tagung "Partner für den Frieden - Mit Hamas und Fatah reden"
Am vergangenen Wochenende fand in der Evangelischen Akademie Bad Boll eine interessante und spannende Tagung statt. Kooperationspartner der Ev. Akademie war die deutsche Sektion der Internationalen katholischen Friedensorganisation pax christi. Die Tagungsverantwortlichen wollten mit allen Konfliktparteien reden. Das Auswärtige Amt vereitelte diese Absicht, indem es dem Vertreter der Hamas im Gazastreifen die Einreise verweigerte. Nahostpolitik der Bundesregierung also wie gehabt.
Über die Ergebnisse der Tagung informiert der nachfolgende offizielle Bericht der Ev. Akademie Bad Boll.
An Gesprächen mit allen Konfliktparteien im Nahostkonflikt führt kein Weg vorbei
„Wir sollten bei Kontakten und Dialogen grundsätzlich von Verboten, ideologischen
Sichtweisen und Ausgrenzungen Abstand nehmen“, erklärte Dr. Muriel Asseburg, Leiterin
der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika, Stiftung Politik und Wissenschaft,
Berlin, in Bezug auf das deutsche und europäische Engagement im Nahostkonflikt auf einer
Tagung in der Evangelischen Akademie Bad Boll.
Bad Boll / Kreis Göppingen - Konsens über die Notwendigkeit der Einbeziehung aller Konfliktparteien im Nahostkonflikt, also auch der Hamas, bestand bei der Tagung „Partner für den Frieden“ (11.-13. Juni 2010) mit knapp 200 Teilnehmenden in Bad Boll. Bedauert wurde, dass die Teilnahme des eingeladenen Gesundheitsministers aus Gaza, Basem Naim,
durch ein Einreiseverbot der Bundesregierung verhindert wurde und damit nur zwei Stimmen
aus Nahost, eine israelische und ein Al Fatah-Vertreter zu Wort kamen.
Die in Kooperation mit Pax Christi geplante Tagung war im Vorfeld zum Gegenstand einer
heftigen Kontroverse geworden. Den Veranstaltern war vorgeworfen worden, einen
Referenten eingeladen zu haben, der im Blick auf Israel extremistische Positionen vertrete
und sie wurden aufgefordert, die Tagung abzusagen. Alle Referierenden, samt dreier
Bundestagsabgeordneter von CDU, SPD und FDP, ließen sich nicht von einer Teilnahme an
der Tagung abhalten. Oberbürgermeister Dr. Albrecht Schröter aus Jena, das eine
Städtepartnerschaft mit der palästinensischen Stadt Beit Jala pflegt, sagte zu Beginn der
Tagung: „Ich bin hier, um mit dem Schiff Bad Boll die Denkblockade nach Gaza zu
durchbrechen.“
Avraham Burg, ehemaliger Sprecher der Knesset, wies darauf hin, dass die Oslo-
Verhandlungen 1993/95 von beiden Völkern noch zu 75 Prozent unterstützt worden sind, und dass die israelische Regierung viele Gelegenheiten, Frieden zu machen, verpasst hätten. Einen Grund sieht er in den Traumata beider Völker – für die Israelis der Holocaust,
für die Palästinenser Flucht und Vertreibung von 1947/48 (Nakba). Um zu einer Versöhnung
zu kommen, müsse jede Seite erst einmal bereit sein, die Geschichte und das Trauma der
anderen Seite zu verstehen und zu akzeptieren. Als Kräfte, die in Israel am stärksten gegen
eine Einigung sind, nennt er die Siedler. „Sie lehnen eine Zweistaatenlösung ab und träumen
von einem Großisrael vom Jordan bis zum Mittelmeer.“ Parallel zu Ihnen sieht er die Position
der Fundamentalisten von Hamas. Eine wichtige Rolle sieht Burg in der Zivilgesellschaft: „Das ist der Akteur, der reagieren kann, wenn die Politik versagt.“ Burg beteiligt sich selbst
wöchentlich an einer Demonstration von Israelis und Palästinensern gegen auszerstörungen
im Ostjerusalemer Stadtteil Scheikh Jarrah.
Abdallah Frangi, Berater von Präsident Abbas für internationale Angelegenheiten, erläuterte,
dass man an einer Einigung der palästinensischen Spaltung in Fatah und Hamas arbeite. Er
sagte: „Nur wenn die Palästinenser mit einer Stimme sprechen, werden sie Erfolg haben.
Wenn sich die Hamas in die PLO eingliedert, ist eine Lösung in Sicht.“ Die PLO sei weltweit
anerkannt als legitime Vertretung der Palästinenser und habe den Staat Israel in den
Grenzen vom 4. Juni 1967 (UN-Resolution 242) anerkannt. Ferner betonte Frangi, dass die
Blockade von Gaza beendet werden müsse und die Kontrolle der Grenzen nicht weiter
in israelischer Hand liegen dürfe.
Der Bundestagsabgeordnete Harald Leibrecht, FDP, hatte sich im Vorfeld für ein Visum für
Basem Naim aus Gaza bemüht. Auf der Tagung betonte er, dass es wesentlich sei, „mit
allen Kräften zu sprechen, auch mit führenden Vertretern der Hamas – offiziell und inoffiziell.“
Sein Kollege von der CDU/CSU, Michael Hennrich, der zur Parlamentariergruppe für die
arabische Welt gehört, sagte zum Wahlsieg der Hamas 2006 und der Nichtanerkennung der
Hamas als gewählte Regierung durch die USA und Europa: „Nach den Wahlen von 2006
hätte man der Hamas ein Zeitfenster einräumen müssen, zumal auch innerhalb dieser
Organisation über die Ausrichtung der zukünftigen Politik kontrovers diskutiert wurde.“ Auf
die Frage, ob mit Hamas-Vertretern gesprochen werden könne, antwortete Rainer Arnold,
SPD-Abgeordneter aus Nürtingen: „Natürlich muss man auch mit den Feinden reden.“ Arnold
hatte selbst nach den Wahlen 2006 auch mit Abgeordneten der Hamas gesprochen.
Nach seiner Einschätzung wird die Isolierung der Hamas durch die europäische Politik bereits
aufgeweicht. Zur Gaza-Blockade meinte er: „Es ist inakzeptabel, 1,5 Millionen Menschen in
Gaza in Sippenhaft zu halten.“
Die Wissenschaftlerin Dr. Asseburg betonte hierzu, dass eine Beendigung der Blockade, die
vier Jahre ignoriert wurde, jetzt das Wichtigste sei. „Eine Lockerung der Blockade ist keine
Lösung für das Problem. Es muss jetzt vielmehr darum gehen, auf die Aufhebung der
Blockade des Gaza-Streifens hinzuwirken.“ Im Weiteren sagte sie: „Es geht darum, im
Gazastreifen einen umfassenden Wiederaufbau zu ermöglichen, die Bevölkerung aus der
Abhängigkeit und Isolation zu befreien und die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.“ Dies
ist nach Asseburgs Einschätzung allerdings nur sinnvoll, wenn zweckgerichtet und offiziell
mit der de-facto-Regierung in Gaza kommuniziert wird. Die immer noch geltende
Kontaktsperre würde den Deutschen die Chance nehmen, den Akteur besser zu verstehen
und auszuloten, inwiefern pragmatische Kooperationen möglich sind.
Matthias Jochheim von IPPNW e.V. (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.) war Passagier an Bord des Schiffes Mavi Marmara, als
dieses am 31. Mai vom israelischen Militär aufgebracht wurde. Neun Passagiere wurden bei
diesem Überfall in internationalen Gewässern getötet. Das deutsche Bündnis „Ein Schiff
nach Gaza“ ist mit der internationalen Bewegung „Free Gaza“ affiliiert.
Matthias Jochheim schilderte, wie er und sein Gepäck, wie alle anderen Passagiere auch,
beim Übersetzen von der Motoryacht Challenger II auf das türkische Schiff Mavi Marmara
von den Organisatoren durchsucht worden war. Ferner gab es den Konsens unter den
Passagieren, dass nur passiver Widerstand, aber keine Menschen verletzende Gewalt
angewendet werden dürfe.
Martina Waiblinger
Quelle: www.paxchristi.de
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