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Französische Linke ist alarmiert

Enttäuschung über Regierungsarbeit mündet in Rechtsruck bei Kommunalwahlen

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Der Erfolg für die rechten Kräfte bei den Kommunalwahlen bedeutet für die Sozialisten in Frankreich eine herbe Niederlage. In der entscheidenden zweiten Runde soll das Schlimmste verhindert werden.

Die Ergebnisse der ersten Runde der Kommunalwahlen in Frankreich sind ein deutliches Zeichen der Unzufriedenheit großer Teile der Bevölkerung mit der Politik von Präsident François Hollande und der von den Sozialisten dominierten Regierung. Eine Rekordzahl Franzosen ist der ersten Runde am Sonntag ferngeblieben. Die Quote von nur 61,3 Prozent ist die niedrigste in der Geschichte der 5. Republik und lag noch unter dem bisherigen Negativrekord von 2008 (66,5 Prozent).

Das Votum derer, die sich beteiligten, bescherte den sozialistischen Kommunalpolitikern massive Verluste und bedeutet in zahlreichen Städten den Entzug des Bürgermeisteramtes. Die Linke erreichte insgesamt nur 37,7 Prozent. Die rechte Sammlungspartei UMP überflügelte die Sozialisten mit 46,5 Prozent. Eigentlicher Sieger ist aber die rechtsradikale Front National (FN). Sie kam landesweit zwar lediglich auf 4,7 Prozent, war jedoch nur in ausgewählten Gemeinden angetreten. In 315 Kommunen erreichte sie so die Stichwahl.

Besonders spektakulär war, dass sich die FN im nordfranzösischen Hénin-Beaumont, wo die Sozialisten durch eine Korruptionsaffäre ihres Exbürgermeisters schwer diskreditiert sind, bereits im ersten Wahlgang mit knapp mehr als 50 Prozent durchsetzen konnte und dort nun den Bürgermeister stellt. Am kommenden Sonntag kann die FN noch ein halbes Dutzend Städte vor allem in Südostfrankreich erobern. Die Wahlerfolge wertete die FN-Parteivorsitzende Marine Le Pen als »Beweis, dass die Bipolarisierung der politischen Landschaft in Frankreich zu Ende ist«. Le Pen versprach vor der zweiten Runde Steuersenkungen in allen Gemeinden, in denen die Rechtsextremen die Regierung übernähmen.

In rund 100 Städten mit mehr als 10 000 Einwohnern hat die FN so viele Stimmen auf sich vereinigt, dass sie sich im zweiten Wahlgang als dritte Liste neben der Linken und der Rechten behaupten kann und damit praktisch als »Zünglein an der Waage« wirkt. Während die Sozialisten und die sie unterstützenden Grünen oder andere linke Kräfte bereits erklärt haben, ihre Liste zurückzuziehen, wenn dadurch ein Sieg der FN verhindert werden kann, ist die UMP nicht zu einer solchen »Republikanischen Front« bereit. Der Vorsitzende Jean-François Copé rief die Wähler auf, weder für die einen noch die anderen zu votieren, die Sozialisten seien selbst zum Zusammengehen mit linksextremen Kräften bereit, die »genauso schlimm sind wie die Front National«.

Die Kommunistische Partei (PCF) und die Linksfront, die oft von Ort zu Ort unterschiedliche Wahlbündnisse eingegangen waren oder separate Listen aufgestellt hatten, waren nicht betroffen vom »Abstrafen« der Linksregierung und konnten so landesweit die meisten ihrer Positionen behaupten oder neue hinzugewinnen.

Während sich Präsident François Hollande nicht zur Kommunalwahl äußerte, räumte Premierminister Jean-Marc Ayrault am Wahlabend ein, dass das erste Ergebnis »die Besorgnisse oder gar Zweifel vieler Franzosen zum Ausdruck bringt«. Er plädierte für den zweiten Wahlgang für eine »Sammlung aller Kräfte zur Abwehr der rechtsextremen Front National«. PCF-Chef Pierre Laurent erklärte, dass der Erfolg der FN »für alle Linken ein Alarmzeichen« sein muss und dass diese besorgniserregende Kräfteverschiebung nicht zuletzt ein »Ausdruck der enttäuschten Erwartungen vieler Franzosen an Präsident Hollande und die von den Sozialisten geführten Regierung« sei.

Das gute Abschneiden der rechtsextremen Front National ist nach Überzeugung des Politikwissenschaftlers Henrik Uterwedde aber nicht nur als Protest gegen die etablierten Parteien zu werten. Der Rechtsradikalen sei es mittlerweile gelungen, sich als »feste politische Kraft auch in der Fläche« zu verankern, sagte der stellvertretende Direktor des deutsch-französischen Instituts in Ludwigsburg am Montag der Nachrichtenagentur AFP. Parteichefin Marine Le Pen habe die FN modernisiert und »ein Stück weit aus der Schmuddelecke geholt«, in die ihr Vater Jean-Marie Le Pen die Partei mit antisemitischen Äußerungen gebracht habe, so Uterwedde.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 25. März 2013


Marsch in die Rathäuser

Ultrarechte Sieger vom Front National im ersten Durchgang der französischen Kommunalwahlen. 40 Prozent Abstimmungsverweigerer

Von Hansgeorg Hermann, Paris **


Der ultrarechte Front National (FN) war am Sonntag Sieger des ersten Wahltags der französischen »Municipales«. Rund 45 Millionen Wahlbrechtigte hatten in 36682 Städten und Gemeinden über ihren Bürgermeister für die kommenden sechs Jahre abzustimmen. Eindeutiger Verlierer des ersten Durchgangs war die auf nationaler Ebene mit ihrem Präsidenten François Hollande regierende Sozialistische Partei (PS). Die rechtskonservative Opposition UMP (Union für eine Volksbewegung) erreichte dagegen gute Ergebnisse und gewann in zahlreichen Kommunen bereits im ersten Wahlgang die erforderliche absolute Mehrheit von mehr als 50 Prozent. Fast 40 Prozent der Wahlberechtigten hatten die Stimmabgabe verweigert – ein neuer Rekord in der Nachkriegsgeschichte des Landes.

Triumphatorin des Abends war die FN-Vorsitzende Marine Le Pen. Die zu Beginn ihrer Karriere als Nachfolgerin des Vaters Jean-Marie Le Pen vor Journalisten oft unsicher wirkende Front-Frau ist inzwischen mit einem Selbstbewußtsein ausgestattet, das – auch nach Einschätzung ihrer politischen Gegner – den offenbar unaufhaltsamen Aufstieg der Ultrarechten in Frankreich noch beschleunigen wird. Vor allem in den nördlichen und südlichen Provinzen, aber auch im Elsaß erreichten die FN-Kandidaten Ergebnisse nahe an der 50-Prozent-Grenze. In der 26000 Einwohner zählenden Kleinstadt Hénin-Beaumont im Nordwesten des Landes nahm der 41 Jahre alte FN-Herausforderer Steeve Briois dem Linksbündnis und seinem amtierenden Bürgermeister Eugène Binesse mit 50,28 Prozentstimmen den Wahlkreis direkt ab. Von Hénin-Beaumont aus hatte die erst 45 Jahre alte Marine Le Pen, dort bis 2011 Stadträtin, die landesweite kommunalpolitische Attacke des FN auf die etablierten Parteien Frankreichs eingeleitet.

»Mit dem Zwei-Parteien-Staat ist endgültig Schluß«, kündigte die Front-Vorsitzende am Sonntag in den Nachwahlsendungen des französischen Fernsehens an. Der FN habe »niemanden mehr zu fürchten«. Worte, die von den anwesenden Vertretern der Sozialisten und Grünen, aber auch den rechtskonservativen Kandidaten der UMP und dem Parti Gauche (Die Linke) meist nur mit beredtem Schweigen kommentiert wurden. Der UMP-Vorsitzende Jean-François Copé schloß, im Gegensatz zu bekannten Parteigrößen wie dem ehemaligen Ministerpräsidenten François Fillon und dem früheren Außenminister Alain Juppé, stille Absprachen mit dem FN für den zweiten Wahlgang am kommenden Sonntag nicht aus.

In Paris liegt im Kampf um die Nachfolge des Bürgermeisters und Sozialisten Bertrand Delanoë nach dem ersten Durchgang die 40jährige UMP-Kandidatin Nathalie Kosciusk-Morizet mit 35,4 Prozent der Stimmen knapp vor der bisher als Favoritin gehandelten, 54 Jahre alten Kandidatin und bisherigen Zweiten Bürgermeisterin Anne Hidalgo mit 34,3 Prozent. Während »NKM« ihr Stimmpotential wohl weitgehend ausgeschöpft haben dürfte, kann die Sozialistin in einer Woche aber auf ihre »Reserve« vertrauen: Das grüne Bündnis Europe-Ecologistes erreichte mit seinem Spitzenkandidaten Christophe Najdowski mehr als zehn Prozent der Stimmen – ein Ergebnis, das Hidalgo im zweiten Wahlgang zugerechnet werden muß. Sie wird allerdings wohl auch die Stimmen des Parti Gauche brauchen, die rund fünf Prozent der Wählerstimmen verbuchte.

Unklar ist die Situation in Frankreichs zweitgrößter Stadt Marseille. Dort liegt der bisherige UMP-Bürgermeister Jean-Claude Gaudin vorne. Der 74 Jahre alte UPM-Politiker führt mit rund 39 Prozentpunkten vor dem FN-Mann Stéphane Ravier mit 23 Prozent. Weit abgeschlagen mit nur 20 Prozent der Stimmen ist bisher der Kandidat des Parti Socialiste, Patrick Mennucci. Letzterer hofft im zweiten Wahlgang auf die Stimmen der insgesamt sieben dem linken Lager zugerechneten Kandidaten, unter ihnen der parteilose ehemalige Präsident des Fußballklubs Olympic Marseille, Pape Diouf. Sollte der FN die Wahl Gaudins empfehlen, wäre dessen Wiederwahl allerdings gesichert.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 25. März 2013


Eine Strafe nicht nur für Hollande

Katja Herzberg über die Kommunalwahlen in Frankreich ***

Es ist gekommen wie erwartet: Nach der ersten Runde der französischen Kommunalwahlen darf sich die rechtsradikale Front National (FN) »dritte politische Kraft« im Land nennen. Und damit ist die Gefahr, die von dieser Partei ausgeht, sogar noch beschönigt. Denn schon bei der nächsten Wahl – der zum Europäischen Parlament – könnte Frankreich noch weiter nach rechts rücken. Umfragen sehen die FN dann als stärkste Partei. Die regierenden Sozialdemokraten unter François Hollande kämen nur auf Rang drei.

Das Ergebnis von Sonntag sollte aber nicht nur den Präsidenten und seine Partei alarmieren. Es zeigt auch, dass die Alternativen von linker Seite, also Kommunisten und Linksfront, nicht so recht Vertrauen bei den Franzosen finden. Sie sind jetzt noch glimpflich davongekommen. Am 25. Mai könnte auch für sie das böse Erwachen anstehen, wenn die FN die Wahl gewinnen sollte und im Europäischen Parlament eine neue rechtsradikale Fraktion unter ihrer Führung zustande kommt.

Der Einfluss der linken Führungsköpfe Pierre Laurent und Jean-Luc Mélenchon ist nicht allzu groß. Ihr Schicksal könnte also von Hollandes Geschick oder Unzulänglichkeit abhängen, die politische und wirtschaftliche Krise in Frankreich zu lösen. Dafür müsste er zuerst die Wähler der Sozialdemokraten wieder an die Urnen locken. Ob eine im Raum stehende Regierungsumbildung das richtige Signal auf die Abstrafung ist, muss bezweifelt werden.

*** Aus: neues deutschland, Dienstag, 25. März 2013 (Kommentar)


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